Am 7. Oktober 2023 verübte die Terrororganisation Hamas Anschläge auf Israel. Die Eskalation im Nahostkonflikt könnte nun ein Jahr später die US-Wahlen prägen.
Israel-Gaza-Krieg
Die beiden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Kamala Harris. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Vor einem Jahr eskalierte die Situation im Nahen Osten ein weiteres Mal.
  • Auch in den USA wird hitzig über dieses Thema diskutiert.
  • Ein Experte erklärt gegenüber Nau.ch, was das für den laufenden Wahlkampf heisst.
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Das Hamas-Massaker in Israel jährt sich heute Montag zum ersten Mal. Die Anschläge sorgten für eine Eskalation im Nahostkonflikt – diese hat Auswirkungen weit über die Region hinaus. Beispielsweise mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen ist der Israel-Gaza-Krieg ein wichtiges Thema.

Unter anderem in der ZDF-Talk-Sendung von Markus Lanz wurde der Einfluss des Konflikts auf die US-Wahlen angeschnitten. Denn: Die Amerikaner unterstützen im Israel-Gaza-Krieg Israel. Das gefällt vielen Leuten, die normalerweise demokratisch wählen, nicht.

Die These von Moderator Lanz: Viele junge Demokraten sowie Amerikaner mit arabischer Herkunft könnten sich deswegen von der Partei abwenden. Und Trump wählen – weil sie genug davon haben, dass die USA Weltpolizist spielt.

Wenn du eine Prognose abgeben müsstest: Wer gewinnt die US-Wahl?

Elmar Thevessen, ZDF-Experte für US-Politik, bestätigt in der Sendung, dass sich die Begeisterung für Biden und Harris bei der Gruppe in Grenzen hält. Kamala Harris werde kritisiert, weil sie sich nicht genug von Joe Biden unterscheidet.

Allerdings gebe es bisher auch keinen Aufruf dazu, Harris nicht zu wählen oder gar Trump zu wählen. Man wolle stattdessen abwarten, wie sich die Lage bis zu den Wahlen entwickelt.

Profitiert Donald Trump also tatsächlich vom Israel-Gaza-Krieg? Im Nau.ch-Interview ordnet der Politologe Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies die Situation ein.

Viele Demokraten gehen wegen Israel-Gaza-Krieg wohl gar nicht wählen

Nau.ch: Werden junge Demokraten sowie Amerikaner mit arabischer Herkunft tatsächlich Trump wählen? Sieht es derzeit danach aus?

Martin Thunert: Sollte sich diese Gruppe in vier Wochen tatsächlich von der Demokratischen Partei beziehungsweise ihrer Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris abwenden, so heisst dies nicht, dass die überwiegende Mehrheit Donald Trump und die Republikaner wählt.

Nahostkonflikt USA
Der Nahostkonflikt polarisiert nicht nur in der Region selbst, sondern weltweit.
Palästina USA
Unter anderem in den USA kommt es immer wieder zu Pro-Palästina-Demos.
Joe Biden
Sogar innerhalb der Demokraten um Präsident Joe Biden ist man sich in der Frage nicht wirklich einig.
Kamala Harris
Gut möglich, dass auch die Kandidatur von Kamala Harris darunter leidet.
Donald Trump
Der Republikaner Donald Trump könnte am Ende der grosse Profiteur sein.

Nau.ch: Sondern?

Thunert: Vielmehr würden die meisten dieser Gruppe eher zu Hause bleiben. Und ein kleinerer Teil würde die beiden unabhängigen Kandidaten Cornel West oder Jill Stein wählen.

Die meisten Israel-Kritiker innerhalb der Demokratischen Partei – und selbst die Israel-Gegner – wollen nicht Trump an die Macht bringen, sondern die Politik der Biden- und einer möglichen Harris-Administration ändern.

Israel-Gaza-Krieg spaltet Demokraten – und macht sie nervös

Nau.ch: Wovon hängt dies in nächster Zeit ab? Was müssten die Demokraten ändern oder verhindern?

Thunert: Die gegenwärtige israelische Regierung weiss dies und erwartet sich von einer Trump-Präsidentschaft mehr Unterstützung als von einer Harris-Präsidentschaft. Deswegen wird sie wenig unternehmen, was Harris innerparteilich hilft, die Partei geschlossen zu halten.

Benjamin Netanjahu
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu: Er dürfte im Rahmen der US-Präsidentschaftswahl eine klare Präferenz haben. - dpa

Die Wählerkoalitionen hinter beiden grossen Parteien sind sehr heterogen. In der Demokratischen Partei gibt es nach wie vor eine grosse Unterstützung für den Staat Israel. Aber ein Teil der jüngeren Generation unter den Parteianhängern sieht diese Unterstützung zunehmend kritisch.

Das Kunststück für eine Präsidentschaftskandidatin besteht nun darin, keine der beiden Seiten – insbesondere in den Swing States zu verprellen.

Kamala Harris äussert sich in Bezug auf die Unterstützung Israels zurückhaltender als Präsident Biden. Dadurch hofft sie, zum Beispiel die grosse arabisch-muslimische Wählerschaft im Swing State Michigan von einer Wahlenthaltung, die bei einer Kandidatur Bidens erwartbar gewesen wäre, abzubringen.

Nau.ch: Wie ist die Stimmung derzeit unter den Demokraten bei der Israel-/Nahost-Politik?

Thunert: Die Stimmungslage im Lager der Demokraten hellt sich immer dann auf, wenn Trumps Probleme mit der Justiz die Schlagzeilen bestimmen. Sobald die Nahost-Politik in den Vordergrund rückt, werden die Demokraten nervöser.

