Coronavirus im Iran: So kam es zur zweiten Welle
Die Sorgen vor der zweiten Welle des Coronavirus sind nicht aus der Luft gegriffen: Nach einer ersten Welle verzeichnet der Iran neue Höchstzahlen.
Das Wichtigste in Kürze
- In Europa sinkt die Zahl der täglichen Neuinfektionen in den meisten Ländern.
- Der Iran hingegen befindet sich mitten in der zweiten Corona-Welle.
- Ausschlaggebend waren die frühen Lockerungen der Massnahmen.
Die europäischen Länder haben in den vergangenen Wochen erfreuliche Zahlen vermeldet: Vielerorts sinkt die tägliche Anzahl Neuinfektionen mit dem Coronavirus, auch die Zahl der aktiven Fälle purzelt runter.
Nicht so im Iran: Der Staat in Vorderasien gehörte nach China mit Italien zu den ersten Ländern, in welchen die Epidemie ausbrach. Ähnlich wie Italien wurde auch der Iran weitgehend unvorbereitet getroffen. Anfang April hatte man den Ausbruch jedoch in den Griff bekommen – die Anzahl Neuinfektionen sank.
Anfang Mai wendete sich der Trend jedoch erneut: Seitdem steigt die Anzahl Neuinfektionen wieder. Mit mittlerweile wieder 3000 täglichen Neuinfektionen ist klar: Der Iran erlebt als erstes Land eine deutliche zweite Welle. Doch warum?
Frühe Lockerung der Massnahmen
Ein Blick in die Statistik zeigt: Der Iran erlebte einen durchaus typischen Verlauf der ersten Infektionswelle. Am 30. März erlebte das Land mit 81 Millionen Einwohnern einen ersten Peak mit rund 3200 Neuinfektionen. Seitdem sank die Zahl.
Ähnlich wie in den meisten Ländern hatte die Islamische Republik harte Massnahmen ergriffen: Geschäfte und Moscheen blieben geschlossen, das öffentliche Leben wurde stark eingeschränkt. Die Massnahmen wurden jedoch mit einiger Verzögerung eingeleitet, wodurch die erste Welle bereits grosse Ausmasse annahm.
Wie «Arab News» berichtet, begann der Iran jedoch bereits am 11. April mit ersten Lockerungen ausserhalb der Hauptstadt Teheran. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch noch immer 1800 tägliche Neuinfektionen. Nach Angaben der Johns Hopkins Universität wurde der bisherige Spitzenwert vergangenen Donnerstag übertroffen – es gab rund 3400 Neuinfektionen.
Dabei war man sich des Risikos einer zweiten Welle durchaus bewusst: Bereits am 11. Mai gestand Ali Maher, Mitglied der iranischen Corona-Taskforce, ein, dass man das Virus nicht eindämmen könne: «Mit der Wiedereröffnung der Geschäfte haben die Menschen die Corona-Protokolle vergessen.
Wirtschaftliche Situation zwingt trotz Coronavirus zur Lockerung
Die frühe Lockerung wurde vor dem Hintergrund einer prekären wirtschaftlichen Situation eingeleitet. Als Reaktion auf den Ausbau des Atomprogramms unter dem damaligen Präsidenten Ahmadinedschad wurden harte Sanktionen gegen das Land verhängt. Dem Iran fiel es daraufhin immer schwerer, Absatzmärkte für die eigentlich reichlich vorhandenen Ölreserven zu finden.
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump verschlechterten sich die Beziehungen noch mehr. Im Januar 2020 erreichte der Konflikt mit Angriffen auf US-Stützpunkte im Irak und der Ermordung des Generals Soleimani einen Höhepunkt.
Die langjährigen Sanktionen haben die iranische Wirtschaft schwer geschädigt. Der wirtschaftliche Schaden wurde höher gewichtet als die Gefahr durch das Coronavirus.
Iranische Regierung steht mit dem Rücken zur Wand
Von Anfang an war die iranische Rhetorik rund um das Coronavirus vom Konflikt mit dem Westen geprägt. Wie «Al Jazeera» berichtete, boten die USA im März der islamischen Republik ihre Hilfe an.
Der oberste Geistliche des Irans, Ayatollah Ali Khamenei, wies die Hilfe zurück. Stattdessen zitierte er chinesische Verschwörungstheorien über einen Ursprung des Coronavirus in den Vereinigten Staaten: «Wer würde bei klarem Verstand darauf vertrauen, dass ihr uns Medikamente bringt?», fragte Khamenei. «Möglicherweise ist eure Medizin ein Weg, das Virus weiterzuverbreiten.»
Ein Statement des ständigen Vertreters des Iran bei den Vereinten Nationen vom 3. Juni unterstreicht die prekäre Lage, in der sich das Land befindet: In Zeiten des Coronavirus hätten die US-Sanktionen das Ausmass eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit angenommen, zitiert «IRNA».
Der Iran kann sich keinen längeren Lockdown leisten: Verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage weiter, droht dem Regime eine neue Protestwelle.
Mit der Eskalation des schwelenden Konflikts zu Beginn des Jahres ist eine Normalisierung der Situation jedoch in weite Ferne gerückt. Die Sanktionen dürften dem Iran weiter zu schaffen machen: Ein Ende der zweiten Covid-19-Welle ist nicht absehbar.