«System überlastet»: Darum gründen Lehrpersonen eigene Schulen

Karin Aebischer
Karin Aebischer

Granges-Paccot,

Viele Kinder seien glücklich in der Volksschule, aber eben nicht alle. So das Credo der Privatschulen. Und genau deshalb brauche es mehr Vielfalt – und Geld.

Schule
An der zweisprachigen Bauernhof-Schule in Granges-Paccot FR findet 80 Prozent des Unterrichts draussen statt. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Privatschulen sind gefragt. Wo sie eröffnen, sind die Plätze meist sofort belegt.
  • Sie fordern mehr Alternativen im Schulsystem – und finanzielle Unterstützung.
  • Ehemalige Lehrerinnen erzählen Nau.ch, weshalb sie heute ihre eigene Schule führen.

Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz fühlt sich gestresst. Dieser Leistungs- und Schulstress nimmt immer mehr zu. Das zeigt die Pro Juventute Jugendstudie 2024.

Gleichzeitig fühlen sich auch viele Lehrer am Limit. In einer Umfrage von 2024 gaben Deutschschweizer Lehrer ihrem Beruf nur die Note 4,2. Ein Stressfaktor ist unter anderem das integrative Schulmodell.

Im Kanton Zürich gehen Schulen bereits so weit, dass sie auf private Alternativen ausweichen, weil Plätze in staatlich anerkannten Sonderschulen fehlen.

Wo bist du zur Schule gegangen?

Kürzlich kam aus, dass in 20 Zürcher Schulgemeinden über 30 Prozent der Sonderschüler ein privates Institut besuchen.

In vielen Kantonen sind zudem die Wartelisten für Abklärungen bei Schulpsychologen und anderen Spezialisten ellenlang.

Knackpunkt Schulkosten

Privatschulen haben nicht nur in Zürich Zulauf. Im Kanton Freiburg etwa sind innert zwei Jahren drei neue alternative Schulen am Entstehen. In Alterswil, in Granges-Paccot und in Plaffeien.

Die beiden Lehrerinnen und Schwestern Janine und Olivia Hübscher sind Mitinitiantinnen der «Bergahorn Schule» in Plaffeien. Ihre Schuleröffnung ist auf das Schuljahr 2026/27 geplant.

«Wir wollen einen familiären, altersgemischten Lern- und Begegnungsort kreieren, der den lebendigen Bedürfnissen der Kinder gerecht wird», so Janine Hübscher zum Grund für die geplante Schulgründung.

Die beiden möchten, dass sich die Kinder mehr bewegen, sich einbringen können, mehrere Tage in der Woche in der Natur sind und «weltnahe» Dinge lernen.

Ihre Pläne sind auf grosses Interesse gestossen, ein erster Filmabend zu diesem Thema sei ein Erfolg gewesen. Doch noch stünden bis zum Schulbeginn «viele spannende Herausforderungen» bevor.

«Ich war oft frustriert»

Eine andere Freiburger Privatschule hat bereits unter Beweis gestellt, dass es funktionieren kann. Und wie gross das Interesse an solchen Angeboten ist.

Die «Ferme-école zweisprachige Schule» startete im Herbst 2024 mit ihrem Unterricht auf einem Bauernhof in Granges-Paccot. Die zehn Plätze waren schnell weg.

Auf das neue Schuljahr hin eröffnen Florie Theytaz und Valérie Genoud nun eine zweite Klasse. Auch diese ist bereits voll.

Die beiden Schulleiterinnen kennen die obligatorische Schule als Fachkräfte ebenfalls sehr gut. Theytaz war zwölf Jahre lang Primarlehrerin, Genoud begleitete Kinder und Jugendliche als Sozialpädagogin in Unterstützungsmassnahmen für öffentliche Schulen im Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern.

Und beide betonen genauso wie Janine Hübscher: «Ein grosser Teil der Kinder ist glücklich in der Volksschule.»

Doch nicht alle. Denn die Kinder müssten sich dem System anpassen. Und das sei nicht für alle möglich. Für diese Kinder sei es wichtig, Alternativen zu bieten. Und so das System zu entlasten.

Sollte der Staat Eltern unterstützen, wenn Kinder an eine Privatschule gehen?

«Ich war oft frustriert, weil ich das Gefühl hatte, ich könne die verschiedenen Rhythmen der Kinder nicht respektieren», erzählt Florie Theytaz Nau.ch von ihrer Zeit als Primarlehrerin. Bei 20 bis 25 Kindern pro Klasse sei das fast unmöglich.

Zudem sei sie mit ihren Schülern immer gern in die Natur gegangen und wollte mehr Bewegung einbauen. «Kinder haben einen grossen Bewegungsdrang.» Doch das zu organisieren, sei stets kompliziert gewesen.

Darum gründete sie schliesslich ihre eigene Schule auf einem Bauernhof. «Wir sind zu 80 Prozent draussen, auch im Winter», erzählt sie.

Dort würden sie die Natur mit allen Sinnen erfahren und mit Tieren oder Pflanzen konkrete Dinge lernen. Und sich dennoch an den Lehrplan 21/Plan d’études romand halten.

650 bis 950 Franken pro Monat und Kind

Wieso hört man so oft, Lehrer und Schüler seien am Limit? «Das Schulsystem ist überlastet, und das ist auch ein Abbild der Gesellschaft. Es fällt alles etwas aus dem Gleichgewicht, man hat weniger Zeit für die Schüler», so Theytaz.

