Lindsey Vonn: Knie-Spezialist kontert Comeback-Kritiker
Das Comeback von Lindsey Vonn (40) lässt im Ski-Zirkus niemanden kalt. Wie gefährlich ist die Rückkehr mit ihrer Knie-Prothese wirklich? Ein Fachmann erklärt.
Das Wichtigste in Kürze
- Lindsey Vonn (40) kehrt beim Super-G in St. Moritz in den Weltcup zurück.
- Dr. Thomas Schneider erklärt bei Nau.ch, was es mit Vonns Knie-Teilprothese auf sich hat.
- Der Experte sagt: Entscheiden ist der Fitnesszustand der Athletin, nicht die Teilprothese.
Mit 40 Jahren gibt Speed-Queen Lindsey Vonn am Wochenende ihr Weltcup-Comeback! Die Rückkehr der US-Amerikanerin ist das grosse Thema vor den Weltcup-Rennen in St. Moritz. Schliesslich hat sich Vonn eine Teil-Prothese im Knie einsetzen lassen.
Gleich mehrere (Alt-)Stars aus dem Skizirkus haben sich im Vorfeld zu Wort gemeldet. Und einige davon zeigen wenig Verständnis für die Comeback-Pläne der 40-Jährigen. Zuletzt äussert Pirmin Zubriggen im «Blick» sein Unverständnis.
Das ärgert Vonn, die im Netz mit klaren Worten reagiert: «Jetzt reicht es! Bernhard (Russi), Sonja (Nef) und jetzt Pirmin (Zubriggen). Sind sie alle Ärzte geworden und ich habe das verpasst?»
Experte erklärt: So funktioniert die Knie-Teilprothese
Grund genug, bei einem richtigen Arzt nachzufragen, wie die Weltcup-Rückkehr aus medizinischer Sicht zu beurteilen ist.
Dr. Thomas Schneider ist Inhaber der Kniechirurgie Bern und Mitbegründer des Berner Prothetikzentrums.
Seit 2018 ist man dort auf die Operationsmethode spezialisiert, die auch bei Lindsey Vonn angewandt wurde: der roboterassistierte Einbau mit dem «Mako-Roboter».
Nau.ch: Dr. Schneider, Lindsey Vonn hat ihre Fans via Social Media an ihrer Knieoperation teilhaben lassen. Was muss sich ein Laie unter einer «Knie-Teilprothese» eigentlich vorstellen?
Dr. Thomas Schneider: Das Kniegelenk besteht aus drei funktionellen Einheiten: der Innenseite, der Aussenseite und dem Gelenk zwischen Kniescheibe und Oberschenkel. Werden alle drei Einheiten zusammen ersetzt, nennt man das Knie-Totalprothese.
Wird nur eine einzelne Einheit – wie im Fall von Lindsey Vonn die Knieaussenseite – ersetzt, nennt man das Knie-Teilprothese. Eine solche Prothese kann auf verschiedene Arten eingesetzt werden. Klassischerweise von Hand – oder wie bei Lindsey Vonn mithilfe des «Mako-Operationsroboters».
Nau.ch: Bringt diese Teil-Prothese Einschränkungen mit sich, die im Vergleich mit einem «normalen» Knie beim Skifahren stören oder behindern können?
Schneider: Eine sehr gut funktionierende Knie-Teilprothese bringt eigentlich keine Einschränkungen im Vergleich zu einem normalen Knie mit sich. Da im Gegensatz zur Totalprothese die Mechanik des Kniegelenkes nicht verändert wird.
Im Gegenteil: in der Regel haben die Sportler ja vor der Knieprothese erhebliche Einschränkungen in der Belastbarkeit des Kniegelenkes. Meist können Sie nach einer Knie-Teilprothese besser bewegen als vor der Operation. Gestört oder behindert wird man durch diese Teil-Prothese beim Skifahren also nicht.
«Sorge im Fall von Lindsey Vonn unbegründet»
Nau.ch: Nach der Comeback-Ankündigung gab es etliche Rückmeldungen aus dem Ski-Zirkus und aus dem medizinischen Sektor. Darunter waren Stimmen, die ihr auch wegen der Knieprothese von einer Rückkehr abrieten. Können Sie das nachvollziehen?
Schneider: In gewissen Masse kann ich die Sorge verstehen, handelt es sich hier ja um einen Präzedenzfall. Knieprothesen sind grundsätzlich von den Herstellern nicht für kniebelastenden Sport entwickelt worden.
Meiner Erfahrung nach ist nicht die Knieprothese der limitierende Faktor für eine Rückkehr, sondern der allgemeine Fitnesszustand, vor allen Dingen die durch Muskeln und Bänder hervorgerufene Stabilität des Kniegelenkes.
In diesem speziellen Fall ist die Sorge jedoch sicherlich unbegründet. Bei einer schweren Verletzung mit Knieprothese könnte die chirurgische Versorgung allerdings aufwendiger sein als ohne Prothese.
Nau.ch: Würden Sie als Fachmann Lindsey Vonn – vor allem bezüglich ihres Knies – zum Comeback raten oder abraten?
Schneider: Ich kenne den Fitnesszustand von Lindsey Vonn nicht gut genug, um mir hier eine eindeutige Empfehlung erlauben zu können.
Meiner Erfahrung nach können Spitzensportler allerdings durchaus innerhalb von sechs bis neun Monaten ihren Fitnesszustand auf ein Spitzenniveau anheben. Von Seiten der Knieprothese selbst habe ich keine Bedenken.
Nau.ch: Wo sehen Sie mögliche Risiken oder Gefahren, vielleicht auch auf lange Sicht – also nach der Comeback-Karriere?
Schneider: Kniebelastende Sportarten mit einer Teil-Prothese führen auf jeden Fall zu einem erhöhten Verschleiss der Prothese.
Es gibt weltweit allerdings nicht genug verlässliche Daten, um einschätzen zu können, ob der Verschleiss bei einem Spitzensportler zu einem verfrühten Austausch der Prothese führen wird. Auf jeden Fall wird aktuell gezeigt, was in der modernen Medizin unter optimalen Bedingungen heutzutage möglich ist.