Staatsanwalt: Chauvin direkt für Floyds Tod verantwortlich
Der Tod von George Floyd in den USA hatte wochenlange Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst. Nun steuert der Prozess gegen einen weissen Ex-Polizisten auf das Ende zu.
Das Wichtigste in Kürze
- Der weisse Ex-Polizist Derek Chauvin ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft für die Tötung des Afroamerikaners George Floyd verantwortlich und muss schuldig gesprochen werden.
Dessen exzessive und erbarmungslose Gewaltanwendung habe Floyd umgebracht, sagte Staatsanwalt Steve Schleicher heute im Schlussplädoyer am Gericht in Minneapolis. Floyd habe Chauvin bis zu seinem letzten Atemzug gebeten, ihn atmen zu lassen, während dieser neun Minuten und 29 Sekunden auf ihm gekniet habe, sagte Schleicher an die Geschworenen gerichtet. Chauvins Verteidiger Eric Nelson betonte jedoch die Unschuld seines Mandanten.
Schleicher wiederum erklärte, Chauvin habe auf «schockierende» Weise gegen alle Richtlinien der Polizei zur zulässigen Gewaltanwendung verstossen. Sein Verhalten sei unverhältnismässig und gesetzeswidrig gewesen. Chauvin sei «weiter auf Floyd geblieben und drückte ihn mit seinem Knie zu Boden», selbst als dieser schon leblos war, sagte Schleicher. Floyd habe keinen Puls mehr gehabt, aber Chauvin habe ihn weiter in den «unnachgiebigen» Asphalt gepresst anstatt zu helfen.
Der Staatsanwalt betonte den Geschworenen gegenüber immer wieder, dass Floyds Überlebenskampf unter Chauvins Knie 9 Minuten und 29 Sekunden gedauert habe - und das obwohl Floyd nur wegen des Verdachts festgenommen worden sei, mit einem falschen 20-Dollar-Schein gezahlt zu haben. Schleicher erklärte, Floyd habe Chauvin in den ersten fünf Minuten 27 Mal gebeten, ihm Atmen zu lassen. Der Polizist habe dies gehört «aber alles, was er getan hat, war sich über ihn lustig zu machen», sagte Schleicher. Danach sei Floyd verstummt und bald leblos geworden, während Chauvin noch weitere vier Minuten auf ihm kniete.
Verteidiger Nelson erklärte, die Anklage habe die Schuld seines Mandanten nicht zweifelsfrei bewiesen. Falls nur ein einziger begründeter Zweifel bestehe, müsse das Urteil auf nicht schuldig lauten, sagte er an die Geschworenen gerichtet. In seinem Plädoyer erklärte er, es könne kein Verbrechen vorliegen, weil es sich bei Chauvins Handeln um berechtigte Gewaltanwendung im Rahmen eines «dynamischen» Polizeieinsatzes gehandelt habe. Nelson forderte die Geschworenen auf, nicht nur die Minuten zu berücksichtigen während derer Chauvin auf Floyd kniete, sondern auch die rund 17 Minuten vorher, in denen sich Floyd einer Festnahme widersetzt habe.
Nach den Plädoyers werden die Mitglieder der Jury beraten, um über Schuld oder Unschuld Chauvins zu befinden. Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen ihn lautet Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Darauf stehen im US-Bundesstaat Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Nach deutschem Recht entspräche dies eher dem Totschlag. Zudem wird Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Auch muss er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen. Dieser Anklagepunkt entspräche nach deutschem Recht der der fahrlässigen Tötung. Chauvin hat auf nicht schuldig plädiert.
«Das war kein Polizeieinsatz, das war Mord», sagte Schleicher. «Der Angeklagte ist in allen drei Anklagepunkten schuldig. Alle. Und es gibt keine Rechtfertigung», sagte der Staatsanwalt.
Schleicher bezeichnete zudem die Argumentation der Verteidigung, dass Floyd nicht infolge von Chauvins Gewaltanwendung gestorben sei, als «Unsinn». Chauvins Anwalt hatte argumentiert, dass Floyds vorbelastete Gesundheit und Rückstände von Drogen in seinem Blut eine entscheidende Rolle bei seinem Tod gespielt hätten. Schleicher betonte jedoch, Floyd sei nicht an einem Herzinfarkt oder einer Überdosis gestorben, sondern an einem Mangel an Sauerstoff, der Hirnschäden verursacht und Floyds Herz zum Stillstand gebracht habe. Chuavin habe Floyd mit seinem Knie «den Sauerstoff abgeschnitten, den Menschen zum Leben brauchen». Daran gebe es keine Zweifel.
Für die Beratung der Geschworenen gibt es keine Zeitvorgabe - sie könnten innerhalb einer Stunde entscheiden oder nach einer Woche, wie Richter Peter Cahill vergangene Woche erklärte. Die Geschworenen dürfen während der Beratungen nicht mehr nach Hause gehen, sondern werden in einem Hotel untergebracht. Die Mitglieder der Jury bleiben aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres anonym.
Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Hals. Floyds Schicksal hatte in den USA mitten in der Pandemie eine Welle der Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst - und wurde zur grössten Protestbewegung seit Jahrzehnten.
Die Erwartungen an das Verfahren sind immens. Viele Menschen, wohl auch die meisten Schwarzen, hoffen auf ein Urteil, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA setzen wird - und dagegen, dass Sicherheitskräfte oft straffrei davonzukommen scheinen. Sollte Chauvin freigesprochen werden oder eine kurze Haftstrafe bekommen, weil die Geschworenen ihn zum Beispiel nur des Totschlags für schuldig befinden, dürfte es zu massiven Protesten kommen. Die Sicherheitskräfte haben ihre Präsenz in Minneapolis daher bereits verstärkt, viele Geschäfte bereits ihre Vitrinen verrammelt.
Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, erklärte heute, das Weisse Haus stehe mit dem Gouverneur und dem Bürgermeister in Kontakt. «Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass es Raum für friedliche Proteste gibt», sagte Psaki.
Chauvin war nach dem Vorfall entlassen worden. Er befindet sich gegen Kaution auf freiem Fuss und war während des ganzen Prozesses anwesend. Neben Chauvin sind drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt, die in einem separaten Verfahren ab dem 23. August vor Gericht stehen werden. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten langjährige Haftstrafen drohen.