Erlebnis im Winter: Mit dem Ballon durch Tirol
Bei klirrender Kälte Ballonfahren? Klingt nach eingefrorenen Fingern. Doch der Winter ist die beste Zeit für eine Fahrt im Korb. Ein Bericht aus Tirol.
Das Wichtigste in Kürze
- Vom 21. bis 28. Januar2023 findet das nächste «Kaiserwinkl Alpin Ballooning» statt.
- Ballonfahrerteams aus aller Welt steigen bei diesem Anlass in die Luft auf – ein Erlebnis.
- Interessierte können Mitfahrten buchen.
Es zischt und faucht über den Köpfen der Passagiere. Lautstark schiesst die Flamme unter die Ballonhülle.
Pilot Heinz Reiter prüft den Gasbrenner und verzichtet vor den drei Ballonneulingen in seinem Korb nicht auf den typischen Scherz aus der Szene: «Ist meine erste Fahrt heute.»
Reiter lacht und erinnert sich an seine wahren Anfänge Ende der Neunzigerjahre, als er den Pilotenschein machte. Bei jeder Fahrt fühlt er sich aufs Neue «von der Erde entkoppelt».
Reiter ist jedes Jahr in Aktion, wenn sich die Winterlandschaft über Tirol beim traditionellen «Kaiserwinkl Alpin Ballooning» spektakulär mit Heissluftballons füllt.
Die nächste Ballonwoche findet vom 21. bis 28. Januar 2023 statt, wenn nach der coronabedingt bescheidenen Teilnehmerzahl im Vorjahr wieder Dutzende Ballonfahrerteams aus aller Welt aufsteigen.
Dabei geht es weniger um Wettkampfgedanken als um den Spass- und Erlebnisfaktor.
Vertrauen ist gefragt
Passagiere können Mitfahrten buchen, sollten sich aber vor einem verbalen Anfängerfehler hüten, wollen sie nicht zum Gespött der Könner werden.
«Wir fliegen nicht, wir fahren», klärt Hobbypilot Reiter auf, ein waschechter Tiroler und im Hauptjob Kommunikationstechniker.
Vor dem Thrill in der Luft gibt er den Gästen seine Gebrauchsanweisung mit auf den Weg:
«Nicht verkrampfen, einfach entspannen und die Aussichten geniessen. Man muss sich auf die Sache einlassen und Vertrauen in die Technik und den Piloten haben, so, wie wenn man in den Flieger steigt oder in den Zug.»
Gleichzeitig versucht er, die Sorge vor Höhenangst zu entschärfen: «Das ist ganz anders als im Hochhaus auf einen Balkon rauszugehen, was unangenehm sein kann. Das passiert im Ballon nicht.»
Er steigt und steigt und steigt
Und schon geht es los bei minus neun Grad vor einem morgendlich blauen Himmel auf einer Wiese bei Kössen.
Der Start ist sanft und behäbig. Zeitlupentempo. Nur langsam gewinnt der Ballon an Höhe, doch er steigt und steigt.
In der Tiefe schrumpfen Strassen und Bäume, verlieren sich Reifenspuren im Schnee, breitet sich der zugefrorene Walchsee aus. Gleissendes Weiss vermengt sich mit Eisblau.
Im Gegenlicht erscheinen Alpenspitzen. Gebirgszüge wie der Zahme Kaiser und der Wilde Kaiser zeigen ihre frostkalten Flanken. Im Tal verharren letzte Frühnebelbänke. Ein Wintertraum.
Oben fühlt man sich entrückt vom Rest der Welt, wie schwerelos in einer Blase schwebend durch Raum und Zeit. Es ist, als würde nicht der Pilot das Heft in der Hand halten, sondern eine höhere Kraft den Ballon an unsichtbaren Marionettenfäden bewegen.
Atemwölkchen entweichen in der Kälte den Mündern. Viel Platz ist nicht im Korb. Auf Komfort verzichtet man bei diesem Schauspiel gerne.
Vorzüge des Winters
Andere Ballons punktieren den Himmel. Man wagt kaum zu reden. Reiter bricht das Schweigen, indem er den Vorzug des Winters für Fahrten herausstellt:
«Die Luft ist kühler und schwerer als im Sommer, also hat man besseren Auftrieb. Im Sommer muss man sehr früh aufstehen.»
Jede Ballonfahrt sei anders. Er komme in Gegenden, in die er sonst nicht finden würde.
In der Ferne gerät das bayerische Voralpenland in Sicht, Reit im Winkl, der Chiemsee. Dann nimmt der Pilot Funkkontakt zu seiner Kollegin Irmgard Moser auf, die in der Nähe vorantreibt und in Ballonfahrerkreisen gleichermassen Urgestein wie Exotin ist.
«Es ist sehr schwierig gewesen, aber ich habe mich durchgeboxt», wird sie später am Boden über ihren Einstieg in eine Männerdomäne sagen.
Was macht für sie Ballonfahren aus? «Die Freiheit, die Welt von oben anders zu sehen», antwortet die 60-Jährige, die sich als «Luftmensch» bezeichnet und sonst als Küchenleiterin in einem Pflegeheim arbeitet.
Landung im Ungewissen
Reiter prüft die Gasvorräte. Alles okay. Seine Gäste bereitet er bei Kössen aufs Landemanöver und etwaige Unwägbarkeiten vor: «Man muss den Wind richtig interpretieren. Wo genau man landet, kann man nicht vorausschauen.»
Ihm sei die «Landeart Hofrat» am liebsten, bei der der Korb stehend aufsetzt. Schleiflandungen, bei denen der Ballonkorb kippen kann, seien selten.
Immer sinnvoll: «Handys und Kameras verstauen, Knie leicht anwinkeln vor dem Aufsetzen.»
In der Sonne zuckt der Ballonschatten über einen Fussballplatz, Häuser, das Flüsschen Grossache. Enten nehmen schnatternd Reissaus vor dem herabsinkenden Flugobjekt. Leute winken.
Pilot Reiter gibt noch einmal Feuer und bringt den Ballon neben einer Loipe runter. Die Langläufer nehmen es gelassen.
Die Passagiere helfen mit, aus 1000 Quadratmetern Stoff die Luft rauszupressen, das Ganze in einen Überzug zu stopfen und samt Korb zurück auf den Hänger zu verladen.
Abschluss des Abenteuers ist die Ballontaufe mit launigen Sprüchen, Sekt und einer Urkunde.
Aber das erscheint künstlich und aufgesetzt. Dazu wirkt der Rausch der Stille zwischen Himmel und Erde zu intensiv nach.