Barnier zum Brexit-Streit: Einigung immer noch möglich
Die EU will den Schwarzen Peter nicht: Ein Deal mit London sei zwar noch nicht greifbar, aber auch nicht ausgeschlossen, heisst es aus Brüssel. Es bleiben nur noch wenige Tage.
Das Wichtigste in Kürze
- Trotz der Zuspitzung im Brexit-Streit sieht die Europäische Union immer noch Chancen auf einen Kompromiss mit Grossbritannien - wenn auch sehr kleine.
«Auch wenn es sehr schwierig ist, bleibt eine Einigung mit Grossbritannien noch möglich», sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Mittwoch im Europaparlament. Derzeit bahne sich allerdings kein Durchbruch an. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erwartet in den nächsten Tagen mehr Klarheit.
Am Dienstag hatte sich der Streit um den britischen EU-Austritt noch einmal verschärft. Die britische Regierung liess nach einem Telefonat des Premierministers Boris Johnson mit Bundeskanzlerin Angela Merkel durchsickern, dass eine Einigung mit der EU womöglich ausgeschlossen sei. EU-Ratschef Donald Tusk warf Premierminister Boris Johnson daraufhin ein «dummes Schwarzer-Peter-Spiel» vor.
Auch Juncker sagte: «Ich akzeptiere nicht dieses 'Blame Game', das in London begonnen wurde.» Er persönlich schliesse aber einen Deal mit Grossbritannien nicht aus. Die Bundesregierung widersprach der britischen Darstellung am Mittwoch energisch. «Wir haben keine neue Position zum Brexit, weder die Bundeskanzlerin noch die Bundesregierung», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Grossbritannien soll nach jetzigem Stand am 31. Oktober die EU verlassen. Ein bereits 2018 ausgehandelter Austrittsvertrag ist jedoch immer noch nicht ratifiziert, sondern soll nach Johnsons willen in letzter Sekunde geändert werden. Beide Seiten wollten eigentlich eine Einigung bis zum EU-Gipfel Ende nächster Woche.
Johnson hat Vorschläge gemacht, wie die bisher vorgesehene Garantieklausel für eine offene Grenze in Irland - der sogenannte Backstop - ersetzt werden soll. EU-Unterhändler Barnier wies diese jedoch in seiner Parlamentsrede Punkt für Punkt zurück.
Kritik übte er vor allem daran, dass Johnsons Konzept keine glaubhaften Kontrollen von Waren vorsehe, die von Nordirland in die Republik Irland kämen. Das sei ein «bedeutendes Risiko» für den EU-Binnenmarkt. Darüber hinaus widersprach Barnier der Idee eines einseitigen Vetorechts der nordirischen Volksvertretung.
Ob beide Seiten doch noch irgendwie zusammenkommen, könnte im Laufe dieser Woche klarer werden. Am Donnerstag trifft Johnson den irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar. Einen Tag später will Barnier in Brüssel den britischen Brexit-Minister Stephen Barclay empfangen, wie ein Kommissionssprecher sagte. Ebenfalls am Freitag wollen die 27 bleibenden EU-Länder in Brüssel Bilanz ziehen.
Sollte nicht rechtzeitig ein Durchbruch gelingen, dürfte sich beim Gipfel am 17. und 18. Oktober die Debatte um eine mögliche neue Verlängerung der Austrittsfrist drehen. Johnson hat zwar immer wieder gesagt, er werde keinen weiteren Aufschub beantragen, sondern sein Land mit oder ohne Deal am 31. Oktober aus der EU führen. Ein britisches Gesetz zwingt den Premier jedoch zu einem Antrag auf Verlängerung, falls bis 19. Oktober kein Kompromiss steht.
Wegen seiner harten Linie im Brexit-Streit droht Johnson einem Zeitungsbericht zufolge auch in der eigenen Regierung Unmut. Nach Informationen der «Times» (Mittwoch) könnten fünf Kabinettsmitglieder zurücktreten, die einen Austritt ohne Vertrag ablehnen. Bei den Absprungkandidaten handele es sich um Nordirland-Minister Julian Smith, Kulturministerin Nicky Morgan, Justizminister Robert Buckland, Gesundheitsminister Matt Hancock sowie um den Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox, den wichtigsten juristischen Berater der Regierung.
Das oberste Gericht in Schottland vertagte am Mittwoch eine Entscheidung, ob es im Streit um eine Brexit-Verlängerung im Zweifel eingreifen würde. Kritiker von Johnson hatten in dem Berufungsverfahren gefordert, dass die Richter dem Regierungschef Zwangsmassnahmen androhen, sollte er sich nicht an das Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit halten.