Schweizer in Israel: «Familie musste 25 Mal in Bunker fliehen»
Zwei Schweizer in Israel schildern gegenüber Nau.ch, wie sie und Schweizer Familien die Tage seit dem Überraschungsangriff der Hamas vom Samstag erlebt haben.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweizer Ralph Steigrad und Erich Bloch befinden sich derzeit in Israel.
- Sie arbeiten an der Evakuierung und Rückführung von Schweizern aus Israel.
- «Alle, die in Grenznähe wohnen, müssen evakuiert werden», erklärt Steigrad.
Der Angriff der radikal-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel erschüttert die Welt. Mitten im Geschehen sind zwei Schweizer: Ralph Steigrad, Präsident der Swiss Community Israel. Und Erich Bloch, ehemaliger Zürcher SP-Kantonsrat sowie langjähriges Mitglied vom Auslandsschweizer Rat.
Sie beide sind aktiv in der vierköpfigen Sicherheitsgruppe für die Evakuierung und Rückführung von Schweizern aus Israel. Dabei arbeiten sie eng mit dem Konsulat zusammen.
Sie wohnen derzeit in Netanya, einer Stadt rund 30 Kilometer nördlich von Tel Aviv. Dort erleben sie den Schrecken fast hautnah mit. Steigrad erzählt: «Obwohl Netanya bisher von keinen Angriffen betroffen war, sind die Strassen vollständig gesperrt, und die Polizei führt strenge Kontrollen durch.»
Selbst beim Einkauf müssten sie Stacheldrahtbarrieren überwinden. «Dennoch fühlen wir uns vergleichsweise sicher.»
Familien bangen um Freunde in Israel
Das geht längst nicht allen Schweizern so. «Viele melden sich bei uns und wollen zurück in ihr Heimatland», so Steigrad. «Ich habe mit vielen Familien gesprochen, und eine Geschichte hat mich besonders bewegt.»
Eine Familie sei entschlossen, in die Schweiz zurückzukehren. «Aber sie befürchtet, dass ein Freund beim Rave ums Leben gekommen ist. Darum wartet sie noch ab.»
Ein anderer habe um seinen Freund gebangt, den er nicht mehr erreicht habe. Nach einer schlaflosen Nacht dann die traurige Gewissheit: «Die Hamas sind in seine Wohnung eingedrungen und haben ihn einfach erschossen. Er war ein alter Mann. Die Familien wissen nicht einmal, ob sie an einer Beerdigung teilnehmen können, da alles abgeriegelt ist.»
Eine andere Familie in Tel Aviv habe eine Schweizer Familie zu Besuch. Steigrad schüttelt den Kopf: «Die 17-jährige Tochter ist völlig traumatisiert. In nur einer Nacht mussten sie rund 25-mal in den Luftschutzbunker fliehen, weil Sirenen ertönten. Jetzt will sie unbedingt in die Schweiz zurück und benötigt therapeutische Hilfe.»
Steigrad selbst habe Bekannte im Norden, wo es relativ viele Schweizer gebe. «Alle, die in Grenznähe wohnen, müssen evakuiert werden. Wir stehen mit betroffenen Schweizern in Kontakt und suchen nach geeigneten Unterkünften.»
«Eine Schweizerin erzählte, dass ihr Grossenkel in der Armee diene. Sie hat keine Ahnung, wo er ist.» Grund: Armee-Angehörigen ist es aus Kriegs-taktischen Gründen strikt untersagt, zu telefonieren. «Das ist auch ein Schweizer, ein Schweizer zweiter oder dritter Generation.»
«Habe ich in meinen 20 Jahren hier noch nie so erlebt»
Auch Erich Bloch beschreibt apokalyptische Zustände: «Meine Frau und ich unternahmen heute Morgen einen Einkaufsversuch und wurden mit einer erdrückenden Atmosphäre konfrontiert. Die Stadt schien wie ausgestorben, und überall spürte man die Verunsicherung der Bewohner.»
Fast jeder habe einen Verwandten, der verletzt sei oder noch Schlimmeres erlebt habe. Die genauen Zahlen sind noch nicht bekannt. Diese Ungewissheit sorgt für eine düstere Stimmung. «Das habe ich in meinen 20 Jahren hier noch nie so erlebt. Nicht einmal während der Corona-Pandemie oder anderen Kriegen!»
Diese «Lockdown-Stimmung» beschäftigt Bloch besonders: «Alle wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben. Ich mache mir Sorgen, dass das ähnliche Dynamiken zur Folge hat wie während der Pandemie.»
Deshalb betont Bloch: «Es ist von grösster Bedeutung, dass wir in dieser Situation sofort handeln, da ähnliche Belastungen wie während der Corona-Pandemie auftreten könnten, darunter häusliche Gewalt und psychische Probleme. Doch die meisten Israeli wollen endlich, dass die Hamas von hier verschwinden, und auch die Palästinenser etwas Hoffnung haben können.»