Deutsche erlauben geschäftsmässige Sterbehilfe
Wie frei ist der Tod? Mit dieser Frage beschäftigte sich das deutsche Bundesverfassungsgericht über ein Jahr lang.
Das Wichtigste in Kürze
- Seit Ende 2015 gibt es in Deutschland ein Sterbehilfe-Verbot.
- Dagegen reichten sterbende Menschen, Dienstleister aber auch Ärzte eine Klage ein.
- Ein Gericht in Karlsruhe (D) erklärt das Verbot für nichtig.
In Deutschland herrscht seit Ende 2015 ein Sterbehilfe-Verbot. Eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft droht demjenigen, «der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmässig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt».
Das zielt auf Menschen ab, die Suizidwilligen tödliche Medikamente zur Verfügung stellen oder ihnen eine Sterbewohnung organisieren.
Angehörige und «Nahestehende» bleiben ausdrücklich straffrei. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass Sterbehilfe gesellschaftsfähig wird.
Jetzt die Wende: Das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärte heute Mittwoch Paragraf 217 im Strafgesetzbuch am Mittwoch nach Klagen für nichtig.
Dignitas ist Beschwerdeführer
Gegen das Verbot klagten schwerkranke Menschen und Sterbehelfer, also Dienstleister wie Dignitas. Eine «geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung» setzt jedoch kein kommerzielles Interesse voraus, vielmehr kann der Begriff auch wiederholte Hilfen umfassen.
Deshalb stehen auch mehrere Ärzte hinter der Klage. Sie befürchten, sich bei der palliativmedizinischen Behandlung Todkranker strafbar zu machen. Manche von ihnen wünschen sich auch die Freiheit, in bestimmten Fällen ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen zu dürfen.
Der Fall beschäftigt seither das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (D). Der Zweite Senat nahm sich Mitte April 2019 zwei volle Tage Zeit, um alle Positionen anzuhören.
«Wir wollen nicht, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen», erklärte sich damals etwa Mitinitiator Michael Brand (CDU).
Auch Dignitas Schweiz kämpfte dafür
Grundsätzlich geht es um die Frage: Umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben einen Anspruch auf Unterstützung? Als Kläger im Zentrum steht dabei auch Dignitas Schweiz. Der Verein gehört nämlich zusammen mit Dignitas Deutschland zu den Beschwerdeführern.
Beobachter rechneten bereits mit einer Lockerung des Verbots. Zum Schluss der sehr emotionalen und persönlichen Verhandlung im Dezember 2019 wurde nämlich deutlich, wie kritisch die Richter das Verbot sehen.
Der Staat müsse bestimmt nicht beim Suizid helfen, sagte etwa Johannes Masing. «Aber hier verbietet der Staat Angebote aus der Gesellschaft heraus.»
Ärztepräsident warnt vor Lockerung
Eine Lockerung des Verbots ist jedoch nicht unumstritten – auch bei Ärzten nicht. Der deutsche Ärztepräsident Klaus Reinhardt etwa warnte gegenüber der DPA davor.
«Es schützt vor einer Normalisierung des Suizids und es wirkt Erwartungen auf einen regelhaften Anspruch auf ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung entgegen», so Reinhardt.
Ein solcher Anspruch stünde laut Reinhardt im eklatanten Widerspruch zur medizinisch-ethischen Grundhaltung der Ärzteschaft.
«Und er liefe den grundlegenden Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten entgegen, Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen, Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen.»