«Gibt wichtigere Dinge»: Hamilton kurz vor Schumacher-Rekord
Das Wichtigste in Kürze
- Lewis Hamiltons fast vollendete Attacke auf einen der stolzesten Rekorde seines Kindheitsidols stürzt Sebastian Vettel ins Gefühlschaos.
«Zu sehen, dass er den Rekord brechen wird, stimmt mich traurig. In meinem Kopf gehört der Rekord Michael, auch danach noch», sagte Vettel vor dem Formel-1-Gastspiel in Sotschi, bei dem Hamilton am Sonntag Michael Schumachers Bestmarke von 91 Grand-Prix-Siegen einstellen könnte. «Andererseits freue ich mich aber auch für Lewis, weil er den Rekord verdient», fügte der Ferrari-Pilot eilig hinzu.
Für Hamilton ist jetzt also die Zeit gekommen, auch die vermeintlich unerreichbaren Meilensteine der Ikone Schumacher zu übertreffen. Nach und nach hat sich der Brite zuletzt schon in anderen Statistiken an die Spitze gesetzt. 95 Pole Positions, 158 Podestplätze, 24.710 Führungskilometer - mehr hat niemand in der 70-jährigen Geschichte der Rennserie geschafft. Kaum jemand zweifelt daran, dass Hamilton am Saisonende auch wie Schumacher sieben WM-Titel haben wird.
«Pure Bewunderung» habe er lange Zeit für Schumacher empfunden, sagte Hamilton vor der Ausfahrt am Schwarzen Meer, die am Freitag für ihn als Trainingszweiter hinter seinem finnischen Teamkollegen Valtteri Bottas begann. 2013 übernahm Hamilton das Cockpit des Kerpeners im Silberpfeil, nachdem der Rekordchampion bei seinem späten Comeback in der Formel 1 noch drei Jahre Aufbauarbeit beim Mercedes-Werksteam geleistet hatte. Schumacher legte quasi die Grundlagen für die seit sieben Jahren währende Übermacht des Rennstalls - und damit auch für Hamiltons Rekordjagd.
Eine echte Beziehung zur deutschen Legende habe er zwar nie gehabt, sagte Hamilton, erinnert sich aber doch sentimental an eine Begegnung in Abu Dhabi. «Dass er sich einen Moment Zeit nimmt, um mit mir Helme zu tauschen. Das ist der wertvollste Helm, den ich habe», sagte der 35-Jährige.
Viel mehr Emotionen seien von ihm aber an diesem Wochenende nicht zu erwarten, auch wenn ihm dieser 91. Sieg gelingen sollte. «Natürlich ist es eine Ehre. Aber es bedeutet nicht wirklich etwas», sagte Hamilton und betonte: «Es gibt wichtigere Dinge auf der Welt.»
Der Blick des WM-Spitzenreiters geht schon lange weit über die Rennstrecke hinaus. Bevor Corona die Welt in den Klammergriff nahm, fiel Hamilton als rastloser Jetsetter auf, versuchte sich an einer eigenen Modelinie und als Musiker. Mehr und mehr aber nimmt er sich inzwischen Zeit für ernste Themen wie den Schutz von Klima und Artenvielfalt und den Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Hamilton trug massgeblich dazu bei, dass die Piloten in dieser Saison vor jedem Rennen Raum und Zeit für ein politisches Signal erhalten. Auch in Unterstützung seines Engagements für die «Black Lives Matter»-Bewegung lackierte Mercedes seine Rennwagen in diesem Jahr schwarz. Mit der nach ihm benannten «Hamilton-Kommission» will er für mehr Chancengleichheit und Vielfalt im Motorsport kämpfen.
Nach seinem jüngsten Sieg in Mugello trug Hamilton sogar auf dem Podium ein schwarzes Shirt mit der Aufschrift «Verhaftet die Polizisten, die Breonna Taylor getötet haben» und erinnerte damit an die in den USA erschossene Schwarze. Der Weltverband stellte eine Untersuchung gegen Hamilton wegen der Aktion zwar schnell wieder ein, will aber wohl sein Regelwerk noch einmal präzisieren.
Der Champion aber gibt sich unbeirrt, will weiter die Grenzen verschieben. «Ich werde mich von niemandem aufhalten lassen», versicherte Hamilton. Es gehe nicht um Politik, die nach Meinung einiger keinen Platz im Sport haben solle. «Es geht hier um Menschenrechte», mahnte Hamilton.
Wie einst Schumacher ist Hamilton zum Gesicht und zur Stimme seines Sports geworden, zum Superstar seiner Generation. Das Magazin «Time» kürte ihn gerade zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. «Er ist eine Inspiration für alle», schrieb dazu Bubba Wallace, der einzige schwarze Pilot in der US-Rennserie Nascar. Die Statistiken der Formel 1 sind längst nicht der einzige Beweis dafür.