Die Nati scheitert an der EM 2024 dramatisch im Penaltyschiessen. Ist das nur Pech? Und wie geht es weiter mit dem Trainer-Duo? Willkommen beim Fussball-Talk.
EM 2024
Enttäuschte Gesichter bei der Nati nach dem Aus an der EM 2024. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Trotz Führung gegen England scheidet die Nati an der EM 2024 aus.
  • Hat Penaltyschiessen wirklich mit Glück zu tun?
  • Bald entscheidet sich, ob Murat Yakin und Giorgio Contini bei der Nati bleiben.
  • Sportchef Christoph Böhlen und Fussball-Chefreporter Mischi Wettstein im Gespräch.
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Nau.ch: Das Schweizer EM-Märchen endet im Viertelfinal gegen England. Euer Fazit zum bitteren Spiel vom Samstag?

Mischi Wettstein: Ich wäre gerne noch eine Woche in Deutschland geblieben. Der Einzug in den Halbfinal war an dieser EM greifbar nahe. Entsprechend gross ist die Wehmut: So nahe dran waren wir noch nie, es hätte wirklich noch weitergehen können.

Christoph Böhlen: Wir haben dem grossen England eine Denkaufgabe bereitet: Trainer Southgate passte sein System der Nati an, der Respekt war riesig. Dass wir das nicht gepackt haben, schmerzt.

Schon nur die Vorstellung, dass Shaqs direkter Eckball reingeht und wir so unter die letzten Vier kommen – das gibt Gänsehaut. Umso bitterer hat es nicht gereicht.

EM 2024
Beinahe wäre dieser Eckball von Xherdan Shaqiri an der EM 2024 im Tor gelandet. - keystone

Mischi Wettstein: Ein gutes Stichwort. Ich habe viele Nachrichten erhalten, mit der Frage, wieso Shaqiri nicht etwas früher kam. Hätte, hätte Fahrradkette. Ganz alles haben wir sicher nicht richtig gemacht, sonst stünden wir jetzt im Halbfinal.

Eine andere Frage: Wieso läuft ausgerechnet Akanji als erster Schütze beim Penaltyschiessen an? Er hat vor drei Jahren gegen Spanien bereits verschossen. Ich hätte mir gewünscht, dass Shaqiri den ersten Penalty tritt. Weil er diese Lockerheit beim Punkt ausstrahlte und seinen Elfer souverän und eiskalt versenkte. Denn der erste muss einfach sitzen.

Manuel Akanji vergibt gegen England vom Punkt. - srf.ch

Christoph Böhlen: Fairerweise muss man sagen: Vor drei Jahren hat Akanji beim Achtelfinal-Sieg gegen Frankreich getroffen. Er ist zusammen mit Granit Xhaka der grosse Leader in diesem Team und wollte Verantwortung übernehmen. Dass sein Versuch aber schlecht getreten war, kann man nicht abstreiten. Penaltyschiessen ist halt eine Lotterie.

Mischi Wettstein: Nein, das sehe ich anders! Für mich ist Penaltyschiessen nicht nur Glückssache. Bei allem verdienten Lob für die Nati: Wir sind eben doch ausgeschieden. Und das zum wiederholten Mal im Penaltyschiessen. Auf der psychologischen Seite haben wir noch Potenzial.

Es hätte ja die Option gegeben, zum Beispiel eine Auswechslung aufzusparen und vor dem Start völlig überraschend Kobel oder Mvogo einzuwechseln. Einfach nur, um den Gegner zu verunsichern und in seinen Kopf zu kommen. Ob das besser herausgekommen wäre, ist natürlich Kaffeesatzleserei. Wir werden es nie erfahren.

Mischi Wettstein
Mischi Wettstein ist Fussball-Chefreporter bei Nau.ch. - Nau.ch

Christoph Böhlen: Dass wir ausgerechnet gegen England im Penaltyschiessen scheitern, ist natürlich doppelt bitter. Die «Three Lions» haben ja ein noch grösseres Elfmeter-Trauma in ihrer Historie. Aber die scheinen sich diesmal top darauf vorbereitet zu haben.

