Biden-Wahlsieg nach Chaos bestätigt
Am US-Parlamentssitz spielen sich nie da gewesene Szenen ab. Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump stürmen das Kapitol. Erst nach Stunden voller Chaos bringt der Kongress zu Ende, wofür er zusammengekommen ist: Trumps Niederlage offiziell zu machen.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Ringen um den Ausgang der US-Präsidentenwahl ist vorbei: Der Kongress hat trotz eines Sturms von Trump-Anhängern auf den Parlamentssitz den Sieg von Joe Biden bestätigt.
Amtsinhaber Donald Trump kündigte danach schliesslich an, dass er sich nicht mehr gegen die Übergabe der Amtsgeschäfte am 20. Januar sperren werde. Zugleich bekräftigte Trump jedoch erneut, dass er nicht mit dem Ausgang der Wahl einverstanden sei. Facebook verbannte den Präsidenten bis auf Weiteres von seiner Plattform. Für eine rasche Amtsenthebung Trumps sprach sich auch ein bekannter Abgeordneter der Republikaner aus.
Der scheidende Präsident hatte mit unbelegten Behauptungen über massiven Wahlbetrug bei einem Auftritt am Mittwoch abermals die Stimmung seiner Anhänger angeheizt. Daraufhin zogen sie zum Kapitol und stürmten den nur spärlich gesicherten Parlamentssitz. Die beiden Parlamentskammern waren gerade dabei, das Wahlergebnis offiziell zu bestätigen. Die Sitzung musste für mehrere Stunden unterbrochen werden, die Abgeordneten wurden in Sicherheit gebracht und konnten den Wahlsieg Bidens erst in der Nacht zum Donnerstag besiegeln.
Während der Attacke auf das Kapitol starben nach Polizeiangaben vier Menschen. Nach dem Eindringen von Trump-Unterstützern wurde im US-Kapitol eine Frau von Sicherheitskräften angeschossen und starb wenig später, wie der Chef der Polizei in der US-Hauptstadt, Robert Contee, sagte. «Darüber hinaus wurden heute drei weitere Todesfälle aus der Umgebung des Kapitols gemeldet», sagte er. «Eine erwachsene Frau und zwei erwachsene Männer scheinen an unterschiedlichen medizinischen Notfällen gelitten zu haben, die zu ihrem Tod führten.» Bei den Zusammenstössen seien zudem mehr als 50 Polizisten verletzt worden. Bei zwei am Mittwoch in Washington entdeckten Rohrbomben handelte es sich nach Polizeiangaben um gefährliche Sprengsätze.
Die Bürgermeisterin der US-Hauptstadt, Muriel Bowser, nannte die gewaltsame Stürmung des Kapitols einen klaren Fall von «inländischem Terrorismus». Die Täter müssten festgenommen und vor Gericht gestellt werden. Die Polizei Washington nahm im Lauf des Abends 68 Personen fest, hiess es.
In Videos und Fotos war zu sehen, wie Trump-Anhänger die Kapitol-Polizei überrannten, Türen und Fenster einschlugen und im Sitzungssaal und in Abgeordnetenbüros für Bilder posierten. Erst nach einigen Stunden wurden sie von einem grossen Aufgebot von Sicherheitskräften aus dem Gebäude gedrängt. Sie hinterliessen zum Teil verwüstete Büros. Es gab mehr als 50 Festnahmen, 30 davon wegen Verstössen gegen eine Ausgangssperre am Abend. Der FBI sammelt nun über eine Webseite Fotos und Videos aus dem Kapitol.
Das beispiellose Chaos in Washington war der dramatische Schlusspunkt eines Feldzugs von Trump gegen den Wahlausgang. Der Republikaner hatte die Wahl Anfang November mit deutlichem Abstand gegen seinen demokratischen Herausforderer Biden verloren. Trump weigerte sich aber, seine Niederlage einzugestehen und behauptete, er sei durch massiven Wahlbetrug um einen klaren Sieg gebracht worden. Weder er noch seine Anwälte legten aber stichhaltige Beweise dafür vor. Dutzende Klagen des Trump-Lagers wurden von Gerichten abgeschmettert.
In knapp zwei Wochen, am 20. Januar, soll Biden vereidigt werden. Er kann besonders kraftvoll in seine Amtszeit starten: Seine Demokraten sicherten sich Prognosen von US-Medien zufolge mit Siegen bei zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia auch die Kontrolle im US-Senat, wie am Mittwoch inmitten der Turbulenzen bekannt wurde. Im Repräsentantenhaus stellen die Demokraten bereits die Mehrheit. Mit einer faktischen Mehrheit im Senat kann Biden vor den nächsten Kongresswahlen in zwei Jahren durchregieren - vorausgesetzt, die Demokraten im Kongress ziehen an einem Strang.
