Taliban-Regierung trifft in USA und Deutschland auf Skepsis
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan streben die Taliban nach internationaler Anerkennung. Bei Deutschland und den USA können die militanten Islamisten darauf in absehbarer Zeit nicht bauen.
Das Wichtigste in Kürze
- Deutschland und die USA haben eine baldige Anerkennung der von den militant-islamistischen Taliban verkündeten Übergangsregierung in Afghanistan ausgeschlossen.
Die von den Taliban angestrebte internationale Legitimität müssten die Islamisten sich durch ihr Handeln verdienen, sagte US-Aussenminister Antony Blinken am Mittwoch auf der US-Luftwaffenbasis im rheinland-pfälzischen Ramstein. «Unserer Meinung nach kann sie nicht schnell verdient werden, sie kann nicht durch Worte allein verdient werden.»
Bundesaussenminister Heiko Maas sagte zu einer möglichen Anerkennung: «Um die wird es nicht gehen, die sehe ich auch nicht im Moment.» Allerdings sprach er sich dafür aus, die Gespräche mit den Taliban fortzusetzen. Maas verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Bundesregierung weiterhin Schutzbedürftige ausser Landes bringen wolle - darunter auch deutsche Staatsbürger.
Die Taliban hatten am Dienstag 33 Regierungsmitglieder vorgestellt, darunter keine einzige Frau und niemand aus einer anderen politischen Gruppierung. Westliche Staaten hatten eine so genannte inklusive Regierung gefordert, der nicht nur Taliban angehören. Die gesamte Europäische Union hat dies zur Bedingung für weiteres Engagement gemacht, etwa für die Zahlung von Entwicklungshilfe.
Maas und Blinken kritisierten die Zusammensetzung des künftigen Kabinetts in Kabul. «Die Verkündung einer Übergangsregierung ohne Beteiligung anderer Gruppen und die gestrige Gewalt gegen Demonstrantinnen und Journalisten in Kabul sind nicht die Signale, die dafür optimistisch stimmen», sagte Maas. Blinken bemängelte, auf der Kabinettsliste stünden «ausschliesslich Personen, die Mitglieder der Taliban oder ihrer enger Verbündeter sind und keine Frauen.» Zudem gäben Verbindungen und Vergangenheit einiger Regierungsmitglieder Anlass zur Sorge.
So wurde etwa Taliban-Vizechef Siradschuddin Hakkani, Chef des berüchtigten Hakkani-Netzwerks, zum künftigen Innenminister ernannt. Das Hakkani-Netzwerk wird für einige der grausamsten Anschläge in Afghanistan in den vergangenen Jahren verantwortlich gemacht. Hakkani, der etwa Mitte 40 ist, steht als «globaler Terrorist» auf der Fahndungsliste der USA. Die US-Bundespolizei FBI hat ein Kopfgeld von bis zu 10 Millionen Dollar (knapp 8,5 Millionen Euro) für Hinweise ausgelobt, die zu seiner Festnahme führen.
Maas und Blinken schalteten sich in Ramstein mit Amtskollegen aus mehr als 20 weiteren Staaten per Video zusammen. Blinken sagte, es habe Einigkeit in der Runde geherrscht, dass die Taliban sich internationale Unterstützung erst verdienen müssten.
Maas und Blinken berieten auch darüber, wie die nach dem Ende der militärischen Evakuierungsmission in Afghanistan verbliebenen ausländischen Staatsbürger und afghanischen Ortskräfte in Sicherheit gebracht werden können. Blinken forderte die Taliban auf, ihre Zusage einzuhalten, Afghanen mit Reisedokumenten ausreisen zu lassen.
Blinken verwies auf Charterflugzeuge im nordafghanischen Masar-i-Scharif, mit denen Schutzsuchende ausgeflogen werden sollten, die von den Taliban aber aufgehalten würden. Die USA übten weiterhin Druck auf die Islamisten aus, damit die Flugzeuge und die Menschen an Bord Afghanistan verlassen könnten. Blinken rief die Taliban auch auf, humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung zuzulassen.
600 Millionen Euro humanitäre Hilfe
Deutschland hat seine Entwicklungshilfe nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August eingefroren. Humanitäre Hilfe für notleidende Menschen wird aber weitergezahlt. Derzeit sind 600 Millionen Euro zugesagt. Maas warnte vor einer dreifachen humanitären Krise. «In vielen Teilen des Landes herrscht jetzt schon Nahrungsmittelknappheit aufgrund der Dürre. Gleichzeitig sind internationale Hilfszahlungen gestoppt worden, von denen viele Menschen abhängen. Und wenn eine neue Regierung nicht in der Lage ist, die Staatsgeschäfte am Laufen zu halten, droht nach dem politischen der wirtschaftliche Kollaps - mit noch drastischeren humanitären Folgen.»
Die letzten US-Truppen hatten Kabul Ende August verlassen - zwei Wochen nach der Machtübernahme der Taliban. Damit endete die militärische Evakuierungsmission. Auch der gesamte internationale Einsatz in Afghanistan kam damit nach fast 20 Jahren zum Abschluss. Die USA und Deutschland waren die grössten Truppensteller. Nun versuchen beide Länder weiter, Menschen ausser Landes zu bringen, die sich von den Taliban bedroht fühlen.
11.200 Menschen warten in Ramstein auf ihre Weiterreise
Die USA nutzen Ramstein als eines von mehreren Drehkreuzen. Bislang wurden 23.000 Menschen aus Afghanistan in die USA oder an einen anderen sicheren Ort gebracht. 11.200 warten nach US-Angaben noch in Ramstein auf ihre Weiterreise. Zudem würden ungefähr 260 Menschen innerhalb der nächsten 24 Stunden auf dem Flugplatz erwartet.
90 Afghanen, die auf dem Stützpunkt angekommen sind, haben in Deutschland Asyl beantragt. Das ist möglich, obwohl mit den Amerikanern eine Weiterreise in die USA innerhalb von zehn Tagen vereinbart wurde. Das Grundrecht auf Asyl wird durch eine solche Vereinbarung aber nicht ausser Kraft gesetzt. Maas sagte, er sehe in den Asylanträgen - die von weniger als einem Prozent der Afghanen in Ramstein gestellt worden seien - kein Problem.
Am Mittwoch wurde auch bekannt, dass die Bundeswehr 38 Afghanen von Ramstein ins Kosovo ausgeflogen hat. Sie seien am 1. September auf Anfrage der Nato in die Hauptstadt Pristina gebracht worden, teilte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums mit. Die Unterstützung sei im Rahmen der Nato erfolgt. Weshalb diese Gruppe von Afghanen ins Kosovo gebracht wurde, sagte der Sprecher nicht.
Ein Sprecher der US-Botschaft in Berlin erklärte, einige Personen könnten in andere Staaten gebracht werden, während ihre Sicherheitsüberprüfung laufe. Das diene auch dazu, den mit Deutschland vereinbarten Zeitrahmen zur Weiterreise einzuhalten.