SRF Club: ETH-Forscherin Tanja Stadler geht auf Thomas Aeschi los
In der SRF-Sendung «Club» zum 3-Phasen-Plan des Bundesrates entstand eine spannende Diskussion zwischen Thomas Aeschi und ETH-Expertin Tanja Stadler.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Gäste der SRF-Sendung «Club» sprachen in der gestrigen Ausgabe über den 3-Phasen-Plan.
- Zwischen einem Politiker und einer Expertin entbrannte eine spannende Diskussion.
- Tanja Stadler rechnete Thomas Aeschi sogar sein eigenes «Spital-Risiko» vor.
Der Bundesrat verspricht mit seinem 3-Phasen-Plan eine Rückkehr zur Normalität ab August. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass sich genug Menschen impfen lassen. Ist das die Perspektive, auf die alle gewartet haben? Und wie risikoreich ist dieser Weg der schrittweisen Öffnung? Diese Fragen stellte Barbara Lüthi gestern in ihrer SRF-Sendung «Club» den Studiogästen.
Eine spannende Diskussion entstand dabei zwischen einem Politiker und einer Expertin: Thomas Aeschi und Tanja Stadler. Beide sind mit den Öffnungsplänen des Bundesrates nicht gerade zufrieden – doch aus unterschiedlichen Gründen.
SVP-Nationalrat Aeschi spricht sich dafür aus, dass bereits jetzt alles, was über Schutzkonzepte verfügt, geöffnet werden soll und darf. Der Politiker unterstrich sein Argument mit Zahlen: 85 Prozent der Risikopersonen seien geimpft und die Intensivbettenauslastung derzeit nicht sehr hoch. Und er erwähnte, dass «sich jeder selbst schützen kann, wenn er sich nicht exponieren möchte».
ETH-Biostatistikerin Stadler hingegen befürchtet, dass die Zahlen wieder stark zunehmen könnten. «Wir haben neue Varianten, die sind gefährlicher und wir werden nochmals eine riesige Krankheitslast haben.» Die Professorin stört sich vor allem daran, dass man jetzt nicht noch «zwei, drei» Monate gewartet habe, bis mehr Menschen geimpft wären.
Stadler: «Welches Risiko nehmen sie für sich selbst in Kauf?»
Ein Hauptargument von Aeschi: «Wenn die Zahlen leicht steigen, sind mehr Fälle nicht mehr so schlimm. Die Risikopersonen sind ja geimpft.» Er nahm sich gleich selbst als Beispiel und sagte: «Wenn ein junger Mann wie ich, mich infizieren sollte, dann ist das Risiko eines schweren Verlaufes viel tiefer als das eines 80-Jährigen.»
Stadler nahm den Ball auf und sagte: «Wenn ich nachfragen darf, was für ein Prozentsatz würden sie als OK bezeichnen? Welches Risiko nehmen sie für sich in ihrem Alter in Kauf?»
Aeschi wich aus und meinte, er wisse sein statistisches Risiko nicht, sei aber der Meinung, wenn die Risikopersonen geimpft sind, dann müsse jeder für sich selber das Risiko entscheiden. «Wir appellieren vor allem an die Eigenverantwortung – niemand ist gezwungen in ein Restaurant zu gehen und sich dort zu exponieren.»
Stadler hielt dagegen und sagte, dass mit dem 3-Phasen-Plan des Bundesrats die «jungen Menschen leiden werden». «Sie werden einerseits selber angesteckt und auch ihre Eltern sind noch nicht geimpft. Wir sehen inzwischen, dass wir die Risikogruppe nicht mehr so genau definieren können.»
Stadler: «Warum kann man jetzt nicht noch Geduld haben?»
Die Expertin warnte, dass sich die Spitaleintritte bei der arbeitenden Bevölkerung seit Anfang März verdreifacht hatten. «Das sind fitte Menschen, die jetzt alle schwere Verläufe haben.» Sie zeigte kein Verständnis für die Argumentation von Aeschi und fragte direkt an ihn gewandt: «Warum kann man jetzt nicht noch ein wenig Geduld haben? Es geht ja nicht um Jahre, sondern um wenige Monate bis der Grossteil der Bevölkerung geimpft ist.»
Aeschi argumentierte, dass man doch nicht allen 8,7 Mio. Menschen im Land sagen könne, sie müssten jetzt weiter zuhause bleiben. «Das Virus wird schliesslich auch nicht weggehen. Jetzt haben wir die indische Mutation, vorher die aus Grossbritannien und es werden sicher auch noch weitere kommen.»
Man müsse auch realistische Gesetze verabschieden, so der Nationalrat weiter, denn sonst würden sich die Leute nicht mehr an die Massnahmen halten und es entstünden genau solche «Widerstandsbewegungen.» Es ist anzunehmen, dass er damit die Corona-Skeptiker-Demonstrationen meinte. «Es braucht einen Mittelweg – jetzt einfach den ganzen Sommer alles zulassen, das kann es einfach nicht sein.»
Stadler: «Schutzphase bietet keinen Schutz für Nicht-Geimpfte»
Stadler liess nicht locker: «Wir haben momentan kaum Immunität in der Bevölkerung. Durch Ansteckung vielleicht maximal 20 Prozent, dann noch ein paar Geimpfte. Erst bei etwa 80 Prozent gibt es aber keine grossflächige Zirkulation mehr und dann kann man wieder viel mehr unternehmen.»
Um dorthin zu kommen, gebe es zwei Möglichkeiten: «Wir können dies erreichen, indem sich nochmals extrem viele Leute anstecken und wir hohe Gesundheitskosten haben – oder wir impfen.»
Die Expertin hielt fest, dass sie den 3-Phasen-Plan als Perspektive, etwa in Bezug auf die psychische Belastung, sehr gut finde. Doch was ihr missfalle sei etwa die Definierung der ersten Phase (Schutzphase). «Basierend auf allen dortigen Kriterien ist für die Bevölkerung, die noch nicht Zugang zur Impfung hatte, kein Schutz gegeben.»
Stadler richtete ihre Worte in diesem Moment erneut direkt an Aeschi und sagte: «Ich habe sie vorhin gefragt, wie hoch sie glauben, dass das Risiko eines Spitalaufenthaltes für sie wäre. Ich habe gegoogelt wie alt sie sind. Das Risiko bei einer Ansteckung im Spital zu landen, liegt bei ihnen bei 2,5 Prozent – und das ist ja nicht, nichts.»