Fussball-Talk: Mall-Märli dank Weiler – Nati braucht Hockey-Euphorie
Die Saison auf Club-Ebene ist vorbei, die Titel sind verteilt. Was bleibt nach Cupfinal, Barrage und CL-Final zu besprechen? Willkommen beim Fussball-Talk!
Das Wichtigste in Kürze
- Servette sichert sich in einem dramatischen Final den Cupsieg gegen Lugano.
- GC schafft in letzter Sekunde den Klassenerhalt in der Barrage gegen Thun.
- Und wer wird jetzt eigentlich Nachfolger von Peter Zeidler beim FC St.Gallen?
- Sportchef Christoph Böhlen und Fussball-Chefreporter Mischi Wettstein im Gespräch.
Nau.ch: Servette gewinnt den Cupfinal in einem Penalty-Krimi gegen Lugano. Was sagt Ihr zum Spiel?
Mischi Wettstein: Dieses epische Penaltyschiessen werde ich im Leben nicht mehr vergessen, das war unfassbar! Es sind genau diese Geschichten, die nur der Fussball schreiben kann. Das Mall-Cupmärli ist einfach geil! Ich sah es mit meinem Journalisten-Kollegen auf der Tribüne schon kommen, es lag in der Luft.
Es war ein Mega-Entscheid von Trainer René Weiler, auf seine Intuition zu hören. Auch, wenn Weiler nicht gerne Komplimente hört: Das war super und der Erfolg gibt ihm recht.
Christoph Böhlen: Spielerisch war das ehrlich gesagt ein ganz übler Cupfinal… Das Penaltyschiessen hat die Partie gerettet. Aber es gab noch mehr Szenen, die für Aufregung sorgten: Zum Beispiel der Nicht-Penalty beim Hands von Servettes Tsunemoto nach 89 Minuten. Für mich ein Rätsel, wie man da nicht pfeifen konnte. Aber bei der Handsregel habe ich sowieso längst den Überblick verloren.
Mischi Wettstein: Ich versuche es so neutral wie möglich zu sagen: Ich habe mich mit Experten unterhalten und mir das Regelwerk erklären lassen. Es gibt tatsächlich Argumente, hier nicht zu intervenieren.
Dass man es im Tessin aber anders sieht, verstehe ich genauso. Absolut fair finde ich die Aussage von Mattia Croci-Torti. Er will diese Szene nicht als Ausrede gelten lassen. Ehrenhaft von ihm, gerade nach dieser bitteren Niederlage!
Christoph Böhlen: Wir sprechen über das Mall-Märli, aber es hätte auch zum kitschigen Sabbatini-Abschied kommen können. Oder zum grossen Steffen-Moment. Doch nach diesem Cupfinal rückt sogar die Nachricht in den Hintergrund, dass René Weiler bei Servette sein Traineramt abgibt und Sportchef wird.
Nau.ch: Wie habt Ihr die Stimmung wahrgenommen? Das Wankdorf war ja nicht ganz ausverkauft.
Mischi Wettstein: Die beiden Kurven, vor allem die der Genfer, haben eine Top-Stimmung gemacht. Sie war besser als das Spiel. Aber dass der Cupfinal in der Schweiz auf Kunstrasen stattfindet, das geht gar nicht. Da muss man über die Bücher! Es gibt keinen Grund, warum der Final in Bern sein muss und nicht zum Beispiel im Joggeli. Ein Final gehört auf den Rasen, nicht auf einen Teppich!
Christoph Böhlen: So ein Seich, Mischi! Der Cupfinal gehört in die Bundesstadt. Das hat man spätestens dann gemerkt, als die Partie in anderen Stadien ausgetragen wurden. Der Final gehört ins Wankdorf, das forderten damals auch viele Fan-Kurven.
Dass der Kunstrasen stört, ist nicht neu – das Problem ist bekannt. Und wird wohl in den nächsten Jahren noch nicht lösbar sein. Sobald YB aber sein Trainingszentrum hat, wird auch wieder auf Naturrasen gespielt.
Mischi Wettstein: Ich kenne keinen Fan, der den Cupfinal freiwillig auf Kunstrasen sehen will. Du bleibst ein alter Nostalgiker! Und Bern als Bundesstadt ist kein Argument. Fussball muss nach Rasen riechen, im Final sogar zwingend.
Nau.ch: Wechseln wir zum anderen grossen Spiel im Schweizer Fussball vom Wochenende: GC schlägt Thun und bleibt oben!
Mischi Wettstein: Also ein grosses Spiel war es nicht – es war aber ein wegweisendes! Zum Match selber gibt es nichts mehr zu sagen, ausser: Marco Schällibaum hat alles richtig gemacht. Am Schluss zählt das Resultat. Er bleibt mit den Hoppers oben, ein grosses Kompliment dafür. Ich warte, dass mit «Schälli» noch in dieser Woche verlängert wird.
Thun hat gezeigt, dass es noch nicht ganz reicht – weder auf noch neben dem Platz. Wenn ich höre, dass bis kurz vor Mitternacht kein Thun-Spieler zum Interview kam, habe ich kein Verständnis. Das ist provinziell und nicht Super-League-würdig – pfui!
