Covid-19 im Flüchtlingslager: Das Schicksal der Frauen und Mädchen
Im grössten Flüchtlingslager der Welt leben 860´000 Menschen unter prekären Umständen. Frauen und Mädchen leiden besonders unter geschlechtsspezifischer Gewalt.
Das Wichtigste in Kürze
- Im grössten Flüchtlingslager der Welt in Bangladesch leben 860´000 Menschen.
- Es sind vor allem aus Myanmar geflohene Rohingya.
- Frauen und Mädchen sind besonders von Gewalt und den prekären Zuständen betroffen.
- In der Corona-Pandemie hat die geschlechtsspezifische Gewalt zugenommen.
860´000 Menschen leben in Kutupalong im Distrikt Cox´s Bazar im südöstlichen Bangladesch an der Grenze zu Myanmar. Das sind mehr als doppelt so viele Menschen, wie in der Stadt Zürich leben – auf einer Fläche, die sechsmal kleiner ist.
Katapulong ist das grösste Flüchtlingslager der Welt. Es wird vor allem von aus Myanmar geflohenen Rohingya bewohnt.
Vor drei Jahren, im August 2017, griff die islamistische Rebellengruppe Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) Polizeistationen und Armeeposten in Myanmar an. Die Armee Myanmars reagierte mit einer massiven Militäroperation. Daraufhin flüchteten mehr als 700´000 Rohingya, die muslimische Minderheit in Myamar, ins benachbarte Bangladesch.
Die Flüchtlinge berichteten von brutaler Gewalt, Massenvergewaltigungen und der systematischen Zerstörung ihrer Dörfer durch die Armee in Myanmar.
Obwohl Bangladesch mit wachsender Arbeitslosigkeit und Armut kämpft, nahm es die Flüchtlinge 2017 auf. Doch die Corona-Pandemie und der damit einhergehende Zusammenbruch der Textilindustrie verschärften die wirtschaftlichen Probleme im Land zusätzlich. Für die Flüchtlinge wurde es beinahe unmöglich, Arbeit zu finden.
Armut, Hunger und Gewalt im Flüchtlingslager
Die Menschen, die in Kutupalong leben, leiden an Armut, Hunger, mangelnder Hygiene und fehlenden Zukunftsperspektiven. Wer auf so dichtem Raum zusammenlebt, ist der Bedrohung durch Covid-19 besonders stark ausgesetzt.
Zusätzlich wirken sich die Massnahmen zur Eindämmung des Virus gravierend auf das Leben der Bewohner aus. Zum Beispiel auf jene Frauen, die ihre Männer auf der Flucht oder im Konflikt verloren haben – und das sind nicht wenige. Sie müssen ihre Kinder alleine zu Hause lassen, wenn sie in die Verteilzentren gehen, um Nahrungsmittel und Hygieneartikel zu erhalten.
Während vor Corona die Nachbarn auf die Kinder aufpassen konnten, schaue jetzt jeder nur noch für sich selbst, berichtet eine Frau aus dem Flüchtlingscamp. Sie hat Angst, dass ihre Kinder entführt oder missbraucht werden, während dem sie Essen und Trinken besorgt.
Dennoch ist sie froh, dass internationale Hilfsorganisationen Lebensmittel verteilen. Denn ohne diese Unterstützung würden ihre Kinder an Unterernährung sterben.
Corona hat die Situation verschlimmert
Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie war die Lage im Flüchtlingscamp angespannt. Es mangelte an grundlegenden Hygienestandards wie sauberes Trinkwasser oder genügend sanitäre Einrichtungen.
Mit der Pandemie haben sich die Lebensbedingungen nochmals verschlechtert. Das Camp ist überfüllt, Abstand halten schwierig. Um der Ausbreitung des Virus vorzubeugen, hat die Regierung die Anzahl Helfer, die ins Camp dürfen, massiv beschränkt.
In der Folge kam es zu Engpässen bei der Versorgung der Flüchtlinge mit Wasser und Nahrungsmitteln.
Auch die Sicherheit hat massiv unter dem Ausbleiben der Hilfsorganisationen gelitten. Bewohner berichten, dass geschlechtsspezifische Gewalt, sexuelle Belästigung, Missbrauch und Entführungen in der Corona-Krise zugenommen haben. Gerade Frauen und Kinder sind stark davon betroffen.
Hilfsorganisationen verteilen Nahrungsmittel
Das internationale Kinderhilfswerk World Vision verteilt hier als grösster Partner des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) regelmässig Nahrungsmittel im Camp. Das WPF wurde diese Jahr für seinen andauernden Kampf gegen den globalen Hunger mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Eine sechsköpfige Familie erhält dadurch monatlich 60 Kilogramm Reis, 18 Kilogramm Linsen und sechs Liter Speiseöl. Das reicht gerade zum Überleben.
Kleinkinder erhalten zusätzlich energiereiche Kekse und eine spezielle Weizen-Soja-Mischung, um eine Unterernährung zu verhindern.
Fehlende Zukunftsperspektiven für die Kinder
Die grösste Herausforderung ist langfristig jedoch nicht der Zugang zu Nahrungsmitteln, sondern der mangelnde Zugang zu Bildung.
Die Eltern sind um die Zukunft ihrer Kinder besorgt. «Sie müssen mitansehen, wie ihre Kinder in den Lagern ohne Ausbildung aufwachsen, die sie brauchen würden, um sich eines Tages zu Hause in Myanmar ein neues Leben aufzubauen. Diese Kinder könnten schnell zu einer verlorenen Generation werden», sagt Fredrick Christopher, Einsatzleiter bei World Vision in Cox's Bazar.
Besonders davon betroffen sind Mädchen. Bereits vor der Corona-Krise hatten die Rohingya-Kinder nur begrenzten Zugang zu Schulunterricht. Weil die Mädchen in der traditionellen Gesellschaft der Rohingya für die Arbeit im Haushalt vorgesehen sind, entscheiden sich Familien eher dazu, sie nicht mehr in die Schule zu schicken.
Da die Lernzentren geschlossen sind, müssen sie vermehrt Arbeiten im Haushalt übernehmen. Den Mädchen droht zusätzlich die Gefahr einer Zwangsheirat. Denn in der Krise und ohne Arbeit sehen sich manche Eltern dazu gezwungen, ihre Kinder zu verheiraten.
Die Lage der Flüchtlinge ist dramatisch. Die Welt ist zurzeit mit der Corona-Pandemie beschäftigt. Der Konflikt in Myanmar, der zu einem Exodus der Rohyngia geführt hat und in einer humanitären Katastrophe mündete, ist erst drei Jahre her. Es scheint, als habe die Welt die Rohingya vergessen.