Trumps Bereitschaft zu einer geordneten Machtübergabe wurde von seinem Vertrauten Dan Scavino per Twitter mitgeteilt. Der Präsident selbst wurde beim Kurznachrichtendienst gesperrt, nachdem er in einem Video seine Sympathie für die Kapitol-Angreifer geäussert hatte: «Wir lieben Euch. Ihr seid sehr besonders.» Später schrieb er in einem weiteren Tweet, solche «Dinge und Geschehnisse» passierten eben, wenn «ein Erdrutschsieg» gestohlen werde. «Erinnert Euch für immer an diesen Tag!», schob er nach. Twitter blockierte die Beiträge und sperrte Trumps Account für mindestens zwölf Stunden. Die Sperre wird erst aufgehoben, wenn er das Video und den weiteren Tweet löscht.
Facebook sperrte Trumps Accounts bei dem Online-Netzwerk und auch der Fotoplattform Instagram bis auf weiteres - und mindestens bis zur Amtsübergabe an Biden, wie Firmenchef Mark Zuckerberg bekanntgab.
Nach Trumps Verhalten nehmen Rufe nach einem erneuten Amtsenthebungsverfahren gegen den scheidenden Präsidenten zu. Die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar teilte auf Twitter mit, sie fertige bereits Artikel zur Anklageerhebung an. Zudem berichteten US-Medien, dass mehrere Kabinettsmitglieder der Trump-Regierung die Möglichkeit diskutiert hätten, Trump mit Hilfe des 25. Zusatzartikels der Verfassung aus dem Amt zu entfernen.
Als erster republikanischer Abgeordnete forderte Adam Kinzinger, der Trump zuletzt wiederholt kritisiert hatte, den Präsidenten mit Hilfe des 25. Verfassungszusatzes des Amtes zu entheben. Das Kabinett und der Vizepräsident müssten nun handeln, um «diesen Alptraum» zu beenden. Anstatt Amerika zu beschützen, habe Trump die Gewalt angestachelt, sagte er. «Der Präsident hat das verursacht.»
Mehrere Republikaner warfen Trump vor, er habe den Gewaltausbruch angezettelt. Sein früherer Stabschef Mick Mulvaney trat aus Protest vom Posten des Nordirland-Beauftragten zurück. Finanzminister Steven Mnuchin verturteile den Sturm auf das Kapitol.
Das Repräsentantenhaus und der Senat hatten sich am Mittwochmittag (Ortszeit) versammelt, um die Ergebnisse der Präsidentenwahl offiziell zu bestätigen. Im formalen Nach-Wahl-Prozedere der USA ist vorgeschrieben, dass die Ergebnisse aus den einzelnen Bundesstaaten im Kongress zertifiziert werden. Erst dann ist amtlich, wer die Wahl gewonnen hat. Üblicherweise ist dies eine schnelle formelle Prozedur. Dieses Mal dauerte es: Biden wurde erst um 3.41 Uhr Ortszeit am Donnerstag offiziell zum Wahlsieger erklärt.
Der künftige US-Präsident Biden sprach von einem Angriff auf die Demokratie. «Das Kapitol zu stürmen, Fenster einzuschlagen, Büros zu besetzen, den Senat der Vereinigten Staaten zu besetzen, durch die Schreibtische des Repräsentantenhauses im Kapitol zu wühlen und die Sicherheit ordnungsgemäss gewählter Beamter zu bedrohen, ist kein Protest», sagte der Demokrat. «Es ist Aufruhr.» Auch international lösten die Unruhen in den USA Besorgnis und Schockreaktionen aus.
Trump hatte über Wochen diesen Tag der Kongresssitzung als letzte Möglichkeit dargestellt, den Wahlausgang noch zu drehen. Angetrieben durch seine Vorwürfe legten Republikaner im Kongress zwar Einsprüche gegen die Ergebnisse aus den Bundesstaaten Arizona und Pennsylvania ein und erzwangen so, dass sich das Repräsentantenhaus und der Senat beide Male zu getrennten Sitzungen zurückziehen mussten, um die Einwände zu debattieren. Die Aktion hatte jedoch von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg. Die Kammern wiesen beide Einsprüche ab.