Mischi Wettstein: Alles kannst du nicht planen, aber die Reihenfolge der Schützen schon. Wie Muri gesagt hat: Den Gang vom Mittelkreis zum Penaltypunkt, den kann man weder üben noch besprechen. Penaltyschiessen wird schlussendlich im Kopf entschieden.

Nau.ch: Wer ist für euch der grosse Gewinner im Team der Schweizer?

Mischi Wettstein: Ich will einen Spieler herausheben: Wer für mich am meisten gewonnen hat, ist Captain Granit Xhaka. In der Vergangenheit war Granit nicht immer der souveräne Anführer, wie man sich das gewünscht hatte.

Die Besuche von Murat bei Granit sind eines der Puzzleteile, die zu dieser Verwandlung und zu der starken Teamleistung an der EM 2024 geführt haben. Xhakas Auftreten an der EM war auf und neben dem Platz grossartig. So ist Granit der perfekte Anführer für unser Nati!

Dass er sich im Viertelfinal noch verletzt mit einem Muskelfaserriss durchkämpft, weil er dem Team helfen will: Genau so geht ein starker Häuptling in der Schlacht voraus. Er wurde zum Sympathieträger.

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Granit Xhaka war an der EM 2024 der grosse Anführer der Schweizer Nati. - keystone

Christoph Böhlen: Xhakas Einsatz war aufopferungsvoll. Er ist ein absoluter Leader. Für mich ist aber das Kollektiv der grosse Sieger auf Schweizer Seite. Egal, wie Yakin gewechselt hat: Sein Team hat funktioniert, alle haben den Gameplan verstanden und umgesetzt. Und von den Spielern, die wenig oder gar nicht gespielt haben, drang keine Unzufriedenheit nach draussen.

Mischi Wettstein: Ein ganz guter Schachzug von Muri war zudem, sich Giorgio Contini als Co-Trainer ins Boot zu holen. Ein Trainer, dem er blind vertraut und auf Augenhöhe auftritt.

Nau.ch: Bleiben wir gleich beim Trainergespann: Wie geht es jetzt weiter?

Mischi Wettstein: Es ist ja einfach: Ein Pferd, das rennt, stoppt man nicht! Wieso sollte man die erfolgreiche Nati, die sich etwas erarbeitet hat, ausbremsen? Muri und Giorgio müssen bleiben!

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Das Duo Murat Yakin und Giorgio Contini harmoniert. - keystone

Christoph Böhlen: Da sind wir uns einig. Was steht da noch im Weg?

Mischi Wettstein: Am Finanziellen darf es nicht scheitern, da würde man beim Verband am falschen Ende sparen. Das Jobprofil des Nationaltrainers ist aus meiner Sicht perfekt auf Murat Yakin zugeschnitten. Der hinterletzte Nörgler wurde an der EM eindrucksvoll eines Besseren belehrt.

Christoph Böhlen: Wie sagst du jeweils: Der Volkstribun hat meistens recht. Das sagt auch die letzte Umfrage bei den Nau.ch-Usern: 91 Prozent sind für eine Verlängerung von Murat Yakin. Das hätten sich viele vor der EM nicht gedacht, da war die Kritik laut und das Gejammer gross.

Da darf ich dir jetzt auch mal ein Kränzchen winden: Du hast immer gesagt, dass Muri der Richtige ist, auch nach der harzigen Qualifikation. Damit standest du auf der Medientribüne fast alleine da.

Murat Yakin
Geht es nach den Nau.ch-Usern, soll Murat Yakin im Amt bleiben. - Nau.ch

Nau.ch: Was sind die nächsten grossen Themen in der Nati, abgesehen von der Trainer-Entscheidung?

Mischi Wettstein: Die Goalie-Position kann für die Zukunft ja nicht in Stein gemeisselt sein. Bei allem Respekt vor Yann Sommer, den ich einen super Typen und einen grossartigen Goalie finde. Aber ein Generationenwechsel zum neun Jahre jüngeren Gregor Kobel würde nicht überraschen.