Christoph Böhlen: Deine Meinung zu Schällibaum teilt auch das Gros der Nau.ch-Leser. In der Umfrage bei deinem GC-Kommentar sagen 90 Prozent, dass der Trainer bleiben soll. Ein eindrücklicher Wert.
Zum FC Thun: Eine gute Halbzeit pro Barrage-Spiel reicht als Underdog leider nicht. Dafür bin ich überzeugt, dass die Berner Oberländer nächste Saison der ganz grosse Favorit auf den Aufstieg sind. Mit Lausanne-Ouchy steigt kein Schwergewicht ab. Und der Vorsprung auf Platz 3 betrug bereits 27 Punkte! Da muss die Konkurrenz aus Aarau oder Schaffhausen zuerst ordentlich was aufholen…
Nau.ch: Kommen wir noch zum dritten Spiel vom Wochenende: Real holt den 15. Titel in der Champions League. Verdient?
Mischi Wettstein: Der Dortmunder «Gränni-Trainer» Edin Terzic ist für mich einfach kein Final-Coach. Vor einem Jahr gibt er mit seinem Team gegen Mainz die Meisterschale aus der Hand, jetzt hat er wieder verloren.
Es ist klar, dass der BVB vor allem in der ersten Halbzeit stark war. Aber wenn du die Tore nicht machst, kannst du kein Spiel gewinnen. Davon, dass man 45 Minuten lang die bessere Mannschaft gewesen sei, kann man sich nichts kaufen. Die bessere Mannschaft hat nämlich am Ende zwei Tore geschossen und den Henkelpott verdient geholt! Schluss, Ende, aus.
Christoph Böhlen: Das einzige, das mich in diesem Spiel einigermassen emotional berührt hat: Toni Kroos krönt seine Club-Karriere mit dem sechsten Triumph in der Königsklasse! Er ist und bleibt einer der besten Spieler aller Zeiten – und ich bin gespannt, ob er Deutschland zum Triumph an der Heim-EM führen kann. Ich würde es ihm gönnen.
Nau.ch: Gutes Stichwort: Die Club-Saison ist vorbei, die EM 2024 steht vor der Tür. Brennt das Feuer schon?
Mischi Wettstein: Das Feuer brennt immer, ich war in diesem Kalenderjahr bereits für 40 Spiele im Stadion. Das Spiel morgen gegen Estland wird noch keine entscheidenden Erkenntnisse bringen. Aber ab der Hauptprobe am Samstag gegen Österreich werde ich Feuer und Flamme sein.
Ich hoffe, dass endlich wieder einmal das ganze Land positiv und geeint hinter unserer Nati steht! So wie es auch bei der Hockey-Nati an der WM war – diese Euphorie braucht es, ohne die ewigen Nörgler. Diese Geschlossenheit würde gut tun – und für die Voraussetzungen für ein gutes Turnier sorgen.
Nau.ch: Was ist euch sonst noch aufgefallen?
Mischi Wettstein: Seit heute ist es auch offiziell: FCSG-Coach Zeidler wechselt zu Bochum. Ich finde, Peter hat diese Chance verdient. Seine Art kann durchaus zum VfL passen. Vor allem hat er den richtigen Zeitpunkt erwischt, man kann sich in der Ostschweiz immer noch in die Augen sehen.
Schliesslich weiss man nie, wie es in der nächsten Saison gelaufen wäre. So ist es für alle eine optimale Lösung, auch der FCSG kann sich mal neu orientieren.
Als mögliche Kandidaten auf die Nachfolge sehe ich Marc Schneider, der mit Sportchef Roger Stilz in Belgien gearbeitet hat. Zudem geistert Ex-YB-Coach Raphael Wicky als Gerücht. Weil FCSG-Sportchef Stilz lange im Ausland gearbeitet hat, ist aber auch die unbekannte Lösung (der Mister X) eine sehr denkbare Option.
Christoph Böhlen: Zu Peter Zeidler und dem FCSG habe ich in den letzten Monaten verschiedene Meinungen gehört: Die einen sagen, ohne ihn bricht das Team zusammen. Andere sagen: Ein anderer Trainer könnte aus diesem Team deutlich mehr herausholen. Ich bin gespannt, wie es wird.
Aber es ist vor allem beruhigend zu wissen, dass normale Mechanismen auch in der Ostschweiz greifen: Zeidler ist nach Alain Sutter jetzt doch schon der zweite grosse Abgang in den letzten Monaten. Und noch was, Mischi!
Mischi Wettstein: Ja?
Christoph Böhlen: Ich muss bei Dir zu Kreuze kriechen: Letzte Woche habe ich auf Fortuna Düsseldorf, Thun und Lugano gesetzt – und damit gleich dreimal gegen dich verloren. Chapeau!
Mischi Wettstein: Ich brauche keine Gratulationen, das war für mich klar: Du bist eben ein Hausarzt und ich bin ein Facharzt!