Geschworene beraten in US-Prozess gegen deutsche Hochstaplerin Sorokin
Ist sie einfach eine gewiefte Opportunistin mit Lust am Luxus oder eine berechnende Betrügerin? Darüber beraten seit Dienstag (Ortszeit) die Geschworenen im Prozess gegen die deutsche Hochstaplerin Anna Sorokin in New York.
Das Wichtigste in Kürze
- Tochter von Lkw-Fahrer schaffte es als vermeintlich reiche Erbin in High Society.
Die 28-Jährige, die sich eine falsche Identität als reiche Erbin zugelegt hatte, ist in zehn Punkten wegen Betrugs und Diebstahls angeklagt, ihr drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Sorokin soll ihre Opfer laut Anklage um insgesamt 275.000 Dollar (245.000 Euro) betrogen haben, um einem luxuriösen Lebenswandel zu frönen. Die Deutschrussin stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Sie ist die Tochter eines Lastwagenfahrers. Als sie 16 Jahre alt war, ging die Familie nach Deutschland. 2016 kam Sorokin in die USA und schleuste sich unter dem Namen Anna Delvey in wohlhabende Kreise ein.
Laut Anklage gelang es Sorokin durch geschickte Lügen und ein selbstbewusstes Auftreten, von verschiedenen Banken Kredite in Höhe von zehntausenden Dollar zu erhalten, umsonst in Privatflugzeugen zu reisen und Monate in Luxushotels in Manhattan zu leben, ohne die Rechnungen zu begleichen.
Eine damalige Freundin, die «Vanity Fair»-Fotografin Rachel Williams, wurde von Sorokin in das Luxushotel «La Mamounia» im marokkanischen Marrakesch eingeladen, wo die Nacht 7000 Dollar kostete. Letztlich liess Sorokin Williams auf der Rechnung sitzen, die mit 62.000 Dollar ein Jahresgehalt der Fotografin überstieg.
Während des Prozesses trat Sorokin demütig auf. Während der Schlussplädoyers hielt sie ihren Kopf fast die ganze Zeit gesenkt.
Ihr Anwalt Todd Spodek wies die Vorwürfe der Anklage zurück. «Sie hat nichts unternommen, um die New Yorker von ihrem Geld zu trennen - sie haben es ihr gegeben», sagte er in seinem Schlussplädoyer. Die US-Metropole sei eine Stadt, die Geld und den Anschein von Geld fördere und damit «eigene Gelegenheiten» schaffe, argumentierte der Verteidiger und verglich Sorokin in dieser Hinsicht mit dem jungen Frank Sinatra.
Dass Sorokin schliesslich versuchte, eine Mischung aus Nachtclub und Kunstgalerie zu gründen und dafür 22 Millionen Dollar zu leihen, stellte ihr Verteidiger als Versuch da, finanziell endlich auf eigenen Beinen zu stehen. «Sie gründete einen Laden, von dem sie glaubte, dass er laufen würde, und sie erkaufte sich Zeit», sagte Spodek.
Staatsanwältin Catherine McCaw hielt dagegen, Sorokin habe ihre Lügengespinste mit «krimineller Absicht» entwickelt. «Die Wahrheit ist, dass die Angeklagte einem Opfer nach dem anderen eine Lüge nach der anderen aufgetischt hat, dass sie ein gefälschtes Dokument nach dem anderen vorgelegt hat, einen gefälschten Personalausweis nach dem anderen.» Zur Bestätigung ihrer Vorwürfe zeigte McCaw den Geschworenen gefälschte Dokumente, die auf Sorokins Computer gefunden worden waren.
Sorokin hat bereits eineinhalb Jahre im bekannten New Yorker Gefängnis Riker's Island verbracht. Sollte sie freigesprochen werden, wollen die US-Einwanderungsbehörden sie wegen Überschreiten ihrer Visumsfrist ausweisen.
Der Fall hat in den USA für grosses Aufsehen gesorgt. Der Streamingdienst Netflix und der Sender HBO planen bereits, Sorokins Geschichte zu verfilmen. HBO hat die Rechte von Williams erworben, die ihre Geschichte von dem teuren Marokko-Trip erst an die «Vanity Fair» und dann an den US-Kabelsender verkaufte.