Erdogans Charmeoffensive: Besuch in Saudi-Arabien nach Khashoggi-Mord
Mit grimmiger Miene ging der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am saudischen Kronprinzen vorbei und würdigte ihn keines Blickes. Das war vor drei Jahren, beim G20-Gipfel in Buenos Aires.
Das Wichtigste in Kürze
- Nicht nur Erdogan, zahlreiche Weltpolitiker schnitten damals den faktischen Herrscher Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman.
Niemand wollte sich mit jemandem ablichten lassen, der mutmasslich verwickelt ist in einen der grausamsten politischen Morde der vergangenen Jahre: die Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi.
Aber seitdem ist einige Zeit verstrichen, und die Zeichen stehen auf Annäherung. Am Donnerstag soll Erdogan den Kronprinzen und König Salman in Dschidda treffen - sein erster Besuch in Saudi-Arabien seit dem Khashoggi-Mord. Der Journalist und Regierungskritiker war im Oktober 2018 im Konsulat seines Landes in Istanbul getötet worden, seine Leiche wurde zerstückelt und ist bis heute unauffindbar.
Die US-Geheimdienste sehen Kronprinz Mohammed als Drahtzieher. Das Königshaus weist das zurück. Auch Erdogan brachte den Kronprinzen indirekt mit der Tat in Verbindung. Er sprach von einem «barbarischen Mord» und erklärte, eine Verschleierung werde er nicht zulassen. 26 Angeklagte, darunter ein Ex-Berater des Kronprinzen und der ehemalige Vize-Geheimdienstchef, wurden in Abwesenheit in der Türkei angeklagt. Aber im April legte die Türkei den Fall überraschend ab - ein Gericht überstellte den Mordprozess an Saudi-Arabien.
Als «politische Strategie» bezeichnete der Türkei-Vertreter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu, die Entscheidung. Damit stehe der Aussöhnung mit Saudi-Arabien nichts mehr im Wege. Der in der Region schon länger isolierte Erdogan scheint mit dem Kronprinzen nicht länger über Kreuz liegen zu wollen.
Hintergrund dürfte auch die missliche Lage sein, in der sich Erdogan zurzeit befindet. Die türkische Landeswährung Lira verliert an Wert, die Inflation steigt und damit die Unzufriedenheit der Bevölkerung - Erdogans Umfragewerte dagegen sinken. Das Verhältnis zu Europa und den USA hat sich im Zuge des Ukraine-Krieges zwar wieder verbessert, ist aber dennoch angespannt. Erdogan sucht neue Partner und wendet sich dabei nicht nur nach Saudi-Arabien. Auch mit Armenien, den Emiraten und Israel gab es zuletzt eine Annäherung.
Im reichen Ölstaat darf Erdogan nun auf Zusagen für frische Investitionen hoffen. Ihm wird zudem daran gelegen sein, einen inoffiziellen Boykott türkischer Waren zu beenden, zu dem saudische Unternehmer und Händler 2020 aufgerufen hatten. Ein Einbruch im Export türkischer Waren war die Folge.
Erdogan hat schon in der Vergangenheit Pragmatismus bewiesen. Das sei diesmal nicht anders, glaubt die die Türkei- und Nahost Expertin des Centrums für Türkeistudien (CATS) in Berlin, Hürcan Asli Aksoy. «Ankara handelt ganz klar interessenbasiert.» Differenzen wie der Fall Khashoggi oder Ideologie seien dabei nachrangig.
Saudi-Arabien wiederum hofft, den Fall nun ganz ad acta zu legen. Der Mord hat dem Land viel Kritik eingebracht und dem Image des Kronprinzen schwer geschadet. Regierungsnahe türkische Medien diskreditierten «MBS» und verhalfen ihm wegen des Mordes sogar zum Spitznamen «Abu Minschar» - etwa zu übersetzen als «Meister der Säge». Saudi-Arabien überstand die Affäre ohne grössere Schäden - auch dank des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der aus wirtschaftlichem und politischem Interesse auf Sanktionen verzichtete.
Auch mit den Emiraten hat sich die Türkei inzwischen wieder angenähert - bis zu zehn Milliarden US-Dollar will Abu Dhabi nun in der Türkei investieren. Alte ideologische Konflikte in der Region scheinen dabei immer mehr ihre Bedeutung zu verlieren. Nach den Aufständen von 2011, die mehrere Langzeitherrscher in der Region zu Fall brachten, hatten sich die Beziehungen der Türkei mit Teilen der arabischen Welt zunehmend verschlechtert. Die Türkei unterstützte dabei islamistische Gruppen wie etwa die Muslimbruderschaft im Versuch, selbst eine führende Rolle einzunehmen.
Für Ägypten, Saudi-Arabien und die Emirate ist die Muslimbruderschaft dagegen ein rotes Tuch. Dort sowie in Syrien, Bahrain und Russland wird die 1928 gegründete «MB» als Terrororganisation eingestuft. Es entstand eine Front mit der Türkei und dem Verbündeten Katar auf der einen sowie Saudi-Arabien, den Emiraten und Ägypten auf der anderen Seite. Im Konflikt in Libyen unterstützten die Blöcke ebenfalls unterschiedliche Seiten.
Inzwischen haben die Islamisten aber etwa in Marokko und Tunesien Rückschläge einstecken müssen und sind geschwächt. Die USA ziehen sich unter Präsident Joe Biden zunehmend aus der Region zurück, ähnlich wie schon unter Barack Obama, und richten ihren Blick nach Südostasien. Grosse Akteure wie Riad, Abu Dhabi und Kairo suchen daher ebenfalls neue Allianzen. Sie wollen im Konflikt mit dem Erzfeind Iran nicht allein dastehen, während dieser unter anderem mit Washington das iranische Atomprogramm neu verhandelt.
Die Türkei wiederum, die ein vergleichsweise gutes Verhältnis zum Iran unterhält, hat sich in der Region auch durch ihre aggressive Aussenpolitik, wie etwa im östlichen Mittelmeer, zunehmend isoliert. «Die Spannungen können nicht weitergeführt werden, weder ökonomisch noch geopolitisch», sagt Expertin Aksoy. Das gelte nicht nur für die Türkei, sondern für alle Akteure in der Region.
Bleibt die Aufklärung des Falls Khashoggi auf der Strecke? Nach Erdogans Besuch könnte sie unwahrscheinlicher werden. Das «Wall Street Journal» hatte unter Berufung auf Regierungsvertreter berichtet, der Kronprinz wolle eine Zusage von Erdogan, dass dieser den Fall Khashoggi künftig überhaupt nicht mehr erwähnt.