Trotz hoher Impfrate und sommerlicher Temperaturen nehmen die Infektionen mit dem Coronavirus in Chile zu. Die Bevölkerung wiegt sich in falscher Sicherheit.
Coronavirus Chile Impfung
Zwei Frauen laufen über eine Strasse in Santiago de Chile. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Drittel der chilenischen Bevölkerung erhielt bereits die erste Impf-Dosis.
  • Dennoch steigen die Fallzahlen seit Wochen an, ein weiterer Lockdown wurde verhängt.
  • Mehrere Ursachen haben offenbar zum jüngsten Anstieg geführt.
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Anfang März kam die Überraschung: Chile impft am schnellsten und hat von der Kadenz her Israel überholt – der Impfweltmeister wurde entthront.

An der Spitze der Impf-Rangliste wurde Chile mittlerweile zwar von den Vereinigten Arabischen Emiraten abgelöst. Nichtsdestotrotz legt das Land weiterhin ein beachtliches Tempo hin.

Infektionszahlen mit Coronavirus steigen stark an

Bisher wurde im südamerikanischen Land ein Drittel der 18 Millionen Einwohner mit der ersten Dosis geimpft. Etwa die Hälfte davon erhielt bereits die zweite Dosis. Die Risikogruppen waren Anfang März durchgeimpft.

Chile Coronavirus
Eine Frau verabreicht einem Mann eine Covid-Impfung in Chile. - Keystone

Die Fallzahlen steigen aber munter weiter. Die Positivitätsrate liegt aktuell bei neun Prozent. Am Samstag wurden über 7500 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet. Im vergangenen Juni wurden letztmals ähnlich hohe tägliche Infektionszahlen vermeldet.

«Die neuen Varianten, die in Chile ankommen, bereiten uns grosse Sorgen. Und wir haben jetzt praktisch eine Pandemie in der anderen», wird Epidemiologe Ximena Aguilera im «Guardian» zitiert.

Junge stecken sich vermehrt mit Coronavirus an

Die kritische Situation zeigt sich auch anhand der Auslastung der Intensivbetten. Rund 95 Prozent sind besetzt, eine Überlastung droht. Und das, obwohl sich mittlerweile vorwiegend junge Menschen anstecken.

Coronavirus Chile Grafik
Grafik der täglichen Neuansteckungen in Chile pro Million (rot) und die Anzahl der verabreichten Impf-Dosen im Land pro 100 Einwohner (blau). - Our World in Data/ Nau.ch

Doch sie bleiben offenbar nicht mehr von einem schweren Verlauf verschont. «Im Gegensatz zu früher sehen wir ernste Fälle auch bei jüngeren Menschen», sagt Aguilera.

Um dem gefährlichen Trend entgegenzuwirken, zog die Regierung von Präsident Sebastián Piñera vergangene Woche die Schraube an. 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner befinden sich zur Eindämmung des Coronavirus wieder in einem Lockdown.

La Moneda Coronavirus Chile
Wegen des Coronavirus wurde erneut ein Lockdown über der Hauptstadt Santiago de Chile verhängt. Die Strasse vor dem Präsidentenpalast La Moneda ist nahezu leer gefegt. - Keystone

Wie konnte das bloss passieren? Denn eigentlich sprechen die hohe Impfrate und die sommerlichen Temperaturen im Land für wenig Infektionen.

Falsche Sicherheit

Genau in dieser Frage scheiden sich die Geister. Neben der gefährlicheren Mutationen gibt es weitere Gründe. Einerseits muss sich die Politik ein Teil der Schuld zuschieben lassen.

Die Regierung verhielt sich immer wieder widersprüchlich. So öffnete sie zum Beispiel Anfang März die Schulen, obwohl die Fallzahlen in den vorangegangenen Monaten nach oben schnellten.

Sebastián Piñera
Chiles Präsident Sebastián Piñera steht am Rednerpult an einer Pressekonferenz. - Keystone

Andererseits liess die Bevölkerung in Sachen Massnahmen-Einhaltung stark nach. In den letzten Wochen wurden die Hygiene-Regeln vermehrt missachtet. Das lässt sich unschwer erkennen. Laut «Amerika21» werden monatlich 1000 Menschen festgenommen, weil sie gegen die Corona-Regeln verstossen haben.

Die Politik und Wissenschaft sehen einen weiteren Grund für den starken Anstieg: Durch die hohe Impfrate macht sich im Land eine falsche Sicherheit breit. Epidemiologe Aguilera sagt: «Man hat das Gefühl, dass einige Menschen gegen Ende des Sommers selbstgefällig wurden, weil die Impfungen so gut verlaufen.»

Ob die verhängten Massnahmen wirken, wird sich erst in ein paar Wochen zeigen. Bis dahin werden die Fallzahlen weiter steigen, sind sich Experten sich. Und das Gesundheitssystem könnte kollabieren.

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