Darum lässt Hamas jetzt erste Geiseln frei
Die Hamas hat erste Geiseln freigelassen. Das könnte ein erstes Zeichen für erfolgreiche Diplomatie sein, vermutet ein Experte.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Hamas hat bei ihrem Angriff auf Israel zahlreiche Menschen verschleppt.
- Inzwischen wurden bereits mehrere Geiseln freigelassen.
- Ein Experte vermutet, das könnte ein Erfolgszeichen für US-Diplomatie sein.
Am Montagabend hat die Hamas zwei weitere im Israel-Krieg verschleppte Geiseln freigelassen: Die Seniorinnen Nurit Cooper (79) und Yocheved Lifshitz (85).
Bereits vergangene Woche kamen die Israel-Amerikanerinnen Judith (59) und Natalie (17) Raanan frei. Die beiden Frauen sind Mutter und Tochter und leben in einem Vorort von Chicago. Den vier schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen. Sie waren unverletzt.
Welche Strategie steckt hinter den Freilassungen – und was haben sie zu bedeuten? Tatsächlich könnten sie als ersten Schritt Richtung Deeskalation gelesen werden.
Freilassungen könnten Zeichen für Diplomatie-Erfolg sein
Nahost-Experte Andreas Böhm erklärt bei Nau.ch: «Es ist bemerkenswert, dass die ersten Freigelassenen Amerikaner sind. Man kann dies als ein Zugeständnis an die USA interpretieren, deren Ziel es ist, den Konflikt einzudämmen.»
Es sei gut möglich, dass die Hamas jetzt im Gegenzug gewisse Garantien bezüglich der geplanten israelischen Bodenoffensive erwartet.
«Dass diese so lange zurückgehalten wird, ist ebenfalls bemerkenswert und, soweit wir wissen, amerikanischem Druck zu verdanken», erklärt der Experte.
Das Ziel der USA: «Einerseits durch Diplomatie mit allen Mächten in der Region einen Flächenbrand verhindern, andererseits Geiseln freibekommen.»
Hamas stellt Forderungen
Und tatsächlich: Am Dienstagnachmittag, knapp ein Tag nach der zweiten Freilassung, tauchen Forderungen der Hamas auf. Sie verknüpfen nun weitere Freilassungen mit der Bedingung, dass Israel die Lieferung von Treibstoff sowie Arzneimitteln in den Gazastreifen erlaubt.
Die notleidende Zivilbevölkerung im Gazastreifen brauche dringend Treibstoff, auch um die Versorgung etwa mit Wasser und Strom sicherzustellen. «Das unterstreicht, dass die Geiseln für die Hamas zuvorderst strategischen Nutzen haben: als Faustpfand, um sie gegen andere Forderungen einzutauschen», ergänzt Böhm.
Sie möge zwar einzelne Geiseln töten, um den Druck zu erhöhen. «Aber darüber hinaus haben die Geiseln nur einen Wert, solange sie leben.»
Geiseln von Hamas «gut behandelt»
Bei ihrem Angriff am 7. Oktober verschleppte die islamistische Organisation Dutzende Menschen und richtete ein Blutbad an. An einem Festival erschossen sie wahllos junge Besucherinnen und Besucher. Und in verschiedenen Siedlungen löschten sie ganze Familien aus.
Es ist ein anderes Bild, das die freigelassenen Geiseln nun von der Hamas zeichnen. Der Vater von Natalie Raanan sagte nach ihrer Freilassung, sie sei «gut behandelt» worden. Und Aufnahmen zeigen, wie Yocheved Lifshitz einem Hamas-Kämpfer die Hand schüttelt, als sie dem Roten Kreuz übergeben wird.
Diesen Kontrast erklärt sich Böhm so: «Es gibt aus der Sicht der Hamas drei Kategorien von Geiseln: ausländische, israelische Zivilisten und israelische Soldaten.»
Ausländische Geiseln würden wohl am besten behandelt, «wobei es wohl auch darauf ankommt, welche Hamas-Schergen sie beaufsichtigen. Und es werden jene besser behandelt, die zuerst freigelassen werden könnten.»
Dennoch – Geiselnahme sei ein Kriegsverbrechen. Und: «Sollte es zu einem Einmarsch kommen, wird die Hamas wohl auch Geiseln töten. Einige, aber nicht alle, denn nur lebende Geiseln haben in der zynischen Logik der Hamas einen Wert als Faustpfand.»
Was Böhm ebenfalls feststellt: Die Familien der Geiseln würden sich über Israel-Premierminister Netanjahus «offen zur Schau gestelltes Desinteresse an der Befreiung ärgern. Sie drängen auf einen Waffenstillstand, um die Freilassung zu verhandeln und werden wiederum von Anhängern Netanjahus als Verräter bezeichnet.¨