Nau.ch: Weshalb?

Thunert: Fünf Wochen vor den Wahlen ist klar, dass Premierminister Benjamin Netanjahu einen eigenen militärischen und politischen Zeitplan hat und dezidiert keine Rücksicht auf den Wahlkampf von Kamala Harris nimmt – ganz im Gegenteil.

Daher kann Kamala Harris nur noch hoffen, dass der sich ausweitende Israel-Gaza-Krieg ihre Kandidatur nicht übertönt und in den Köpfen der letzten unentschlossenen Wähler sich der Gedanke bestätigt, den ihr Gegner Donald Trump propagiert: Dass die Welt dank der schwachen Führung der Regierung Biden-Harris ausser Kontrolle geraten ist.

Donald Trump behauptet: Unter seiner Führung war alles gut

Nau.ch: Wie sieht dieses Trump-Narrativ konkret aus?

Thunert: Hauptsächlich müssen die Demokraten gegen folgendes Gesamtnarrativ Trumps ankämpfen: Trump hat wiederholt gesagt, dass die schwache Führung der Demokraten in Washington die Ereignisse in Bereichen wie Afghanistan, Israel und der Ukraine im Ausland, an der amerikanisch-mexikanischen Grenze und bei den Lebensmittelpreisen zu Hause ausser Kontrolle geraten lassen hat.

Donald Trump
Donald Trump betont immer wieder, dass während seiner Amtszeit alles besser war. - keystone

Alles war friedlich und wohlhabend, als er an der Macht war, und seine starken Hände am Steuer würden Frieden und Wohlstand zurückbringen. Die eskalierende Situation im Nahen Osten spielt diesem Narrativ bei Teilen der Wählerschaft in die Hände.

Deswegen wird Kamala Harris wahrscheinlich versuchen, die wachsende Krise im Nahen Osten zu nutzen, um entschlossen und präsidial zu wirken. Allerdings hat die israelische Regierung nicht den geringsten politischen Anreiz, ihr dabei zu helfen. Sie wartet lieber auf die Rückkehr von Trump, von dem sie glauben, dass er Israel alles gibt, was es will.

Israel-Gaza-Krieg als entscheidender aussenpolitischer Faktor

Nau.ch: Könnte der Israel-Gaza-Krieg die US-Wahlen entscheiden?

Thunert: Die Präsidentschaftswahlen am 5. November 2024 werden in 5-7 sogenannten Swing States entschieden.

Die meisten der dortigen Wählerinnen und Wähler sehen die Aussenpolitik nach wie vor weiter unten auf die Liste ihrer höchsten Prioritäten. Also hinter Wirtschaft/Inflation, Abtreibung, Migration/Grenzsicherung und charakterliche Eignung für das Präsidentenamt.

USA Kongress
Nicht nur der Präsident, sondern auch Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats werden in den USA gewählt. - keystone

Doch der Nahostkonflikt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der entscheidende aussenpolitische Faktor bei der Wahlentscheidung. Er kann in einem oder zwei Swing States durchaus bedeutsam werden.

Nau.ch: Würde die USA mit Präsident Donald Trump weniger Weltpolizist spielen als mit Präsidentin Kamala Harris?

Thunert: Ich denke, dass in der amerikanischen Bevölkerung der Appetit auf militärische Interventionen der USA eher gering ausgeprägt ist. Es sei denn, die vitalen Interessen der USA wären direkt bedroht.

Donald Trump und sein Umfeld interpretieren die Rolle der USA als führende Weltordnungsmacht sicherlich zurückhaltender und enger auf die nationalen Interessen USA ausgelegt als die Mehrheit der Demokraten um Kamala Harris.

Harris betont die Wiederherstellung der amerikanischen Führungsfähigkeit im Konzert mit den Allierten während der Biden-Harris Präsidentschaft. Sie weicht insbesondere hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine von Trump ab.

Donald Trump vermittelte Abkommen im Israel-Gaza-Krieg

Nau.ch: Was hat Donald Trump in seiner letzten Amtszeit für den Frieden getan?

Thunert: Trump beansprucht für sich, für Stabilität in der Welt zu stellen, seine Gegner behaupten das genaue Gegenteil. Trump rühmt sich damit, dass in seiner Amtszeit keine neuen Kriege ausgebrochen sind und sieht dies als seinen Verdienst an.

Trump hat gegen Ende seiner Amtszeit 2020 sicherlich eine nicht zu unterschätzende Rolle dabei gespielt, die Normalisierungsverträge zwischen gemässigten arabischen Staaten und Israel, die sogenannten Abraham-Abkommen, zu vermitteln.

Nau.ch: Was sind diese Abraham-Abkommen genau?

Thunert: Bei den Abraham-Abkommen handelt es sich um bilaterale Abkommen zur arabisch-israelischen Normalisierung, die am 15. September 2020 zunächst zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie zwischen Israel und Bahrain unterzeichnet wurden.

Israel
Nicht überall herrscht der Nahostkonflikt: Mit einigen arabischen Ländern hat Israel sogenannte Abraham-Abkommen abgeschlossen. - keystone

Vergleichbare Abkommen schloss Israel später mit Sudan und Marokko. Das erste Abkommen Israels mit den VAE war das erste, in dem Israel diplomatische Beziehungen mit einem arabischen Land seit 1994 aufnahm, als der Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien in Kraft trat.

Die Abkommen wurden «Abraham-Abkommen» genannt, um den gemeinsamen Glauben des Judentums und des Islams an den Propheten Abraham zu betonen.

Kritiker bemängeln an den Abkommen und einem möglichen Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien, dass sie die Palästina-Frage ausser Acht lassen.

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