Der «Anti-Trump» wird Jacinda Ardern gern genannt. Seit 2017 lenkt die junge Regierungschefin die Geschicke Neuseelands mit Empathie und Menschlichkeit. Bei zwei grossen Krisen hat sie das bewiesen. Nun stellt sie sich zur Wiederwahl - aber es gibt harte Konkurrenz.
Auf Stimmenfang: Eine elektronische Plakatwand in einem Einkaufszentrum, die ein Foto der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern zeigt. Foto: Mark Baker/AP/dpa
Auf Stimmenfang: Eine elektronische Plakatwand in einem Einkaufszentrum, die ein Foto der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern zeigt. Foto: Mark Baker/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Bis zu jenem Tag im März 2019 hatte Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern ein fast perfektes Image: Eine beruflich und privat glückliche und erfolgreiche Frau von nicht einmal 40 Jahren, der so gut wie alles gelingt.
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Neue Vorsitzende der Labour-Partei im Sommer 2017, gleich darauf ein völlig überraschender Wahlsieg aus der Opposition heraus. Kurz darauf bringt sie auch noch als erste amtierende Regierungschefin seit Jahrzehnten ein Kind zur Welt. International war ihr Name aber kaum bekannt - schliesslich liegt die von ihr regierte Insel für die meisten Menschen ziemlich weit weg.

Dann schlägt ein Massenmörder zu. Ein Rechtsextremist aus Australien erschiesst in zwei Moscheen in der Stadt Christchurch 51 Muslime. Die Bluttat entsetzt die Welt. Die Regierungschefin hat in den Folgetagen dunkle Augenringe, aber sie zeigt vorbildlich, was Mitgefühl, Präsenz und Stärke in Krisenzeiten bedeuten. Sie umarmt Muslime, spricht mit Hinterbliebenen, hält einfühlsame Reden, trifft den richtigen Ton. Was so vielen Politikern in der Welt zu fehlen scheint, sie hat es. Das findet Lob und macht die junge Frau mit einem Schlag berühmt.

Parallel dazu bringt sie auch eine Verschärfung der Waffengesetze auf den Weg. Halbautomatische Waffen, so wie sie der Mörder benutzt hatte, sind in Neuseeland nun verboten.

Nur ein Jahr später dann Corona. Die Regierung reagiert schnell, ordnet eine der strengsten Ausgangssperren der Welt an und ist erfolgreich: Bislang ist Neuseeland extrem glimpflich durch die Krise gekommen, konnte kürzlich gar das Virus zum zweiten Mal für besiegt erklären. Ardern kam die gute Nachricht gerade recht: Am Samstag gehen die Neuseeländer zur Wahl. Die 40-Jährige, die auch als «Anti-Trump» bezeichnet wird, hofft auf eine zweite Amtszeit.

Die Corona-Bilanz ist tatsächlich beachtlich: Nur rund zwei Dutzend Menschen sind in Australiens Nachbarland in Verbindung mit Covid-19 gestorben. Im Juni erklärte sich das Land zum ersten Mal Corona-frei und kehrte zu einer beneidenswerten Normalität zurück. Ein zweiter Ausbruch in Auckland ist nun auch unter Kontrolle.

Statt auf harte Worte setzt Ardern auf die Solidarität und Kollaboration ihres «Fünf-Millionen-Teams», wie sie das Volk gern nennt. «Seid stark, seid freundlich», lautete ihr Schlagwort im Kampf gegen das Virus. Aber nicht alle fühlen sich als Teil des Teams. Kritiker werfen ihr vor, nicht genug gegen die weit verbreitete Kinderarmut unternommen zu haben. Laut Unicef gibt es in kaum einem anderen Industriestaat so viele Selbstmorde unter Jugendlichen wie in Neuseeland. Besonders von Armut betroffen sind nach wie vor die Maori, die Ureinwohner von Aotearoa, wie sie das Land nennen.

Dass Ardern überhaupt Premierministerin wurde, war dabei eher ein Zufall. Denn Labour war bei der Wahl 2017 trotz klarer Gewinne nur zweitstärkste Kraft geworden. Die konservative National-Partei, die zuvor drei Legislaturperioden lang an der Macht war, hatte aber ebenfalls nicht genug Stimmen, um allein zu regieren. Zünglein an der Waage wurde wegen einer Eigenheit des Wahlsystems die populistische Kleinpartei «New Zealand First», die ihren Koalitionspartner selbst wählen durfte - und sich überraschend für Labour entschied. «Wir mussten uns zwischen einem Status quo oder einem Wandel entscheiden», erklärte Parteichef Winston Peters. Dritter im Bunde sind die Grünen.

Seither hat Ardern viele ihrer Wahlversprechen eingelöst, andere nicht. «Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Verschlechterung der sozialen Lage ist überhaupt kein Erfolg. Es ist ein Misserfolg», räumte sie im Wahlkampf ein. Auch im Klimaschutz will sie Vorreiterin sein: Bis 2035 soll Neuseeland seinen Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewinnen, schrieb sie 2018 in einem Gastbeitrag im «Tagesspiegel». Kurz: Sie hat noch viel vor. Ihr Leitsatz im Wahlkampf: «There is still more to do.» (Es gibt noch mehr zu tun.)

Unmut regt sich aber auch, weil das Gesicht Arderns so häufig Magazincover ziert. Ende 2019 kam ein 66-jähriger Maurer aus der Region Canterbury in die Schlagzeilen, als er eine Kampagne gegen sie startete. «Wir wollen einen Premierminister, kein Model», moserte er.

Zudem: Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind dramatisch. Das will Arderns konservative Widersacherin Judith Collins nutzen. Die 61-Jährige, die schon viele Ministerposten besetzt hat, versucht mit ihrer langjährigen politischen Erfahrung zu punkten. «Wir nähern uns der tiefsten Rezession seit Menschengedenken. Das Finanzministerium hat prognostiziert, dass 100 000 weitere Neuseeländer ihre Arbeit verlieren werden», warnte Collins im Wahlkampf und präsentierte sich als Krisenmanagerin: «Wir brauchen eine Regierung mit nachgewiesener wirtschaftlicher Kompetenz und Glaubwürdigkeit, mit einem Plan für die Erholung nach Covid und der Fähigkeit, diesen Plan umzusetzen.»

Das Nachrichtenportal «Stuff» sprach von einem «historischen Wahlkampf». Das Ergebnis werde bestimmen, «wie wir aus dem grössten wirtschaftlichen Schock seit Jahrzehnten herauskommen.» Sicher scheint nur: Es wird eine Frau sein, die Neuseeland durch die schwere Zeit nach der Pandemie manövriert.

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