Zahl der Toten nach Haiti-Beben steigt auf 1297
Haiti ist bitterarm, politisch instabil - und wurde schon 2010 von einem schweren Erdbeben erschüttert. Nun reisst ein neues Beben Menschen in den Tod. Noch imer ist das Ausmass der «humanitären Notlage» unklar.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei dem schweren Erdbeben im Süden Haitis ist die Zahl der Todesopfer auf 1297 gestiegen.
Dies gab der Zivilschutz des Landes auf Twitter bekannt.
Zuvor hatte der Leiter des Zivilschutzes, Jerry Chandler, von mindestens 724 Toten berichtet. Zudem seien 2800 Menschen verletzt worden. Die US-Behörde USGS hatte eine hohe Opferzahl für möglich gehalten und Alarmstufe Rot ausgerufen.
Die internationale Gemeinschaft hat Hilfe angekündigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drückte den den Menschen ihr «tief empfundenes Beileid» aus. «Mein besonderes Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer und all jenen, die ihr Hab und Gut verloren haben. Den Verletzten wünsche ich eine schnelle Genesung», hiess es in einer Mitteilung am Sonntag.
UN-Generalsekretär António Guterres erklärte, er habe mit grosser Betroffenheit von den tragischen Verlusten an Menschenleben und Verletzungen erfahren. Die Vereinten Nationen unterstützten die Bemühungen der Regierung, den von dem Erdbeben Betroffenen zu helfen. Auch Papst Franziskus äusserte Anteilnahme: «Ich möchte meine Nähe zu diesen liebenswerten Einwohnern zum Ausdruck bringen, die so hart von dem Erdbeben getroffen wurden», sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche nach dem traditionellen Angelus-Gebet am Sonntag in Rom.
Das Erdbeben, dessen Stärke die US-Behörde USGS mit 7,2 angab, ereignete sich am Samstagmorgen gegen 8.30 Uhr nahe der Gemeinde Saint-Louis-du-Sud im Süden Haitis in einer Tiefe von rund zehn Kilometern. Es zerstörte zahlreiche Gebäude, weitere Opfer wurden befürchtet. In den Stunden nach dem Unglück bargen Rettungskräfte und Bürger viele Menschen aus den Trümmern. Am Wochenende erschütterten mehreren Nachbeben das Land, die nach USGS-Angaben Stärken bis 5,8 erreichten.
Die Ereignisse wecken Erinnerungen an das verheerende Erdbeben im Jahr 2010: Damals waren mehr als 220.000 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 300.000 wurden verletzt, über eine Million Menschen verloren ihr Zuhause.
«Die Strassen sind erfüllt von Schreien. Die Menschen sind auf der Suche nach Angehörigen, Ressourcen, medizinischer Hilfe, Wasser», sagte Abiade Lozama, Leiter der Episkopalkirche in der besonders betroffenen Stadt Les Cayes der «New York Times». Es werde Tage dauern, die genauen Schäden zu beurteilen, sagte die Leiterin der Kinderhilfsorganisation Save the Children in Haiti, Leila Bourahla, dem Blatt und fügte hinzu: «Es ist klar, dass es sich um eine massive humanitäre Notlage handelt.»
Die Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) schickte ein Expertenteam. Such- und Rettungsarbeiten des Internationalen Roten Kreuzes konzentrierten sich auf die Gegend um die besonders betroffenen Städte Jérémie und Les Cayes. Die Organisation sandte ebenfalls Notfallspezialisten.
Interims-Premierminister Ariel Henry besuchte nach eigenen Angaben das Department Grand' Anse und überflog Les Cayes, um sich ein Bild vom Ausmass der Schäden zu machen. Er rief einen einmonatigen Notstand aus. Unter anderem die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Kolumbien, Argentinien, Chile, Mexiko, Kanada und die USA boten Hilfe an. «Die Vereinigten Staaten bleiben dem haitianischen Volk ein enger und beständiger Freund, und wir werden auch nach dieser Tragödie da sein», erklärte US-Präsident Joe Biden.
Japans Tennis-Star Naomi Osaka will ihr Preisgeld vom WTA-Turnier in Cincinnati für die Betroffenen des Erdbebens spenden. «Es schmerzt, die vielen Schäden für Haiti zu sehen. Es fühlt sich an, als bekämen wir keine Atempause», schrieb die Weltranglisten-Zweite bei Twitter. Osakas Vater stammt aus Haiti.
Die Bundesregierung rief dazu auf, die betroffenen Gebiete im Südwesten des Inselstaates zu meiden. «Es muss mit zahlreichen Toten und Verletzten sowie starken Schäden an Gebäuden und Infrastruktur gerechnet werden. Es kommt weiterhin zu starken Nachbeben», warnte das Auswärtige Amt.
Haiti wird immer wieder von schweren Erdbeben erschüttert. «Das Land liegt am Rande einer grossen tektonischen Platte, der Karibischen Platte», sagte Marco Bohnhoff vom Geoforschungszentrum Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. «Das Problem ist, dass das Beben fast bis an die Oberfläche gereicht hat», sagt er. Im Mittel versetzte das Erdbeben die Karibische Platte um etwa 1,5 Meter - «hauptsächlich zur Seite, aber mit einer vertikalen Komponente».
Die durch Erdbeben angerichteten Schäden hängen auch von der Bevölkerungsdichte ab. Das Zentrum des ähnlich starken, verheerenden Erdbebens von 2010 lag unter der Hauptstadt Port-au-Prince - einem Ballungsraum mit mehr als zwei Millionen Einwohnern. Beim aktuellen Beben ist als grosse Stadt Les Cayes mit schätzungsweise rund 90.000 Einwohnern in etwa 35 Kilometern Entfernung zum Epizentrum betroffen.
Dem Karibikstaat droht weiteres Ungemach: Der Tropensturm «Grace» könnte am Montag auf die Region treffen, wie das Nationale Hurrikan-Zentrum der USA mitteilte. Heftige Winde und starker Regen könnten Haiti treffen, die Situation in dem vom Erdbeben betroffenen Gebiet verschlimmern und Rettungsmassnahmen behindern.