Templestay in Südkorea: Innere Einkehr und etwas Fussball
Einige Tage Auszeit vom Alltagsstress: Das versprechen Templestays in buddhistischen Tempeln in Südkorea. Unser Autor hat es ausprobiert.
Das Wichtigste in Kürze
- Mit dem Programm Templestay locken 130 südkoreanische Kloster zu Tagen innerer Einkehr.
- Templestay hat seinen Ursprung in der Fussball-WM 2002, als Unterkünfte gesucht wurden.
- Experten bestätigen: Menschen sind nach einem Templestay glücklicher!
Das also wird meine Bleibe für die nächsten Tage sein: eine kleine, schmucklose Kammer ohne Schrank und Bett. Die Matte auf dem Boden muss zum Schlafen reichen, die weltlichen Klamotten bleiben im Koffer.
Wie alle anderen trage ich ab sofort ein einfach geschnittenes Gewand aus grobem Leinen, das bei den recht kühlen Temperaturen im Bergland eher notdürftig wärmt.
Dennoch habe ich den ständigen Mitbewohnern einiges voraus: Meine Kammer hat Fussbodenheizung und ein kleines Bad mit Toilette.
Schierer Luxus im Beopjusa-Tempel im Herzen Südkoreas, in dem ich zwei Tage lang mit buddhistischen Mönchen leben, meditieren und beten will.
Mal kurz aussteigen
Templestay heisst das Programm, mit dem rund 130 südkoreanische Klöster Einheimische und Touristen aus aller Welt zu einem Aufenthalt der besonderen Art einladen: zu Tagen der inneren Einkehr, der Besinnung und Enthaltsamkeit.
Das Angebot nehmen jedes Jahr einige hunderttausend Besucher an, vorwiegend Koreaner, doch auch viele Europäer sind darunter.
Der Tagesablauf in einem buddhistischen Kloster ist, vorsichtig gesagt, gewöhnungsbedürftig und kostet manche Überwindung.
Gegen drei Uhr morgens geht der Wecker. Wer ihn überhört, fährt spätestens beim Schlagen der mächtigen Trommel im Tempel von der Schlafmatte hoch.
Mehr als 100 Mal in die Knie
Es ist der Ruf zur morgendlichen Gebetszeremonie in der grossen Halle, zum ersten «Yebul» mit 108 «Baekpalbae»: 108-mal gehen die Mönche zu Ehren der Lehren und Leiden Buddhas auf ihre Knie, stehen auf und werfen sich erneut nieder.
Weil jeder weiss, wie quälend die Prozedur sein kann, nimmt es Besuchern niemand übel, wenn sie – wie ich – mit schmerzendem Rücken schon nach weit weniger als der Hälfte aufgeben.
Ohnehin ist es den Gästen freigestellt, ob sie jede Zeremonie mitmachen oder manchmal auch etwas Zeit für sich allein haben möchten.
Während die Mönche vor dem Frühstück noch fast drei Stunden beten und im (mir erneut zu anstrengenden) Schneidersitz meditieren, mache ich mich ein wenig mit der Kloster-Anlage vertraut.
Sie liegt, gut zwei Autostunden von der Hauptstadt Seoul entfernt, wunderschön an den Hängen des Songnisan-Berges im gleichnamigen Nationalpark und ist ein ausgesprochener Touristenmagnet.
Berühmt geworden ist der Tempel zum einen durch seine 33 Meter hohe Buddha-Statue. Sie überragt jedes der insgesamt 60 Kloster-Gebäude.
Zum anderen kennen viele im Land den Tempel wegen der fünfstöckigen Holz-Pagode. Sie sieht als einzige in Südkorea noch immer so aus, wie sie vor rund 1500 Jahren erbaut wurde.
Streng vegane Kost
In Hochzeiten sollen in Beopjusa bis zu 3000 Mönche gelebt haben. Heute zählt das Kloster maximal 40 Mönche, die noch immer nach alten, strengen Regeln und Riten leben. Das Beten und Meditieren wird nur unterbrochen von Arbeit und drei Mahlzeiten am Tag.
Was in die Schalen kommt, ist streng vegan: dreimal am Tag Gemüse, Reis und Kimchi. Dazu gibt's Wasser, manchmal Tee.
Während des Essens herrscht Schweigepflicht und niemand darf auch nur ein Körnchen Reis verschwenden. In strengen Klöstern muss sogar das Wasser getrunken werden, mit dem die Essensschälchen gespült werden. In Beopjusa bleibt uns das erspart.
Die Mönche wirtschaften
Bei Sonnenuntergang lädt Jl-O, der zur Führung im Kloster gehört, die Gäste zur Teestunde ein. Gern lässt sich der in sich ruhende Mittvierziger ausfragen. Und dabei zeigt sich, dass die Zeit auch in Beopjusa nicht stehen geblieben ist.
Längst leben die Mönche dort nicht mehr von den Speisen- oder Geldspenden der Menschen aus der Umgebung. Ihre Einnahmen kommen aus dem respektablen Grundbesitz des Klosters, den Parkgebühren und Eintrittsgeldern - genug, um gut über die Runden zu kommen.
Während um 21 Uhr draussen in den Schlafsälen die Lichter ausgehen – für einfache, junge Mönche ist jetzt Bettruhe – ist die Teezeit bei Jl-O noch nicht vorbei.
«Ich muss wie meine älteren Brüder nicht so früh schlafen gehen», sagt er lachend. Manchmal schauten sie am Abend auch ein Fussballspiel an. «Wir stellen den Fernseher dann auf ganz leise, damit wir die anderen nicht wecken.»
Die WM als Startschuss
Dem Fussball verdankt das Templestay-Programm seine Existenz. Als bei der Fussball-WM 2002 in Südkorea die Hotelbetten knapp wurden, boten sich die Tempel als Gastgeber an.
Wissenschaftler des Seoul National University Hospitals schreiben den Tempelaufenthalten eine durchaus heilende Wirkung zu:
Nach einer über drei Jahre laufenden Studie kamen sie zum Schluss, dass Menschen, die auch nur einen kurzen Templestay mitgemacht haben, sich glücklicher, weniger ängstlich oder gestresst fühlen.
Jl-O würde diesen Befund unbesehen unterschreiben. In seinem früheren, weltlichen Dasein war er Kameramann. Irgendwann habe er sich gefragt, «was der Sinn dieses hektischen und konsumorientierten Lebens sein soll»?
Dann ist er ins Kloster gegangen. Manchmal trifft Jl-O sich noch mit Freunden von einst. «Dann freue ich mich schon, aber ich spüre doch, dass wir in zwei Welten leben.»