Informationskompetenz: Das ist Desinformation «von oben»
Bei politischen Wahlen spielt die Verbreitung von Fake News eine immer grössere Rolle. Fehlinformationen gelangen auch durch Politiker an die Bevölkerung.
Das Wichtigste in Kürze
- Sorge um Desinformationskampagnen bei den Wahlen in den USA oder Taiwan.
- Die Diskussion um hyperrealistische Bots ignoriert die Rolle der politischen Elite.
- Fehlinformationen kommen oft von ganz oben.
Während in der Schweiz die nationalen Wahlen vorbei sind, stehen in diesem Jahr international wichtige Wahlen an. So werden im April und Mai Wahlen in Indien und Südafrika durchgeführt. Im Juni folgen die Europawahlen.
Einen grossen Einfluss werden insbesondere die amerikanischen Wahlen im November haben. Sie bestimmen voraussichtlich den weiteren Verlauf des Ukrainekrieges massgeblich. Bereits in der ersten Januarhälfte finden in Taiwan Präsidentschaftswahlen statt – seit langem wird das Land von einer Flut von Fake News überschwemmt. Experten schreiben der Volksrepublik China eine zentrale Rolle zu.
Bedrohte Wahlen durch hyperrealistische Bots
Bei allen Wahlen ist die Sorge vor Desinformationskampagnen gross. Die Bürger müssen zu Recht auf der Hut sein und ihre Informationskompetenz stärken. Vielfach wird darauf verwiesen, dass die neuen Technologien die massive Verbreitung von Desinformation und Fake News fördern. Insbesondere die rasante Entwicklung zur künstlichen Intelligenz wird dabei hervorgehoben.
Vor allem politische Dokumente konzentrieren sich hartnäckig auf die möglichen Auswirkungen neuer Technologien. Erst kürzlich hat beispielsweise das britische National Cyber Security Centre (NCSC) davor gewarnt, dass «von KI erstellte hyperrealistische Bots die Verbreitung von Desinformationen erleichtern».
Vertrauenskrise durch politische Elite
Die öffentliche Diskussion zu diesem Thema ignoriert aber die wichtigste Quelle: die Mitglieder der politischen Elite. Die Debatten stimmen nach wie vor in bemerkenswerter Weise nicht mit den Erkenntnissen der Forschung überein. Akademische Erkenntnisse betonen immer wieder den tatsächlichen Einfluss der Politik.
In den USA dokumentierte die Washington Post mindestens 30’573 falsche oder irreführende Behauptungen von Donald Trump als Präsident. Im Vereinigten Königreich veröffentlichte die gemeinnützige Organisation FullFact, dass 50 Abgeordnete falsche oder irreführende Behauptungen trotz Aufforderung nicht korrigieren wollten. Darunter befanden sich auch zwei Premierminister.
Kein neues Phänomen
Dies sind tatsächliche Probleme mit Desinformationen, und das Phänomen ist nicht neu. Schon die Regierungen von George W. Bush und Tony Blair haben im Vorfeld des Irakkriegs falsche und irreführende Behauptungen aufgestellt. Und viele prominente Politiker leugnen die Realität des vom Menschen verursachten Klimawandels.
Dieser grundlegende Punkt fehlt auffallend in vielen politischen Dokumenten – der NCSC-Bericht beispielsweise sagt nichts über die Innenpolitik aus. Damit ist er nicht allein. Nehmen wir das Gutachten des US Surgeon General aus dem Jahr 2021 über die Bekämpfung von Fehlinformationen im Gesundheitsbereich, das einen «gesamtgesellschaftlichen» Ansatz fordert – und dennoch nichts über Politiker enthält.
Grosse Wirkung durch Desinformation «von oben»
Dieses Versäumnis ist problematisch, weil Fehlinformationen, die von oben kommen, wahrscheinlich eine viel grössere Wirkung haben als die aus den meisten anderen Quellen. Die Menschen schenken dem, was prominente Politiker sagen, mehr Aufmerksamkeit. Diese Tatsache ist hinreichend untersucht.
In der Zwischenzeit bleibt die politische Diskussion in der Frage stecken, wie KI-generierte Inhalte überwacht werden können. Natürlich wird es bei verschiedenen Wahlen im nächsten Jahr Beispiele für KI-generierte Fehlinformationen, Bots und Deepfakes geben.
Die Schlüsselfrage ist jedoch, wie Politiker diese Werkzeuge einsetzen werden. Wenn es um die schwerwiegendsten Fehlinformationen geht, ist diese meist hausgemacht. Daran wird auch die Technologie oder eine hohe Informationskompetenz nichts ändern. Also sollten wir aufhören, die Öffentlichkeit zu täuschen und zugeben, dass Fehlinformationen oft von ganz oben kommen.