«Katar ist eine Warnung»: Wüsten-WM erhitzt Gemüter
Die Leichtathletik-WM in Doha steht wie kaum eine zuvor in der Kritik. Das extreme Klima und das geringe Interesse der Katari an diesem Sport erzürnt viele. Die Athleten sehen ihre Interessen missachtet und sich vom Weltverband «massiv allein gelassen».
Das Wichtigste in Kürze
- Die Entrüstung und Verärgerung über die Vergabe der 17.
Leichtathletik-WM nach Doha wächst. «Es gibt bessere Orte», formulierte Speerwurf-Ass Christin Hussong, was viele WM-Starter aus aller Welt denken.
«Wir haben gar keine Entscheidung zu treffen. Wir werden auch nicht gefragt», kritisierte Christina Schwanitz, die Kugelstoss-Weltmeisterin von 2015. Dies sei eine Missachtung der Interessen der Athleten angesichts Extremklima, Nachtwettkämpfen und des Desinteresses im Scheichtum an Laufen, Springen und Werfen.
Ohnehin sei es bei der Entscheidung des Weltverbandes IAAF, Katar den Zuschlag zu geben, nicht um optimale Bedingungen für die Sportler gegangen, sondern vor allem um Geld. «Das Problem ist einfach, dass die Reibung zwischen Daumen und Zeigefinger diese Entscheidung uns allen abnimmt», sagte Schwanitz. Rund 50 Millionen Dollar soll sich das Land die WM kosten lassen. IAAF-Präsident Sebastian Coe hatte immer wieder die Notwendigkeit betont, in neue Märkte gehen zu müssen und vor dem Start verkündet: «Es wird eine sehr gute WM.»
Trotz des grossen finanziellen Aufwandes sehen zahlreiche aktive und ehemalige Athleten die WM im Wüstenstaat bereits nach der ersten Hälfte in den Sand gesetzt. Zehnkampf-Weltrekordler Kevin Mayer aus Frankreich hält die ersten WM-Tage für «eine Katastrophe». Die britische Siebenkampf-Olympiasiegerin von 2000, Denise Lewis, klagte die IAAF an, die Athleten «massiv allein gelassen» zu haben.
«So ein Scheich belustigt sich mit einer WM doch in erster Linie selber», schrieb Robert Harting in einem Gastbeitrag der «Sport-Bild» (Mittwoch-Ausgabe). Der Diskus-Olympiasieger von 2012 hält für fragwürdig, «wenn man erst eine Infrastruktur bauen muss, damit es überhaupt klimatisch ertragbar ist», meinte er in Anspielung auf das Khalifa-Stadion mit Air Condition. «Wenn der Aufwand wegen abartiger Bedingungen eine bestimmte Höhe übersteigt, muss man es lassen!»
Als lebensgefährlich hat Äthiopiens früherer Wunderläufer Haile Gebrselassie die extremen Bedingungen bei der WM scharf kritisiert. «Gott bewahre, aber Menschen, die bei solchen Wetterbedingungen laufen, hätten sterben können», sagte der 46-Jährige. Es sei ein Fehler, die WM bei solch heissem Wetter in Doha auszutragen, besonders das Marathonrennen. Für den mehrmalige Olympiasieger, Weltmeister und Weltrekordler sei dies «inakzeptabel.» Besser hätte man nach Ansicht Gebrselassies auf die Marathonrennen ganz verzichten müssen.
«Katar ist eine Warnung, dass es so nicht weitergehen darf», sagte der frühere deutsche Verbandspräsident Clemens Prokop der Deutschen Presse-Agentur. «Meine Kritik, dass die Interessen der Athleten nicht berücksichtigt werden, trifft zu», sagte er. «Früher war es so, dass die Funktionäre geherrscht und die Athleten gehorcht haben.» Dies habe sich verändert: «Athleten vertreten inzwischen den Standpunkt, dass sie die wichtigsten Personen der Sportveranstaltungen sind.»
Zukünftige Sportgrossveranstaltungen müssten nach Kriterien vergeben werden, die sich an den Interessen der Athleten orientieren. «Ich kann es so ausdrücklich sagen: Die Klimabedingungen kann man nicht aussen vor lassen», forderte Prokop. Notfalls müsse man überlegen, wenn eine WM-Stadt in einer heissen Klimazone liege, Marathon und Gehen in ein anderes Land zu verlegen, «in dem die Athleten bessere Bedingungen» hätten. «Es gibt genug Standorte auf der Welt, wo eine WM stattfinden könnte, siehe die EM 2018 in Berlin», so Prokop.
Deutschlands schnellste Frau hält nichts von einer pauschalen Verurteilung der WM-Stadt Doha. «Es ist eine WM der Extreme. Man würde Lügen, wenn man das nicht sagen würde», sagte Gina Lückenkemper. «Aber warum nehmen wir uns das Recht raus, anderen Nationen zu verbieten, solche Meisterschaften ausrichten zu dürfen?» Die weit überwiegende Zahl der Wettkämpfe wird in dem auf 26 Grad heruntergekühlten Khalifa-Stadion ausgetragen.
Ausserdem könne man das Thema auch andersherum sehen. «Die Athleten aus dieser Region trainieren unter diesen Bedingungen», erklärte Lückenkemper. «Für sie ist es dagegen bei uns wie in einem gefühlten Kühlschrank unterwegs zu sein. Was macht uns besser?»