Bundeskanzlerin Merkel am Tiefpunkt
Das Wichtigste in Kürze
- Heute vor 12 Jahren wurde Merkel als erste Kanzlerin Deutschlands gewählt.
- Nach dem Scheitern der Jamaika-Koalitions-Verhandlungen steht sie am Tiefpunkt.
- Deutschland steht vor der Entscheidung: Minderheitsregierung oder Neuwahlen?
Es
gibt sie in Dänemark und Norwegen. Es hat sie schon gegeben in Tschechien,
Spanien, Portugal, Slowakei, Schweden und Österreich – die Minderheitsregierung. Doch die
Deutschen setzten auf stabile Regierungen. Das scheint eine tiefsitzende
Sehnsucht nach den Erfahrungen aus der Weimarer Republik und der
Nazi-Herrschaft. Doch wäre das jetzt eine Option für Kanzlerin Angela Merkel
(CDU), nachdem die Jamaika-Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen geplatzt
sind?
Was
ist eine Minderheitsregierung?
In
aller Regel bilden eine oder mehrere Parteien zusammen eine Regierung, wenn sie
die Mehrheit im Parlament haben. Das ist wichtig, um Gesetzesvorhaben im
Parlament, dem Gesetzgeber, verabschieden zu können. Es kann aber auch sein,
dass diese Parteien, die koalieren wollen, nicht die Mehrheit der Sitze im
Parlament haben. Dann kann es zu einer Minderheitsregierung kommen. Eine solche
Regierung braucht also bei Gesetzesvorhaben die Unterstützung anderer Parteien
für eine Mehrheit im Parlament. Eine solche Minderheitsregierung kann sich auf
nur eine weitere im Parlament vertretene Partei stützen oder auf mehrere, je
nachdem bei welcher sie Zustimmung für ihre unterschiedlichen Gesetzesvorhaben
bekommt.
Warum
denkt Deutschland über eine Minderheitsregierung nach?
Die
Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen für ein sogenanntes Jamaika-Bündnis
sind nach vierwöchigen Verhandlungen gescheitert. Die FDP hat das Experiment
platzen lassen. Zurück blieben die Unionsparteien und die Grünen. Die allein
haben aber nicht genügend Sitze im Parlament, um eine Mehrheit zustande zu
bringen. Eine weitere ernstzunehmende Koalitionsvariante ausser Jamaika wäre
die Fortsetzung der grossen Koalition von Union und SPD. Nachdem die grosse
Koalition bei der Bundestagswahl massiv verloren hat und die Sozialdemokraten
ihr bisher schlechtestes Ergebnis eingefahren haben, verkündete SPD-Chef Martin
Schulz nach der Wahl, seine Partei stehe nicht mehr für ein solches Bündnis zur
Verfügung.
Welche
Varianten einer Minderheitsregierung wären denkbar?
CDU-Chefin
Merkel könnte nun nur mit den Unionsschwestern CDU und CSU eine
Minderheitsregierung bilden. Sie könnte aber auch entweder die Grünen mit ins
Boot holen oder die FDP.
Würden
die Grünen denn Schwarz-Grün mitmachen?
Offiziell
ist die Parole: Wir sind gesprächsbereit. Allerdings heisst es intern auch, in
einer schwarz-grünen Minderheitsregierung gebe es für die Ökopartei keinen
Blumentopf zu gewinnen, da die Mehrheiten für grüne Herzensangelegenheiten im
Bundestag fehlten. Die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen
sei etwas anderes gewesen - da habe nur eine Stimme gefehlt und es habe eine
Mehrheit links der Mitte gegeben.
Würden
die Liberalen eine Minderheitsregierung mitmachen?
Die
Wahrscheinlichkeit, dass die Liberalen mit der Merkel-CDU in eine
Minderheitsregierung gehen, tendiert gegen Null. Zu gross ist nach den
Sondierungen der Ärger in der Partei. Viele in der FDP haben das Gefühl, Merkel
habe, um die Grünen ins Boot zu kriegen, sie mal wieder über den Tisch ziehen
wollen. Merkel dürfte es also gleich gar nicht probieren.
Und
wie sieht es bei CDU und CSU aus?
In
der Union hatte es durchaus Gedankenspiele gegeben, eine vorübergehende
Minderheitsregierung könne eine längere Hängepartie bei der Regierungsbildung
überbrücken und den Start wichtiger Projekte wie etwa den Breitbandausbau des
Internets in Deutschland vorantreiben. Merkel äusserte sich aber zuletzt
skeptisch, ebenso Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU). Der sagte im ZDF: «Eine
Minderheitsregierung, die von niemandem unterstützt und getragen wäre, wäre
sicherlich keine gute Lösung für das Land.»
Wie
steht die SPD dazu?
Die
SPD-Spitze sieht diese Variante offenbar als Möglichkeit, sich einigermassen
unbeschadet aus der Affäre zu ziehen. Fraktionschefin Andrea Nahles gab am
Dienstag eine vielsagende Antwort auf eine entsprechende Frage: «Das hängt
davon ab, da müssen wir jetzt drüber reden.» Denn auf Neuwahlen «hat niemand
wirklich Lust».
Wo
lägen die Risiken für die Parteien?
Eine
solche Minderheitsregierung wäre eine Überbrückung bis zu Neuwahlen, um
dringliche Projekte wie eben den Breitbandausbau voranzutreiben. Die Parteien
werden also sofort wieder in den Wahlkampfmodus übergehen. Eine Unterstützung
von Projekten der Minderheitsregierung liesse zu wenig Eigenprofilierung und
Abgrenzung zu. Im Gegenteil, es bestünde die Gefahr, für die Interessen der
Minderheitsregierung eingespannt zu werden. Andererseits bestünde für Merkel
und ihre Minderheitsregierung das Risiko, bei gemeinsamen Projekten vom
Mehrheitsbeschaffer vorgeführt zu werden.
Was ist die Alernative?
Die einzige Alternative zur Minderheitsregierung wären Neuwahlen. Doch das will man bei unseren nördlichen Nachbarn eigentlich verhindern. SP-
Fraktionschefin Andrea Nahles sagt es deutlich: Auf Neuwahlen «hat niemand
wirklich Lust».