Ist das integrative Schulsystem schuld daran? «Integration ist möglich, aber es braucht viel Begleitmöglichkeiten und Ressourcen», sagt Valérie Genoud dazu. Deshalb sehen sie die Zukunft in der Diversität der Schulmodelle. Entsprechend wollen sie keine Konkurrenz sein zur Volksschule. «Sondern eine Entlastung», so Genoud.

Wer sein Kind in eine Privatschule schickt, muss sich das aber auch leisten können. Das Schulgeld an der «Ferme-école zweisprachige Schule» beträgt 650 Franken pro Monat für die Klasse 1H und 950 Franken pro Monat für die Klasse 2H.

Entsprechend würden sich die Schulleiterinnen wünschen, dass jene Eltern, die ihre Kinder in eine Privatschule schicken, auch finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten hätten. Auch Janine Hübscher findet, dass die Eltern für diese Beträge zumindest eine Steuerentlastung zugute hätten.

Glarus stimmt über Bildungsgutschriften ab

Im Kanton Glarus wird denn auch an der Landsgemeinde vom 4. Mai über die sogenannten Bildungsgutschriften abgestimmt. Der Antrag von Lehrer und Schulgründer Nils Landolt fordert, dass alle Familien ihre Schule wählen können, ob privat oder öffentlich, und dies ohne finanzielle Nachteile.

Dafür soll eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die Bildungsgutschriften ermöglicht. Die Beträge sollen den durchschnittlichen Kosten eines Kindes an der öffentlichen Schule entsprechen.

«Ein Bildungsgutschein läge im Kanton Glarus voraussichtlich bei rund 15'000 Franken pro Kind und Jahr», erklärt Nils Landolt, der in Mollis GL eine Privatschule gegründet hat.

Nils Landolt
Nils Landolt will am 4. Mai an der Landsgemeinde in Glarus mit «seinen» Bildungsgutschriften durchkommen. - SRF

Die Idee dieser Gutscheine sei übrigens nicht seine gewesen, so Landolt zu Nau.ch. Sondern jene des 2020 verstorbenen Kinderarztes und Erziehungsexperten Remo Largo (†76).

«Der Staat soll letztlich nicht die Privatschulen finanziell unterstützen, sondern Familien, dass diese eine Schule nach den Bedürfnissen ihrer Kinder auswählen können», führt Landolt aus.

Denn, so betont Landolt: «Keine Familie wechselt die Schule leichtfertig.» Ein Schulwechsel sei immer mit einem gewissen Schmerzlevel verbunden.

Deshalb findet er, «Familien sollten in diesem Fall niederschwellig wechseln dürfen, ohne grosses Abklärungsgeplänkel rundherum». Das spare allen Stress und Geld und entlaste das System.

Für Rösler eine Aufgabe der Politik

Auch Landolt spricht somit vom oft erwähnten «überlasteten System». Was sagt Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Volksschule dazu?

«Schulen stehen vor grossen, auch gesellschaftlichen Herausforderungen und zuweilen geraten sie an ihre Grenzen und versuchen, mit viel Kreativität und Gestaltungswillen das Beste aus der Situation herauszuholen.» Manchmal gelinge das gut und manchmal weniger gut, so Rösler.

Dagmar Rösler
Die Volksschule zu entlasten, ist die Aufgabe der (Bildungs-)Politik. Und nicht jene der Privatschulen. Das findet Dagmar Rösler, Präsidentin vom Lehrerinnen- und Lehrerverband. (Archivbild) - keystone

Zudem gibt es in den Augen von Dagmar Rösler «tatsächlich Kinder und Jugendliche, die in einer Privatschule – aus verschiedenen Gründen – besser aufgehoben sind als in der Volksschule».

Die Volksschule zu entlasten, ist in ihren Augen jedoch Aufgabe der (Bildungs-)Politik.

Aber selbstverständlich müsse es für die Schule wichtig sein, dass sich Schülerinnen und Schüler in der Schule wohlfühlen, dass ein gutes Schulklima herrsche und dass man an guten Beziehungen arbeitet.

«Ganz viele Volksschulen machen da einen sehr guten Job – und trotzdem gibt es Schwierigkeiten.»

Kommentare

User #2493 (nicht angemeldet)

Warum sollte jemand sein Kind in das öffentliche Schulmodell geben, wenn es kostengünstige Alternativen gäbe? Auch wenn das jetzige Modell für viele Kinder machbar ist, ist es ja dennoch nicht ideal.

User #3824 (nicht angemeldet)

Mein Sohn war vor mehr als 21 Jahren in einer sogenannten Sonderschule. (Kleinklasse.) In dieser Klasse waren die meisten verhaltens gestört. 😢 So dass der Lehrer oft keine Zeit hatte,sich um die schwächeren zu kümmern. Mein zwei Jahre jüngerer Bruder wurde in der dritten Klasse in die Heilpädagogische Sonderschule gesteckt. Später haben sie herausgefunden dass er nicht gut hört und Augenprobleme hatte. Er musste sie nachher sofort operieren. Da sich meine Eltern leider nie gross um unsere Ausbildung gekümmert haben., ließen sie ihn weiterhin in der Heilpädagogischen. Das zehnte Schuljahr durfte er in der In Primar machen. Er hatte in diesem Jahr mehr gelernt als all die Jahre in der Sonderschule. Später als Erwachsener kam raus, dass er ei en sehr hohen IQ hat. Das alles geschah weil mein Bruder introvertiert und hochsensibel und meine Eltern, Ärzte und Lehrer nicht begriffen das er neben den Augenprobleme auch Hörprobleme hatte ( musste auch das Gehör operieren operieren lassen.) Was ich nicht begreifen ist, dass das keiner gemerkt hat. Und nicht eingegriffen hat.

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