Bandersnatch von Netflix ist ein filmischer Meilenstein
Mit Bandersnatch bringt Netflix einen unglaublich guten interaktiven Film in bester Black-Mirror-Manier. Filmkritiker und Fans sind begeistert.
Das Wichtigste in Kürze
- Netflix veröffentlichte mit «Bandersnatch» einen interaktiven Film.
- Zuschauerinnen und Zuschauer treffen Entscheidungen für den Protagonisten.
- Dieser, ein junger Programmierer, scheint darob langsam den Verstand zu verlieren.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Ihr Leben aussehen würde, wenn Sie vor Jahren an einem beliebigen Punkt eine andere Entscheidung getroffen hätten? Wenn Sie nicht an diese Party gegangen und Ihren jetzigen Partner nicht getroffen hätten? Wenn Sie ans Gymnasium gegangen, statt eine Lehre gemacht hätten? Sie werden es nie erfahren.
Stefan Butler schon.
Die Geschichte
Stefan (Fionn Whitehead, «Dunkirk», mit einer beeindruckenden Performance) ist der Protagonist des gestern Freitag überraschend erschienenen ersten «Black Mirror»-Films auf Netflix mit dem Titel «Bandersnatch». Im Jahr 1984 werden Videospiele gerade zum Massenphänomen. Der 19-jährige Programmierer bewirbt sich bei einer Spielefirma namens «Tuckersoft». Er will die Game-Umsetzung eines «Wähle-dein-eigenes-Abenteuer»-Buches realisieren. Er bekommt den Job, doch während er an seinem Spiel arbeitet, beginnt sein Leben zu bröckeln.
Stefan fühlt sich zunehmend gesteuert, er trifft Entscheidungen, die er sich nicht erklären kann.
Das Prinzip von «Bandersnatch»
Und damit hat er Recht. Denn «Bandersnatch» ist ein interaktiver Film. Die Zuschauer auf Netflix treffen verschiedene Entscheidungen für Stefan. Dafür hat man jeweils zehn Sekunden Zeit. Dann führt Stefan die Handlung aus, die man für ihn wählt. Netflix begnügt sich aber nicht damit, eine nette Geschichte zu erzählen, die je nach Entscheidungen der Zuschauer einen leicht anderen Verlauf nimmt.
Immer wieder schickt uns der Film an einen Punkt zurück und lässt uns die Entscheidung noch einmal treffen. So entstehen verschiedene Zeitstränge, die sich gegenseitig beeinflussen. Denn plötzlich wissen die Figuren Dinge, die eigentlich in dem Strang, in dem sie sich befinden, noch gar nicht passiert sind.
Stefan merkt bald, dass er keine Kontrolle über seine Entscheidungen hat – und beginnt sich gegen uns Zuschauer aufzulehnen. Damit wird «Bandersnatch» hoch philosophisch. Zwar hat der Film alternative Handlungsstränge und Enden – doch die sind gar nicht so wichtig. Viel zentraler ist die Frage, ob Stefan doch noch einen freien Willen hat. Inwiefern ist er verantwortlich für sein eigenes Handeln? Und: Wie stark beeinflussen des Zuschauers Entscheidungen überhaupt die Handlung und das Ende?
Auf geniale Weise erzeugt «Bandersnatch» ein vielschichtiges Konstrukt, das den Zuschauer mit hinein zieht. Sind wir denn nicht in der gleichen Situation wie Stefan? Netflix gibt uns zwar die Möglichkeit, die Geschichte an verschiedenen Punkten in die von uns gewählten Bahnen zu lenken, schränkt uns dabei aber immer auch ein.
Mit Fortschreiten der Handlung merken wir aber, dass wir uns ebenfalls in einer Art Kampf befinden. An mehreren Punkten will uns Netflix quasi zu einer Entscheidung zwingen. Auch wenn wir sie nicht wollen, bringt es uns immer wieder an denselben Punkt zurück, bis wir einlenken.
Besitzen wir Zuschauer am Ende, wie Stefan, auch nur die Illusion des freien Willens? Und was bedeutet das für unser Leben?
Sehenswert, weil...
Mit «Bandersnatch» liefert Netflix in der Altjahreswoche 2018 quasi aus dem Nichts – der Trailer wurde vorgestern Donnerstag veröffentlicht – ein absolutes Meisterwerk, einen selbstreflexiven Meilenstein der Filmgeschichte, über den Philosophiestudentinnen und Studenten auf Jahre hin Semesterarbeiten schreiben können.
★★★★★
«Black Mirror: Bandersnatch» ist seit dem 28. Dezember auf Netflix.
Black Mirror: Bandersnatch – Der offizielle Trailer