Das steckt hinter dem Angstphänomen Nomophobie
Das Smartphone einfach mal weglegen? Vielen Menschen fällt das heutzutage schwer und löst in ihnen Angst und Stress aus. Dieses neue Phänomen heisst Nomophobie.
Das Wichtigste in Kürze
- Nomophobie ist ein neuartiges Angstphänomen.
- Es beschreibt die Angst davor, über das Smartphone nicht erreichbar zu sein.
- Der Begriff stammt aus dem Englischen und ist die Abkürzung für «No-Mobile-Phone-Phobia.
Leerer Akku oder schlechte Internetverbindung? Auch wenn das Smartphone nur vorübergehend nicht zum Einsatz kommen kann, löst das in vielen Stress aus.
Der kann so weit reichen, dass das Angstphänomen Nomophobie ausgelöst wird. Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, verrät im Interview, was es damit auf sich hat und wie Betroffene lernen, einfach mal abzuschalten.
Was ist eine Nomophobie?
Dr. Andreas Hagemann: Mails, Smartphone und Messenger-Dienste wie WhatsApp halten uns pausenlos auf Trab. Sich rund um die Uhr übers Handy auszutauschen, ist für viele längst wesentlicher Bestandteil ihres Alltags geworden.
Schon der Gedanke, eventuell auch nur kurzzeitig ohne Verbindung und soziale Kontakte zu sein, lässt da den Stresslevel oftmals rapide hochschnellen. Diese «Trennungsangst» nennt sich Nomophobie - abgeleitet von «No-Mobile-Phone-Phobia».
Neben der Angst etwas zu verpassen, spielt dabei sicherlich auch der selbst auferlegte Erwartungsdruck eine grosse Rolle.
Das heisst: Ich denke, dass das Gegenüber eine sofortige Antwort erwartet und ich entspreche nicht den Erwartungen, ich enttäusche.
Welche Personengruppen leiden besonders häufig darunter?
Hagemann: Häufig betroffen sind Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die ihr Handy so gut wie nie zur Seite legen.
Zunehmend häufig stecken hinter dem eigentlich relativ harmlosen Phänomen ein behandlungsbedürftiges Suchtverhalten oder andere psychische Erkrankungen (beispielsweise Angst- und Zwangsstörungen oder eine soziale Phobie).
Was sind typische Symptome für eine Nomophobie?
Hagemann: Ist das Handy einmal nicht zur Hand oder fallen Akku oder das Netz aus, so reagieren Menschen mit einer Nomophobie nervös auf die für sie beklemmende Situation.
Verunsicherung und innere Unruhe sind ebenso typische Symptome wie Zittern oder Schweissausbrüche.
Was können Betroffene tun?
Hagemann: Zu lernen, für gewisse Zeiten wieder ohne Handy auszukommen, ist generell einer der wichtigsten Therapieschritte - und auch bewährte Präventiv-Massnahme.
Wer sein Smartphone nicht ab und zu offline schaltet, der riskiert eine permanente Überflutung an Nachrichten, Bildern und weiteren Informationen. Nicht ständig erreichbar zu sein, schafft mehr persönliche Freiräume und fördert zudem den Stressabbau.
Ebenso hilfreich und entspannend ist es, das ständige Multitasking zu beschränken, also beispielsweise neben dem Telefonieren nicht gleichzeitige Mails zu checken oder im Internet zu surfen.
Diese parallelen Tätigkeiten überfordern unser Gehirn. Denn es ist schlicht und einfach nicht in der Lage, sich gleichzeitig auf zwei komplexe Tätigkeiten zu konzentrieren.
Die Folge: Unsere Leistungsfähigkeit wird nicht gesteigert, sondern gedrosselt. Wir springen in den Themen hin- und her und müssen uns gedanklich jedes Mal neu hineinarbeiten.
Letztendlich gelingt nichts richtig.
Mein Tipp: Sich besser nacheinander auf jeweils eine Sache konzentrieren, statt stets zwischen zwei komplexen Aufgaben hin und her zu springen. Ansonsten ist negativer Stress buchstäblich programmiert.
Wird Nomophobie auch therapeutisch behandelt?
Hagemann: Aufgrund des neuen Krankheitsbildes gibt es noch keine fundierten Erkenntnisse über die Wirksamkeit verschiedener psychotherapeutischer Möglichkeiten.
Da das Verhalten und die Symptome der Betroffenen anderen Süchten und Ängsten ähneln, ist die dort in der Regel angewendete kognitive Verhaltenstherapie wahrscheinlich hilfreich.
Existieren primäre, also vorausgehende Störungen, so stehen diese im Mittelpunkt der konventionellen Behandlung.
Hinter dem meist relativ harmlosen Phänomen können ein behandlungsbedürftiges Suchtverhalten oder andere psychische Erkrankungen wie etwa Angst- und Zwangsstörungen stecken.
Von Einkaufslisten schreiben bis Nachrichten lesen: Unser Alltag findet inzwischen überwiegend digital statt. Wie schafft man es dennoch, sein Smartphone wegzulegen, ohne dabei gestresst zu sein?
Hagemann: Hilfreich ist es, selbst einmal zu überprüfen, wie viele Stunden man täglich online ist. Das Ergebnis wird manchen überraschen und eventuell zum achtsameren Handy-Umgang motivieren.
Nicht umsonst haben einige grosse Firmen die Weiterleitung von Emails ausserhalb der Kernarbeitszeiten abgestellt, da eine fehlende Regeneration auf Dauer zu schlechteren Arbeitsleistungen führt.
Hilfreich gegen digitalen Stress ist auch die Stummschalt-Möglichkeit von Handy oder Laptop, um ungestört arbeiten oder entspannen zu können. Ich empfehle, sich generell feste Auszeiten zu nehmen.
Bereits eine Viertelstunde täglich «abgezwackt» für die eigenen Bedürfnisse, hilft dabei, dem Stress mental entgegenzusteuern. Stressbewältigungstechniken und Entspannungsmethoden wie die Progressive Muskelrelaxation oder Yoga/Meditation bringen ebenfalls mehr Ruhe ins Leben.