Mein eigener Rassismus
Unser Kolumnist denkt nicht, dass die wenigen Nazis und bekennenden Rassisten das Problem sind. Das Problem sind wir alle.
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
- Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
- Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
- Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
Glatze, böse Augen, fetter Wanst, «White Power»-T-Shirt und Nazi-Symbole tätowiert - so stellt sich der durchschnittliche Schweizer einen Rassisten vor. Aber diese Typen sind nicht die Wurzel des strukturellen Rassismus in der Schweiz. Das Problem sind nicht bekennende Rassisten, sondern Leute wie Sie und ich, die sich selbst nie als rassistisch betrachten würden.
Ja, auch ich, als linker Gutmensch mit nordafrikanischen Wurzeln, der selbst eine Menge Fremdenhass und Rassismus zu spüren bekam (Fremdenhass -> auf Kultur bezogen, Rassismus -> auf Genom bezogen), habe verinnerlichte, unbewusste rassistische Denkschema, die sich in meinem Handeln zeigen.
Da war zum Beispiel ein dunkelhäutiger Bekannter, jung, um die 20. Ich lernte ihn kennen, und war überrascht, dass er Zahnarzt werden wollte. Weil für mich junge Schwarze immer irgendwas mit Musik machen, Rap oder Hiphop am besten. Er meinte, das interessiere ihn nicht, er programmiere in seiner Freizeit lieber Buchhaltungssoftware für Startups. Innerlich dachte ich «Was für eine Verschwendung! Dabei liegt ihm Musik doch im Blut».
Ihr seht, nicht böse gemeint, aber von der Hautfarbe auf die Persönlichkeit geschlossen. Schwarze auf Musik, Tanz und Rhythmus zu reduzieren, ist einer der ältesten rassistischen Stereotype. Und es war so tief in mir drin, dass ich mir dessen nicht mal bewusst war.
Später meinte er mal, dass dieses Rap-Vorurteil ihm tierisch auf den Sack gehe, aber er er habe sich inzwischen daran gewöhnt. Dass sich ein Mensch an Beurteilungen und Vorurteile über seiner Hautfarbe - und seien sie noch so «nett» gemeint -gewöhnen muss, ist der kleine Rassismus.
Ich hatte andere, ähnlich stereotype rassistischen Vorurteile auch bei Latinos und Asiaten. Feiern, aber faul, fleissig, aber unterwürfig. Alles Bullshit.
Als die «Mohrechopf»-Diskussion vor ein paar Jahren das letzte Mal aufflammte, war ich empört. Mit dem Begriff war doch eine Süssigkeit gemeint. Wer darin eine rassistische Beleidigung sah, musste aber schon lange suchen, um was Schlechtes zu finden. Schliesslich nannten wir das Teil schon immer so.
Und überhaupt, hatten wir nicht Probleme mit echtem Rassismus? Da ist doch sowas einfach lächerlich. Ich hab endlose Diskussionen geführt, über Geschichte, Wortstamm und Semantik. Die Mauren waren eine Hochkultur (Was Bullshit ist, weil niemand sich selbst als «Maure» bezeichnete). Ich hab natürlich auch einen dunkelhäutigen Freund angeführt, der sich von diesem Begriff nicht beleidigt fühlte. Ich führte an, dass diese Konzentration auf ein harmloses Wort doch von den echten Rassisten (Glatze, fett, Tattoos, sie wissen schon) ablenke!
Ich sagte doch auch «Mohrenkopf» und ICH war sicher nicht rassistisch. Hey, mein halbes Erbgut kommt aus Afrika und ich bin links. Ich KANN gar nicht rassistisch sein!
Erste Zweifel an meiner Position kamen mir dann, als ich merkte, dass ich Unterstützung von den oben beschriebenen glatzköpfigen Rassisten mit den Hakenkreuz-Tattoos bekam. Einer meiner politischen Grundsätze ist: Wenn Nazis meine Position toll finden, gehe ich heim, setze mich hin und überprüfe meinen Standpunkt. Wenn es dabei um Rassismus geht, sollten alle Alarmglocken klingeln.
Eine zweite Einsicht brachte mir eine Bekannte, deren dunkelhäutige Töchter in der Schule mit «Mohrenkopf» beschimpft wurden, und die lapidar meinte: «Ich muss die Kleinen halt früh genug auf diese Welt und ihre Verletzungen und Mechanismen vorbereiten.» Ich zweifelte, ob ich Teil dieser Verletzungen und Mechanismen sein wollte.
Und zum Schluss ein einfaches Erlebnis: Ich war in einem Supermarkt und wollte für den Kafi mit Freunden noch ein Dessert kaufen. Ich wandte mich an eine dunkelhäutige Verkäuferin und wollte fragen, wo denn die Mohrenköpfe seien. Und ich brachte kein Wort heraus. Ab da war der Begriff für mich toxisch. Aber noch heute nenn' ich die Teile unbedacht so. Aber ich versuche, es zu ändern.
Es ist klar, dass «Mohrenkopf» nicht die Wurzel des Rassismus ist, oder dass Rassismus verschwindet, wenn man den Begriff nicht mehr braucht. Das ist aber nicht das Problem.
Das Problem ist die Vehemenz, mit der die Leute (und auch ich früher) ihr Recht auf diesen rassistischen Begriff verteidigen. DA sieht man den latenten, unterschwelligen Rassismus in den Menschen, die eigentlich gar keine Rassisten sind, sich aber plötzlich lautstark Seite an Seite mit Nazis und Rassisten wiederfinden, und den Namen einer Süssigkeit verteidigen wie die heilige Verfassung. Beim Wechsel von Raider auf Twix war das nicht so ... Der kleine, unbewusste Rassismus legt den Boden für den grossen, brutalen Rassismus.
Also, wenn ein arroganter, linker Gutmensch wie ich es mit 50 schafft, seine Positionen zu hinterfragen und seine Meinung zu ändern, einfach weil ein Teil meiner Mitmenschen unter meinem Bullshit leidet, dann sollte es doch für Sie auch kein Problem sein, sich einmal ganz alleine mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Und nein, ich will hier keine 300 Kommentare, warum der Begriff nun rassistisch ist oder nicht. Nutzen Sie die zwei Minuten, die sie für den Kommentar benutzt hätten, um sich zu fragen, was Sie verlieren, wenn Sie auf diese verletzende Bezeichnung verzichten.
Danke.
Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.