Alliance F: Warum Kansas politisch Hoffnung macht

Anne-Sophie Keller
Anne-Sophie Keller

USA,

Im erzkonservativen Kansas scheitert die Abschaffung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch. Das macht nicht nur anderen US-amerikanischen Staaten Mut.

Referendum über Recht auf Abtreibung in Kansas
Referendum über Recht auf Abtreibung in Kansas - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Der oberste Gerichtshof der USA hat Roe v. Wade gekippt.
  • In Kansas scheiterten Konservative nun mit der Abschaffung des Rechts auf Abtreibung.
  • Das macht Anne-Sophie Keller im Gastbeitrag von alliance F Mut.

«Toto, I have a feeling we're not in Kansas anymore!» Das Zitat aus dem 1939er-Kultfilm «The Wizard Of Oz» wurde im englischsprachigen Raum unlängst zum geflügelten Wort für Umstände, mit denen man nicht gerechnet hätte. Etwa so ging es mir, als ich Anfang August über die neusten Entwicklungen der Abtreibungsfrage im besagten US-Gliedstaat las. Ich war zum ersten Mal seit Langem positiv vom selbsternannten Land der Freien und Tapferen überrascht.

Zunächst sah die Sache düster aus: Kansas gilt als einer der konservativsten Staaten der USA. Als der Oberste Gerichtshof am 24. Juni 2022 Roe v. Wade, also die 1973 gefällte Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht fallen liess, deuteten zahlreiche Umfragen darauf hin, dass das Recht im republikanisch dominierten Gliedstaat ebenfalls gekippt werden würde.

Abtreibungsverbot
Demonstranten füllen die Strasse vor dem Obersten Gerichtshof nach der Entscheidung des Gerichts, Roe v. Wade zu kippen, in Washington, 24. Juni 2022. - Keystone

Immerhin bedrohten dort in den 90ern militante Gegner vor Abtreibungskliniken Schwangere und erschossen später den für Spätabtreibungen bekannten Arzt George Tiller. Die 2018 erschienene Netflix-Produktion «Reversing Roe» hat dies eindrücklich aufgezeigt und auch bei mir Spuren hinterlassen. Ich hätte mir gewünscht, der Dokfilm wäre weniger aktuell.

Kansas stellt sich hinter Recht auf Abtreibung

Doch es kam anders. In einer Volksbefragung lehnten rund 60 Prozent die entsprechende Vorlage in Kansas nun überraschend ab. «Dieses Votum macht deutlich, was wir wissen: Die Mehrheit der Amerikaner stimmt zu, dass Frauen Zugang zu Abtreibung haben und das Recht haben sollten, ihre eigenen Entscheidungen über die Gesundheitsfürsorge zu treffen», liess US-Präsident daraufhin in einem Statement verlauten.

«Kansas For Constitutional Freedom», eine der Hauptgruppen, die sich gegen die abtreibungsfeindliche Verfassungsänderung eingesetzt hatte, nannte das Resultat «gewaltig und ausschlaggebend». Denn dieses Jahr wird in den US-Staaten eine rekordhohe Anzahl an Abtreibungs-Vorlagen zur Abstimmung kommen.

kansas abtreibung
Aktivisten feiern die ersten Ergebnisse des Referendums in Overland Park. In Kansas zeichnet sich eine klare Mehrheit für ein weiterhin von der Verfassung geschütztes Abtreibungsrecht ab. - Tammy Ljungblad/The Kansas City Star/AP/dpa

Auch die Zivilbevölkerung wurde aktiv: Gemäss dem Rundfunk-Syndikat NPR haben in Michigan mehr als 750’000 registrierte Wähler*innen eine Petition unterzeichnet, die die Wählerschaft dazu bringen würde, über die Aufnahme des Abtreibungsrechts in die Staats-Verfassung abzustimmen.

In den USA, wo politisch seit Jahren selbst die absurdesten Szenarien als möglich gelten, scheint also doch noch nicht alles verloren zu sein. Die Abtreibungsfrage gilt bei den Republikanern seit Ronald Reagan als Aushängethema und somit Garantie für konservative Wähler*innenstimmen.

Abtreibungsrecht auch in der Schweiz ein Thema

Auch hierzulande mobilisieren konservative Kräfte mangels alternativer Themen derzeit für zwei Vorlagen zur Einschränkung des Abtreibungsrechts: Bis Juni 2023 sollen für die sogenannten «Einmal-darüberschlafen-Initiative» und die «Lebensfähige-Babys-retten-Initiative» 100’000 Stimmen gesammelt werden. Der Weg dorthin dürfte werden wie die Namen der Initiativen: holprig.

Im Frühling drohte eine dritte, noch restriktivere Initiative. Die «Herzschlag-Initiative» nach «texanischem Vorbild» - und mit deutlich eingängigerem Namen - forderte ein totales Abtreibungsverbot nach der sechsten Woche. Im Sommer krebste Mitinitiant und SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal auf Anfrage von Nau.ch zurück: «Das wäre in der Schweiz heute ein zu grosser Schritt.»

gynäkologe
In der Schweiz haben Frauen seit 20 Jahren das Recht auf Abtreibung. (Symbolbild) - Pexels

Was momentan oft vergessen geht: Es geht bei der aktuellen Debatte um so viel mehr als die Frage, ob man abtreiben darf oder nicht. Ein Abtreibungsverbot hätte verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen; ihr Leben wäre de facto weniger wert als das eines ungeborenen Kindes. Das würde die Stellung der Frau auf gesamtgesellschaftlicher Ebene um Jahrzehnte zurückwerfen.

Es gibt Hoffnung

Die aktuellen Bestrebungen aus konservativen Kreisen sind zudem ein gezieltes Mittel, armutsbetroffene Menschen weiterhin zu benachteiligen. Ein Verbot würde sie mit voller Härte treffen, denn: Je grösser das Einkommen, desto grösser auch die Möglichkeiten, sich bei einem allfälligen Verbot anderweitig Hilfe zu holen.

Auf einer dritten Ebene geht es gesamtgesellschaftlich um nicht weniger als Freiheit, Selbstbestimmung - und Privatsphäre. Jeder Mensch sollte unabhängig vom Staat darüber entscheiden können, ob er eine Familie gründen will oder nicht.

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Wenns also auf der anderen Seite des grossen Teichs diesbezüglich einen Restfunken Vernunft geben soll, dann bleibt auch für die kleine Schweiz Hoffnung.

Während sich Oz-Titelheldin Dorothy mit ihrem Hund Toto in neuen Gefilden wiederfindet, hat ihr berühmter Ausruf übrigens noch einen zweiten, weniger oft zitierten Teil: «Toto, I have a feeling we're not in Kansas anymore. We must be over the rainbow!» Für den Moment reicht mir der Silberstreifen am Horizont.

Zur Autorin: Anne-Sophie Keller (32) engagiert sich seit Jahren für die Gleichstellung der Geschlechter und wurde 2017 zur Gesellschaftsjournalistin des Jahres nominiert. Seit 2022 arbeitet die Journalistin und Autorin als Projektleiterin Kampagnen und Kommunikation bei alliance F.

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Anne-Sophie Keller (32) arbeitet als Projektleiterin Kampagnen und Kommunikation bei alliance F. - zvg / Anja Wurm

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