Schweizer Bauernverband: Landwirtschaft als politisches Mittel
Der Schweizer Bauernverband legte bei seiner Gründung vor 125 Jahren den Grundstein für die starke Identifikation des Schweizer Volkes mit der Landwirtschaft.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor 125 Jahren wurde der Schweizer Bauernverband gegründet.
- Dieser hat auch eine politische Funktion.
Die Schweizer Bevölkerung identifiziert sich stark mit der Landwirtschaft. Den Grundstein dafür legte der Schweizer Bauernverband bei seiner Gründung vor 125 Jahren. Seither hat er sich immer wieder politisch an dieser Verbundenheit bedient. Der erste Sekretär des Schweizer Bauernverbands (SBV), Ernst Laur, war 1897 der Kopf hinter der sogenannten Bauernstands-Ideologie.
Er habe die Ideologie aktiv propagiert. Das sagte Karel Ziehli, Politologe und Redaktor der Chronik «Année Politique Suisse» der Universität Bern, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Den «Bauernmythos», wie ihn Ziehli nennt, heroisiere den Bauer als Träger von Schweizer Tradition und Moral.
Dadurch vereinte Laur die Landwirte und gab der Schweiz eine kollektive Identität. Laur selbst war Agronom, kein Landwirt, betont Ziehli. Die Ideologie des Bauernstands stammte also von einer elitären, gutbürgerlichen Schicht.
Nach Weltkriegen: Bauer sind «Retter»
Auftrieb erhielt die Bauernstands-Ideologie im Ersten und Zweiten Weltkrieg. «Bauern galten als Retter der Nation», sagt Ziehli. Bei der Anbauschlacht sei vertuscht worden, dass bei der Rationierung der Lebensmittel die Anzahl Kalorien pro Person gesenkt wurde. Dies, um das Bild der starken Landwirtschaft beizubehalten, sagt Ziehli.
Der Schweizer Bauernverband hat heute Nationalrat Markus Ritter (Die Mitte/SG) als Präsident. Für ihn bedeuteten die Weltkriege und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln eine herausfordernde Zeit für den Verband: «Viele Bauern waren im Militärdienst», sagt er auf Anfrage.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatten gemäss Ziehli Verbände allgemein einen grossen Einfluss auf die Schweizer Politik. Die Zeitung «Schweizer Bauer» sprach von einer «Schattenregierung», welche die Schweiz über Jahrzehnte geführt habe.
Neben dem SBV seien auch der Schweizerische Handels- und Industrieverein und viele weitere Teil der ständigen Wirtschaftsdelegation des Bundesrates gewesen.
Schweizer Bauernverband gegen EWR-Beitritt
Um die 1990er-Jahren trocknete der Politacker für den Schweizer Bauernverband zunehmend aus. Die bisher geltende strenge Importpolitik - und damit einhergehend die Preise - gerieten unter Druck.
Etwa durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), den Vorgänger der Welthandelsorganisation (WTO), wie Ziehli ausführt. Der SBV demonstrierte seiner Webseite zufolge 1990 vor dem GATT-Sekretariat in Genf.
Darauf folgte im Dezember 1992 die Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). «Die Bauern haben zum EWR-Beitritt massiv Nein gesagt», sagt Ziehli.
Allen voran: der heutige alt Bundesrat Christoph Blocher. Auch der Unternehmer habe sich dem Bauernmythos bedient, sagt Ziehli. Blocher warb mit umgehängten Treicheln gegen den EWR-Beitritt.
Ziehli zitiert eine Studie aus den 1990er-Jahren: 38 Prozent der Schweizer Bevölkerung verstanden sich damals als «mentale Bauern». Die Zustimmung nützte nicht gegen den Preisdruck.
«Die einzige Lösung war es, Direktzahlungen einzuführen», sagt Ziehli. Die Direktzahlungen machen laut Ritter 20 Prozent des Gesamtumsatzes der Schweizer Landwirtschaft «als Entschädigung für die vom Bund beziehungsweise der Bevölkerung geforderten Leistungen aus.»
Milchstreik vor dem Bundeshaus
Gemäss dem Schweizer Bauern Verband führte die zunehmende Konkurrenz in vielen Betrieben zu einem «massiven Zerfall der landwirtschaftlichen Einkommen». Es kam zu Protesten vor dem Bundeshaus und einem europäischen Milchstreik.
Derweil weibelte der Schweizer Bauernverband gegen ein Freihandelsabkommen mit der EU und intervenierte gegen die neue Agrarpolitik des Bundes. Der Verband bezeichnet es als «intensive Lobbyarbeit», die er hinsichtlich des sinkenden Milchpreises hingelegt hatte. Dennoch hatten sich ihm zufolge um die 2010er-Jahre die Probleme gehäuft statt gelöst.
2013 lancierte der SBV zusammen mit der SVP die eidgenössische Initiative «Für Ernährungssicherheit». Schliesslich stellte sich der Verband hinter den direkten Gegenvorschlag des Parlaments. Mit Erfolg: Fast 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung stimmten ihm 2017 zu.