Hitze-Tortur bei WM in Doha - und kaum einer schaut zu
Das Wichtigste in Kürze
- Die Bilder von taumelnden, kollabierten und in Rollstühlen abtransportierten Leichtathleten bei der WM in Doha gehen um die Welt.
Die extreme Hitze und subtropische Schwüle ist für die Sportler eine Qual - doch in Katars Hauptstadt schaut kaum einer zu.
Beim Frauen-Marathon und dem 50-Kilometer-Gehen der Männer säumten zu mitternächtlicher Schlafenszeit nur hunderte statt tausende Zuschauer die Strecke. Die absehbaren Torturen im sportlichen Grenzbereich und das minimale Interesse an der WM ist den Scheichs offenbar egal.
Auch ins gekühlte, komfortable Khalifa-Stadion sind keine Massen zu locken. Die Hälfte der 40.000 Zuschauer fassenden Arena ist ohnehin abgedeckt worden - und die verbliebenen Sitzplätze sind auch beim 100-Meter-Finale der Männer am Samstag nicht mal zu 50 Prozent belegt gewesen. «Es macht nichts, ob hundert oder hunderttausend zuschauen», meinte der US-Sprinter und WM-Zweite Justin Gatlin. «Wir wollen mit Stolz Leistung bringen und wir sind sicher, dies getan zu haben.»
Für Diskuswerfer David Wrobel hätte das Stadion voller sein können. «Hier muss man die Leute her zerren. Das finde ich schade», meinte er nach dem Aus in der WM-Qualifikation. «Ein Fan-Club aus Magdeburg und meine Mama waren da. An der Unterstützung lag es nicht.»
Eine Diskussion über Sinn oder Unsinn, die WM in den Wüstenstaat Katar zu vergeben, hielt IOC-Präsident Thomas Bach «für müssig». Vielmehr hoffte er, dass der Weltverband IAAF «die richtigen Massnahmen» treffe, um das «für die Athleten dann Erträgliche zu machen», sagte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees kurz vor der WM der Deutschen Presse-Agentur. Katar gilt als Olympia-Bewerber in spé.
Wüstenmützen, Kältewesten, Hitzepillen: Nach dem Motto der IAAF «Beat the Heat» nutzten Marathonläufer und Geher alles, was im Extremklima vor der Kapitulation aus Erschöpfung zu bewahren versprach. Eine Tortur blieb die Jagd nach Medaillen für Sieger und Aussteiger, die oft in den am Streckenrand verteilten Rollstühlen endete. Davor konnten auch Hitzepillen nicht schützen, die die Körpertemperatur messen.
«Wegen der Schwüle war es schwer zu atmen, der Puls ging in astronomische Höhen und der Kopf wurde immer heisser, obwohl ich Eis in den oben aufgeschnittenen Wüstenmützen auf dem Kopf hatte», berichte Geher Carl Dohmann aus Baden-Baden. «Dass es keiner unter vier Stunden schafft, das habe ich als Athlet noch nicht erlebt.» Nach der langen Quälerei musste er lange medizinisch versorgt werden.
«Es war eine Grenzerfahrung», sagte der deutsche Meister Jonathan Hilbert, der auf dem 23. Platz landete. «Man denkt sich seinen Teil. Es ist grenzwertig, hier die WM zu machen.» Es sei hart gewesen, aber bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio werde es härter. Auch in Japan werden schwülheisse Extrembedingungen erwartet. Der WM-Dritte aus Kanada, Evan Dunfee, kann sich eine Steigerung nicht vorstellen: «Ich komme aus der Tiefe der Hölle.»
Beim Frauen-Marathon hatte die an Hitze gewöhnte Rose Chelimo aus Bahrain, die WM-Silber gewann, «gebetet, dass ich das Rennen beenden kann». Die in Berlin geborene Deutsch-Palästinenserin Mayada Al Sayad quälte sich als Vorletzte ins Ziel und klagte: «Es war schrecklich. Mein Herz hat gerast, ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt.» Als «beängstigend, einschüchternd und entmutigend» empfand den zermürbend langen Kampf die WM-Neunte aus Kanada, Lyndsay Tessier, und war dankbar, «auf den Beinen ins Ziel gekommen» zu sein.
Im «grössten Kühlschrank der Welt», dem Khalifa-Stadion, fanden die Athleten auch nicht alles cool. «Als ich ins Stadioninnere kam, habe ich erst gefroren. Nach 25 Minuten musste ich die Jacke ausziehen, so warm wurde es», berichtete der deutsche Diskus-Meister Martin Wierig über das An- und Abschalten des kühlenden Gebläses. Für Sprint-Ass Gina Lückenkemper war der Weg vom Aufwärmplatz bis auf die Bahn ein Gang «durch verschiedene Klimazonen».