Vielleicht sagt sich Sommer aber auch, dass ein EM-Viertelfinal der perfekte Abschluss seiner Nati-Karriere ist? Ausser er möchte unbedingt noch die WM 2026 mitnehmen.

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Kommt es im Tor der Nati zur Wachablösung? - keystone

Christoph Böhlen: Auch wenn ich überzeugt bin, dass Kobel bald die neue Nummer 1 der Nati ist: Sommer ist erst 36 Jahre alt, an der WM 2026 wäre er 38. Und damit jünger als Neuer, Ronaldo und Pepe im laufenden Turnier.

Für mich ist die Personalie Xherdan Shaqiri spannender: Er hat sich an der EM vorbildlich verhalten und seine Jokerrolle angenommen. Sein Tor gegen Schottland wird man in jedem EM-Rückblick sehen.

Er hat seine Nati-Zukunft selber in der Hand: Wechselt er in eine anspruchsvolle Liga und bleibt fit, würde ich ihn noch lange aufbieten. Wechselt er aber jetzt in die Wüste, beendet er seine Nati-Karriere gleich selber.

Nau.ch: Was ist euch sonst noch in Erinnerung geblieben?

Mischi Wettstein: Die Bilder vom gestrigen Empfang in Zürich sprechen Bände. Wer diese gesehen hat, weiss: Die Nati hat den Funken wieder auf die Fans überspringen lassen. Wir sind wieder Nati!

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Murat Yakin macht mit den Fans in Zürich die Welle. - srf.ch

Christoph Böhlen: Ich trete ungern auf die Euphoriebremse, aber wir wissen doch wie es läuft: Spätestens im Herbst, wenn es in der Nations League gegen Dänemark, Spanien oder Serbien geht, droht das nächste Gejammer.

Ein oder zwei schwache Auftritte – und die grossen EM-Emotionen sind vergessen. Fussball ist ein eben ein Tagesgeschäft. Wie hat Hakan Yakin zu dir im Talk gesagt? «Die Kritiker kommen sowieso wieder aus ihren Löchern.»

Mischi Wettstein: Darum könnte es ja auch die Überlegung geben: Die Party zu verlassen, wenn es am schönsten ist.

Nau.ch: Schliessen wir das EM-Thema ab, noch sind vier Teams dabei. Wer macht das Rennen?

Mischi Wettstein: Nüchtern betrachtet spielt Spanien von diesen Teams bis jetzt den besten Fussball. Aber der Beste gewinnt eben nicht immer. Lassen wir uns überraschen. Für mich sind beide Halbfinals 50:50-Spiele.

Mein Favorit Frankreich ist immer noch dabei. So wie sich England gegen die Nati gesteigert hat, müsste sich aber auch Frankreich gegen Spanien steigern, sonst droht das Aus!

Alvaro Morata, Dani Olmo
Macht Spanien nach dem Sieg über Deutschland das Rennen an der EM 2024? - dpa

Christoph Böhlen: Mit dem Nati- und dem Deutschland-Aus, habe ich nur noch Sympathien für die Franzosen. Aber so wie das Turnier läuft, setze ich auf eine Überraschung: Die Holländer machen das Rennen.

Nau.ch: Zum Schluss, wie immer: Was ist euch sonst noch aufgefallen?

Christoph Böhlen: Mischi, bist du jetzt bereit, mit mir über Testspiele zu reden?

Mischi Wettstein: Lass mich doch bitte in Ruhe, mein Telefon ist jetzt ein paar Tage ausgeschaltet. Nächste Woche bin ich wieder für dich da.

Christoph Böhlen: Ich habe so was in die Richtung vermutet… Es geht nur noch zwei Wochen bis zum Super-League-Start. Die Teams testen fleissig. Allein YB wird in dieser Woche gleich drei Spiele bestreiten. Testspiel-Resultate sind zwar unwichtig, aber die Niederlage des FCSG gegen Rapperswil-Jona hat mich schon etwas überrascht…

Christoph Böhlen
Christoph Böhlen ist Sportchef bei Nau.ch. - Nau.ch
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