Claas Relotius: Wikipedia-Fälschungen zum Fälscher aufgedeckt

Claas Relotius erfand Reportagen für den «Spiegel» im grossen Stil und wurde ertappt. Ausgerechnet beim Text über ihn, kam es auf Wikipedia zu Manipulationen.

Wurde als Fälscher ertappt: Ex-«Spiegel»-Reporter Claas Relotius, - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • 2018 wurde bekannt, dass Spiegel-Reporter Claas Relotius fast alle Geschichten erfand.
  • Erst danach entstand auf Wikipedia ein Eintrag zu ihm.
  • Der Eintrag wurde monatelang von einigen Usern zu Gunsten des Fälschers manipuliert.

Im Dezember 2018 gab der «Spiegel» zu, dass beim deutschen Nachrichtenmagazin im grossen Stil gefälscht wurde. Claas Relotius habe fast alle seiner Geschichten erfunden. Zu dieser Zeit existiert in der deutschsprachigen Ausgabe noch kein Eintrag zum Reporter.

Doch dies ändert sich nach Bekanntgabe des Skandals schnell. Während der Beitrag zu Beginn noch kurz und kritisch ist, werden bald Stellen sukzessive von bestimmten Usern beschönigt und manipuliert.

Diese verharmlosen Relotius' Fälschungen, wie der «Bund» berichtet. Es sei in der ganzen Branche üblich, zu fälschen, so der Eintrag. Relotius sei einfach einer der genialsten unter vielen Schriftstellern im Journalismus.

Hinter Wikipedia steht die US-Organisation Wikimedia. Diese hatte beim Verfassungsgericht eine Beschwerde gegen die Sperrung eingereicht. - Keystone

Die Manipulatoren vergleichen ihn etwa mit den grossen US-Autoren Truman Capote, Tom Wolfe und Paul Auster. Er sei der «Karl May» unserer Zeit.

Nach Beschönigungen folgen Fälschungen

Als Ende März ein Neu-User namens «Klussmann» in Erscheinung tritt, beginnen die Manipulatoren mit falschen und gefälschten Belegen zu operieren. Sie versuchen etwa die Existenz von einem von Relotius erfundenen Protagonisten zu belegen. Doch ihr «Beleg» hat nicht annähernd etwas mit Relotius' Protagonisten zu tun.

Während einige dieser User wie «Klussmann» verschwinden, tauchen immer neue Manipulatoren-User auf. Dabei schrecken sie nicht einmal davor zurück, Stellen aus dem Ende Mai veröffentlichten Abschlussbericht des «Spiegels» zur Causa Relotius zu fälschen. Aus den «Manipulationen» im Bericht machen die Manipulatoren «Kurzgeschichten und Fiktion».

Als die «Berliner Morgenpost» die Stelle ungeprüft vom Online-Lexikon übernimmt, taucht Relotius erstmals ausserhalb von Wikipedia als «Kurzgeschichten-Schreiber» auf.

Juan Moreno ist freischaffender Reporter beim Spiegel. In seinem Buch «Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus» berichtet er, wie er Relotius als Fälscher entlarvte. - Rowohlt

Zum Höhepunkt der Fälschungen kommt es als «Spiegel»-Mitarbeiter Juan Moreno sein Werk «Tausend Zeilen Lügen» veröffentlicht. Darin schildert der Relotius-Entlarver seine Sicht der Dinge. Relotius selbst geht wegen «unwahren Interpretationen und Falschbehauptungen» gegen Morenos Verlag vor.

Falscher Beleg entlarvt Manipulatoren

Für die Manipulatoren Anlass genug, die Passagen aus Wikipedia zu löschen, gegen die Relotius gerichtlich vorgeht. Laut Moreno sagte der Fälscher dem «Spiegel», er könne eine Stelle beim Magazin wegen seiner kranken Schwester nicht antreten. Doch Relotius hat nur einen Bruder.

Als ein User einen manipulierten «Beleg» liefert, dass ein früherer «Spiegel»-Ressortleiter wegen Falschangaben zur erkrankten Schwester gerichtlich gegen Moreno vorgeht, kommen die Wikipedianer der Manipulatorengruppe auf die Schliche. Schnell leiten die Wikipedia-Kontrolleure ein User-Check-Verfahren ein.

Ein «Spiegel»-Artikel mit dem Titel Jaegers Grenze von Juan Moreno und Claas Relotius vom November 2018. - Keystone

Insgesamt überprüfen sie acht User-Konten, fünf davon liefern ein eindeutiges Ergebnis: Sie alle wurden über den selben PC gesteuert – sie werden Ende September gesperrt. Einer der User hat – wohl unabsichtlich – seine IP-Adresse preisgegeben. Die Adresse scheint einem PC aus dem Umkreis der Gemeinde Seevtal zu gehören. Dort liegt auch die Ortschaft Tötensen, aus der Relotius stammt.