Wie die «Ehe für alle» Schweizer Christen spaltet
Die Ehe für alle spaltet Schweizer Christen – auch unter den Katholiken ist man sich uneins. Zwei Theologinnen über Moralvorstellungen und Sexualität.
Das Wichtigste in Kürze
- Die reformierte Kirche spricht sich für die Ehe für alle aus, andere Kirchen sind dagegen.
- Dass sich die Christen in der Frage so uneinig sind, hat verschiedene Gründe.
- Zwei Theologinnen erklären, woher die so unterschiedlichen Meinungen rühren.
Die christkatholische und die reformierte Kirche befürworten die «Ehe für alle», die römisch-katholische Kirche und viele Freikirchen sind dagegen. Die Frage spaltet Christen in der Schweiz tief. Die Gründe dafür sind so verschieden wie die Ansichten der einzelnen Gläubigen.
Doch warum ist das so? Isabelle Noth, Theologin von der Universität Bern, erklärt auf Anfrage von Nau.ch: «Das Christentum war von allem Anfang an eine Bewegung mit unterschiedlichen Strömungen und Auffassungen.» Das sei ähnlich wie in einer Familie – man gehöre zwar zusammen, doch das heisse nicht, dass man stets gleicher Meinung sei.
Ehe bedeutet nicht für alle das Gleiche
«Die einen verstehen die Ehe primär unter dem biologischen Aspekt der Fortpflanzung», sagt Isabelle Noth. Aus diesem Grund würden sie es für ausschlaggebend erachten, dass eine Ehe zwischen Mann und Frau geschlossen würde.
Die Theologin ergänzt: «Andere rücken vor allem die Qualität der Beziehung zwischen zwei Menschen ins Zentrum, sodass die sexuelle Orientierung für ihr Eheverständnis zweitrangig oder irrelevant ist.»
Im Christentum gebe es zahlreiche Eheverständnisse. «Grob lassen sich zwei Argumentationslinien unterscheiden: Die eine beruft sich auf die biblische Schöpfungsgeschichte mit der Erschaffung zweier Geschlechter.» Die andere berufe sich auf die Überwindung der biologischen, sozialen und politischen Differenzen.
Reformierte trotz liberaler Haltung in Kritik
Noth macht mit ihren Aussagen deutlich, wie sehr sich die Meinungen der verschiedenen christlichen Gemeinschaften unterscheiden. Auch Kollegin Andrea Bieler von der Universität Basel sieht die christliche Bewertung der Homosexualität als «hart ausgefochtene ethische Kontroverse».
Die Theologin lenkt allerdings ein, dass die Kirchen in der Schweiz in vielerlei Hinsicht als liberal anzusehen seien. Ein Kränzchen winden dürfen sich die Schweizer Christen punkto Fortschritt dennoch nicht.
«Selbst die in ethischen Fragen als liberal geltende reformierte Kirche hat sich erst im Zuge der gesetzlichen Entwicklung für die Ehe für alle ausgesprochen. Sie ist also keineswegs als Vorreiterin zu betrachten», kritisiert Bieler.
«Sie hätte ja auch schon vor zehn Jahren sagen können, dass es eine Form der Diskriminierung ist, homosexuelle Paare nicht zu trauen. Das hat sie aber nicht gemacht», so die Expertin weiter.
Auch toleranter Papst konservativ
Auch wenn die römisch-katholische Kirche als konservativ gilt – Papst Franziskus zeigt sich weitaus toleranter als seine Vorgänger. Das Kirchen-Oberhaupt hat sich im Herbst für gleichgeschlechtliche Eingetragene Partnerschaften ausgesprochen.
Angesichts der Tatsache, dass die kirchliche Lehre homosexuelle Handlungen als «von Natur aus ungeordnet» betrachtet, ist diese Aussage bemerkenswert.
Doch von einer Fürsprache gleichgeschlechtlicher Ehen ist die römisch-katholische Kirche weit entfernt. Auch Franziskus hält an klassisch-konservativen Werten fest. So kritisiert er Abtreibungen – selbst von schwerkranken Föten – scharf und lobt Frauen, die ihren fremdgehenden Männern vergeben. Ausserdem vertritt er die Ansicht, dass nur Mann und Frau eine Familie sein können.