Bedächtiger Biden, polternder Trump: US-Bürger haben eine klare Wahl
Joe Biden tritt in leisen Tönen als einender Staatsmann und Kämpfer gegen Rassismus auf, Donald Trump hingegen als lautstark polternder Verfechter von Recht.
Biden sprach wegen des Coronavirus vor laufenden Kameras mit Schutzmaske, Trump hingegen verzichtete darauf und erklärte die Pandemie fast für besiegt. Zwei Monate vor den US-Wahlen hätten der demokratische Präsidentschaftskandidat und der Amtsinhaber den Kontrast zwischen ihren Botschaften und Persönlichkeiten kaum deutlicher zeigen können.
Biden besuchte am Donnerstag die Stadt Kenosha, die zuletzt nach Schüssen eines Polizisten auf einen Schwarzen von Protesten und Ausschreitungen erschüttert worden war. In einer Kirche warb er im Gespräch mit wenigen geladenen Gästen - unter Einhaltung der Corona-Regeln - dafür, sich der «Ursünde» Amerikas zu stellen, dem Rassismus. Trump hingegen liess sich am Donnerstagabend (Ortszeit) von teils dicht gedrängten Anhängern auf einem Flughafen im Bundesstaat Pennsylvania feiern. Er versprach vier weitere Jahre seiner Politik «Amerika zuerst» und griff Biden unter dem Jubel seiner Anhänger massiv an.
Bidens Reise nach Kenosha im Bundesstaat Wisconsin war von vorneherein als Kontrastprogramm angelegt, denn erst am Dienstag hatte Trump die Stadt besucht. In Kenosha konnten die Wähler in den USA daher innerhalb von 48 Stunden gut sehen, wie ihr nächster Präsident mit einer solchen Situation umgeht. Biden sprach von einer Stadt, die Heilung braucht; Trump hingegen kam, um Stärke nach dem Ende der Krawalle zu demonstrieren.
Trump hatte den schwer verletzten Afroamerikaner Jacob Blake, dem ein Polizist sieben Mal in den Rücken geschossen hatte, in Kenosha gar nicht erst erwähnt. Biden und seine Frau Jill wiederum sprachen rund eineinhalb Stunden mit Blakes Familie. Jacob Blake war zeitweise per Telefon aus dem Krankenhaus dabei. Biden pries danach, wie tapfer der 29-Jährige trotz seiner schweren Verletzungen sei: «Er sprach davon, wie er sich durch nichts besiegen lassen wird. Wie er nicht aufgeben wird, egal, ob er wieder laufen kann oder nicht.» Blake ist nach den Schüssen, die seine Wirbelsäule verletzten, von der Hüfte abwärts gelähmt.
Bei Trumps Besuch war es nur darum gegangen, wie die Stadt unter den Ausschreitungen gelitten hatte und wie die Sicherheitskräfte das Chaos beendet und «Recht und Ordnung» wieder hergestellt hätten. Im Raum waren bei Trumps Auftritt hauptsächlich Vertreter der Sicherheitskräfte und Unternehmer, die Trump nacheinander berichten liess. Was die Proteste ausgelöst hatte, kam nicht zur Sprache.
Biden hingegen hörte sich in einer Kirche in Kenosha die Sorgen von Vertretern der Zivilgesellschaft an. Die ergreifendsten Worte hörte er von der Afroamerikanerin Porsche Bennett. Sie habe von ihrer Gruppe schwarzer Aktivisten eine Rede mit Forderungen bekommen, wolle aber mit ihren eigenen Worten sprechen, leitete sie ihren Auftritt ein. «Die Wahrheit ist, wir sind mächtig wütend», sagte Bennett und prangerte eine alltägliche Ungleichbehandlung an. Selbst mit ihren 31 Jahren habe sie genug davon gesehen. «Wir wollen die exakt gleichen Rechte wie andere.»
Biden bemühte sich dann, die richtigen Worte zu finden. Ihm sei bewusst, dass er als Weisser nie den Rassismus am eigenen Leib erlebt habe, räumte er ein. «Ich kann nicht begreifen, wie es ist, aus der Tür zu gehen oder meinen Sohn oder meine Tochter rauszuschicken - und mir Sorgen zu machen, dass sie nicht zurückkommen könnten, nur weil sie schwarz sind», sagte Biden. «Ich kann es nicht intellektuell verstehen, aber ich kann es fühlen.»
Er werde bis zum Schluss gegen Rassismus und für Gleichberechtigung kämpfen. «Egal, ob ich gewinnen oder verlieren werde», versprach Biden. Die Proteste nach dem Tod des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz im Mai hätten zu einer längst überfälligen Debatte über strukturellem Rassismus geführt, sagte Biden. «Wir werden uns mit der Ursünde dieses Landes befassen, sie ist 400 Jahre alt. Es ist die Ursünde der Sklaverei und all ihre Überreste.» Biden sprach langsam und besonnen - und behielt die ganze Zeit seine Maske an, weswegen sein Atmen teils deutlich zu hören war.
Trump hingegen hat zu Einzelfällen von Polizeigewalt Bedauern geäussert, etwa zum Fall Floyds. Er bestreit jedoch, dass es in Amerika strukturellen Rassismus gebe und bezeichnet Demonstranten daher auch gerne als unamerikanisch. Am Donnerstag stieg er in der Stadt Latrobe direkt aus seinem Flugzeug auf die Bühne. «Bei dieser Wahl geht es um Sicherheit. Bei dieser Wahl geht es um Jobs», verkündete er vor Hunderten Anhängern. Sie sollten nach Angaben der Organisatoren zwar Masken tragen, auf Fernsehbildern war aber zu sehen, dass sich viele nicht daran hielten. Hunderte Anhänger schafften es nicht mehr auf den Flugplatz und mussten wieder umkehren, die Veranstaltung hatte die Kapazitätsgrenze erreicht.
Trump feuerte die Stimmung auch noch an, indem er sich darüber lustig machte, dass Biden in der Öffentlichkeit stets mit Maske zu sehen ist. «Haben Sie jemals einen Mann gesehen, der so gerne eine Maske trägt wie er?», fragte Trump zum Gelächter der Menge. Und dann lasse er auch noch die Maske von einem Ohr runterhängen - weil sie ihm das Gefühl von Sicherheit gebe, verriet Trump. «Wenn ich ein Psychiater wäre, würde ich sagen, der Junge hat eine Menge Probleme.» Die USA bewegen sich unterdessen auf die Marke von 190 000 Corona-Toten zu.