US-Touris müssen für Europa-Reise spazieren lernen
Diesen Sommer sind zahlreiche Touris aus den USA nach Europa geströmt. Einigen war es zu anstrengend – aber jetzt wird offenbar fleissig trainiert.
Das Wichtigste in Kürze
- Wegen dem Hashtag #Eurogirlsummer sind zahlreiche Amerikanerinnen nach Europa gereist.
- Schon mitten im Sommer gab es dann erste Berichte von enttäuschten US-Touris.
- Das nehmen sich andere Amerikanerinnen zu Herzen – und trainieren für ihre Reise.
«Ich mache jeden Tag 10'000 Schritte bis zu meinen Europa-Ferien», erzählt eine junge Amerikanerin auf Tiktok. Der Grund: «Jemand im Internet hat gesagt, dass Touristen in Europa acht bis zehn Meilen pro Tag laufen.»
Das sind umgerechnet etwa 12 bis 16 Kilometer. Strecken, die sich viele Menschen in den USA nicht gewohnt sind, zu Fuss zurückzulegen.
So ist die Tiktokerin nicht die einzige, die extra für ihre Europa-Reise das Spazieren übt. Eine Userin zeigen sich gar auf dem Laufband: «Ich trainiere für Europa wie für einen Marathon», schreibt sie.
«Wie viel man in Europa gehen muss, ist ernsthaft kein Witz», stimmt eine andere Tiktokerin zu. Auch sie trainiert deshalb mit 10'000 Schritten pro Tag.
US-Touris haben zu Hause kein Trottoir
Für Amerika-Expertin Suzanne Enzerink von der Universität St.Gallen sind die Videos keine Überraschung. «Es ist absolut so, dass die Menschen in den USA viel weniger zu Fuss gehen», sagt sie zu Nau.ch.
Das US-Verkehrsbüro schätze, dass die Amerikaner 87 Prozent aller täglichen Fahrten mit dem Privatauto zurücklegen. «Das liegt jedoch nicht daran, dass sie faul sind. Die gesamte Infrastruktur der USA wurde um das Auto herum gebaut.»
Wie schwierig es in den USA ohne Auto ist, hat Enzerink persönlich erlebt. «Als ich in den USA lebte, brauchte ich mit dem Bus 90 Minuten zu einem Laden wie Target oder Walmart. Mit dem Auto waren es nur zehn Minuten.»
Zu Fuss zu gehen, sei überhaupt nicht infrage gekommen. «Es gibt über weite Strecken kein Trottoir.» Ein weiterer Faktor: «Das Autofahren ist viel billiger als in Europa.»
Amerikanerinnen fehlen Lifte und Klimaanlagen
Europa-Reisen liegen in den USA im Trend. Im Netz ist dieses Jahr der Hashtag #Eurogirlsummer (Deutsch: Euro-Mädchen-Sommer) viral gegangen.
Schon bald gab es aber zahlreiche Berichte über junge Amerikanerinnen, die enttäuscht waren. Oder eben: Sich darüber beklagten, dass Europa-Reisen anstrengend seien. Das dürfte erklären, warum sich einige jetzt besser darauf vorbereiten wollen.
Enzerink glaubt, dass sich viele «#Eurogirlsummer»-Touris vor ihren Reisen zu oberflächlich mit Europa auseinandersetzten. «Sie stellen sich Europa als kultivierten Ort vor, an dem die Menschen gut gekleidet sind, gut essen, das Leben geniessen. Und das alles vor dem Hintergrund Instagram-tauglicher Orte.»
Vor Ort werden die Tiktokerinnen mit der Realität konfrontiert: «Überbevölkerung, Müll auf den Strassen, Waldbrände», listet Enzerink auf.
Und für viele wohl auch ein Schock: Nicht überall gibt es Lifte und Klimaanlagen. «Das weicht sicherlich von dem Bild ab, das sie vielleicht in ihren Köpfen hatten.»