Der nächste britische Premierminister heisst Boris Johnson. Der ehemalige Brexit-Wortführer hat einen harten Kurs in Sachen EU-Austritt eingeschlagen. Einen No Deal will er in Kauf nehmen.
Boris Johnson kommt mit erhobenen Daumen am Hauptsitz der Konservativen Partei an. Foto: Aaron Chown/PA Wire
Boris Johnson kommt mit erhobenen Daumen am Hauptsitz der Konservativen Partei an. Foto: Aaron Chown/PA Wire - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach seinem haushohen Sieg will der künftige britische Premierminister Boris Johnson seine umstrittenen Brexit-Pläne durchboxen und zugleich die tiefe Spaltung des Landes überwinden.
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Die Ziele seien nun, den EU-Austritt zu vollziehen, das Land zu vereinen und Oppositionschef Jeremy Corbyn zu besiegen, sagte der neue Chef der britischen Konservativen nach seiner Wahl in London - genau 100 Tage vor dem geplanten Brexit. Er wolle den Wunsch nach Freundschaft mit Europa und die Sehnsucht nach demokratischer Selbstbestimmung vereinen.

Brexit-Hardliner Johnson hatte sich in der Abstimmung innerhalb der konservativen Tory-Partei deutlich mit 66,4 Prozent der Stimmen gegen Aussenminister durchgesetzt. Am Mittwoch übernimmt der Parteichef dann das Amt des Premierministers von Theresa May.

Doch schon kurz nach Johnsons Wahl wurde erneut deutlich, dass seine Brexit-Pläne unvereinbar mit der Europäischen Union sind. Auch von der Labour-Opposition bekam er heftigen Gegenwind. Die deutsche Wirtschaft warnte vor den Folgen eines ungeordneten Austritts.

, der lukrative Geschäfte mit Grossbritannien wittert: «Glückwunsch an Boris Johnson, dass er neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs geworden ist», schrieb Trump auf Twitter. «Er wird grossartig sein!». Auch die AfD-Bundestagsfraktion gratulierte Johnson zu seiner Wahl. Bundeskanzlerin Angela Merkel liess Johnson ausrichten: «Unsere Länder soll auch in Zukunft eine enge Freundschaft verbinden.»

May hatte sich für einen Rücktritt entschieden, nachdem sie drei Mal mit ihrem mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal im Parlament durchgefallen war. Sie sicherte Johnson, der zu ihren grössten Rivalen zählt, Hilfe zu: «Sie haben meine volle Unterstützung von den Hinterbänken.»

. Johnson will daher notfalls am 31. Oktober ohne Austrittsvertrag ausscheiden. Das dürfte erhebliche negative Folgen für die Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche haben.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker liess ausrichten, er wolle «so gut wie möglich» mit Johnson zusammenarbeiten. Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier schrieb auf Twitter: «Wir freuen uns darauf, mit Boris Johnson nach seiner Amtsübernahme konstruktiv zusammenzuarbeiten, um die Ratifizierung des Austrittsabkommens zu erleichtern und um einen geregelten Brexit zu gewährleisten.» Änderungen sind nach Barniers Worten lediglich an der politischen Erklärung zu den künftigen Beziehungen möglich.

Johnson, der es mit der Wahrheit oft nicht genau nimmt, dürfte viele Regierungsposten neu besetzen. Zeitungen spekulierten etwa über ein Comeback der früheren Brexit-Minister Dominic Raab und David Davis. Am vergangenen Wochenende hatten Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke die Aufgabe ihrer Ämter im Falle eines Sieg Johnsons angekündigt. Mit weiteren Rücktritten wird gerechnet.

Oppositionschef Corbyn forderte nach der Abstimmung umgehend eine Neuwahl. Johnson sei von weniger als 100.000 Parteimitgliedern der Konservativen unterstützt worden und habe nicht das Land hinter sich gebracht, schrieb der Labour-Politiker auf Twitter. Ein EU-Austritt ohne Abkommen, den Johnson nicht ausschliesst, bringe Jobverluste und steigende Preise. «Die Bevölkerung unseres Landes sollte in einer Parlamentswahl entscheiden, wer Premierminister wird», forderte er.

Die etwa 160.000 Parteimitglieder - das sind dem «Independent» zufolge 0,34 Prozent aller Wahlberechtigten - hatten mehrere Wochen Zeit, um sich zwischen Johnson und Hunt per Briefwahl zu entscheiden.

Johnson kündigte bereits an, die vereinbarte Schlussrechnung für den EU-Ausstieg in Höhe von 39 Milliarden Pfund (rund 44 Milliarden Euro) vorerst zurückzuhalten. Eine deutliche Senkung der Einkommenssteuer für gut verdienende Briten stellte er ebenfalls in Aussicht.

Deutsche Ökonomen erwarten von Johnson mehr Unberechenbarkeit in den Wirtschaftsbeziehungen. «Die erhöhte Unsicherheit ist Gift für die britische und letztlich auch für die europäische Wirtschaft», sagte etwa Isabel Schnabel von der Uni Bonn dem «Handelsblatt».

Viele Tory-Abgeordnete trauen Johnson zu, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, wieder zurückzugewinnen. Der einst auch unter liberalen Wählern populäre Ex-Bürgermeister von London ist für seinen Wortwitz, aber auch für seine Tollpatschigkeit und teilweise Ignoranz bekannt.

Seine Zeit als Aussenminister ist in keiner guten Erinnerung geblieben. Wohl deshalb erwähnte er sie während des Wahlkampfs kaum. Johnson, der dafür bekannt ist, über die eigenen Füsse zu stolpern, hielt sich im gesamten Auswahlverfahren stark zurück.

Sein Erscheinungsbild hatte sich in den vergangenen Wochen auffallend geändert. Statt verwuschelter, blonder Haarmähne liess Johnson sich einen richtigen Haarschnitt verpassen. Ausserdem nahm er deutlich ab. Johnson lebt seit Monaten von seiner Frau getrennt und ist mit einer über 20 Jahre jüngeren Medienexpertin liiert.

. Auch damals provozierte er: So verglich er die Ambitionen der EU mit dem Grossmachtstreben Hitlers und Napoleons. Den Briten versprach er, im Falle eines Brexits 350 Millionen Pfund (rund 390 Millionen Euro) an EU-Beiträgen pro Woche in das Gesundheitssystem zu stecken. Er verschwieg jedoch, dass London auch viel Geld von der EU bekommt.

Am Mittwoch gibt May ihr Amt ab. Sie wird sich mittags ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten im Unterhaus stellen. Anschliessend hält sie vor dem Regierungssitz Downing Street eine Abschiedsrede und reicht dann bei der 93-jährigen Queen im Buckingham-Palast ihren Rücktritt ein. Die Königin wird direkt danach Johnson zum neuen Premier ernennen und ihn mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch von ihm wird dann eine Rede vor seinem Amtssitz erwartet.

Die Briten hatten im Juni 2016 nur mit knapper Mehrheit für eine Loslösung von der Europäischen Union gestimmt. Das Parlament ist heillos zerstritten. Grösster Streitpunkt ist der Backstop - eine im Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland.

Die Regelung sieht vor, dass Grossbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner befürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die Staatengemeinschaft fesseln und eine eigenständige Handelspolitik Grossbritanniens unterbinden.

Viel Zeit für den Brexit am 31. Oktober bleibt Johnson nicht. Das Parlament geht am Freitag in eine fast sechswöchige Sommerpause. Erst am 3. September kommen die Abgeordneten wieder zusammen.

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