Coronavirus: Schweizer Familie über prekäre Lage in Brasilien

Noëlle Schnegg
Noëlle Schnegg

Brasilien,

Brasilien hat das Coronavirus noch längst nicht unter Kontrolle. Mitarbeiter einer Hilfsorganisation sprechen mit Nau.ch über die dramatische Lage.

Coronavirus
Die Familie Volkart setzt sich in Brasilien für Strassenkinder ein. Im Nau.ch-Gespräch sprechen sie über ihren Alltag in São Paulo. - Keystone/zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • In Brasilien ist die Corona-Situation noch immer dramatisch.
  • Die Situation auf den Strassen hat sich seit der Pandemie massiv verschlechtert.
  • Schweizer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation schildern ihr Leben in São Paulo.

«Ich führe eine lange Liste von Bekannten, die am Coronavirus starben, die Liste wächst immer noch.» Heidi (45) und Mike Volkart (47), ein Schweizer Ehepaar, erlebt die Tragödie in der brasilianischen Millionenmetropole São Paulo hautnah.

In diesem Jahr ist das Coronavirus immer näher zur Familie Volkart gerückt: Der Vater einer Schulkollegin ihres ältesten Sohnes, eine 38-jährige Nachbarin, ein junges Ehepaar, Mitarbeiter der Organisation. Die Liste der Toten im Bekanntenkreis ist lang.

Während in Europa die Impfkampagnen voranschreiten und die Massnahmen weiter aufgehoben werden, bleibt die Corona-Situation in Brasilien dramatisch. Rund 17,7 Millionen Menschen infizierten sich bisher mit dem Coronavirus. Mit über 496'000 Toten hat das Land hinter den USA die zweithöchste Todesrate weltweit.

Heidi und Mike Volkart entschieden sich im Jahr 2000, nach Brasilien auszuwandern. In São Paulo setzen sie sich mit der christlichen Hilfsorganisation «ABBA» (Assosiação Brasileira Beneficente Aslan) für Strassenkinder ein. Das Land zählt etwa sieben Millionen Kinder und Jugendliche, die auf der Strasse leben.

Volkarts haben seither ein Kinderhaus aufgebaut, um Kindern und Jugendlichen einen würdigen Alltag bieten zu können. Ausserdem hat Schreiner Mike eine Lehrschreinerei gegründet.

Anzahl Menschen auf der Strasse hat sich verdoppelt

Corona verschlimmerte die Situation auf den Strassen Brasiliens massiv. «In den Monaten des Lockdowns hat sich die Anzahl an Menschen, die auf der Strasse leben, verdoppelt», sagt Heidi Volkart.

Millionen von Menschen würden von dem leben, was sie an einem Tag verdienen. Meist verkaufen sie ihre Ware auf den Strassen. Als sie aber nicht mehr das Haus verlassen durften, hatten die Familien am Abend kein Essen auf dem Tisch. Heidi Volkart: «Die Menschen verhungerten.»

Während des Lockdowns verteilte die Hilfsorganisation warme Mahlzeiten an die Menschen auf der Strasse. Ausserdem verteilte «ABBA» Masken, Desinfektionsmittel, diverse Hygieneprodukte und Flüssigseife an Bedürftige.

Coronavirus: Impfkampagne geht schleppend voran

Auch über ein Jahr nach Pandemie-Beginn gibt es nicht viel Positives aus dem Land zu berichten. Die spät gestartete Impfkampagne geht nur langsam voran: Derzeit erhielten rund 28 Prozent eine erste Dosis, 11,3 Prozent sind vollständig geimpft.

Ein grosses Problem nebst den Lieferverzögerungen: Bundesstaaten und Gemeinden haben unterschiedliche Kriterien zur Impfung von priorisierten Gruppen verabschiedet. Dies erschwert die genaue Überwachung der landesweiten Daten. Zu diesem Schluss kommt eine Umfrage zweier Universitäten aus Rio de Janeiro und São Paulo.

Coronavirus
Eine Gesundheitsarbeiterin verabreicht einer Frau, die auf der Strasse lebt, eine Dosis des AstraZeneca-Impfstoffs gegen das Coronavirus in Rio de Janeiro. - Keystone

São Paulo hat diese Woche damit begonnen, Personen zwischen 50 und 59 Jahren gegen das Coronavirus zu impfen. Ausserdem können sich nun Menschen ab 18 registrieren, um die am Ende des Tages übrig gebliebenen Impfdosen erhalten zu können.

Das Ziel von Brasiliens Gesundheitsminister Marcelo Queirogan ist es, die Bevölkerung bis Ende 2021 durchgeimpft zu haben. «Die Zeit läuft gegen uns», sagt der Infektiologe Renato Kfouri gegenüber «BBC News Brasil». Denn jedes Mal, wenn sich die Impfung verzögere, würden sich mehr Todesfälle häufen.

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