Grossbritannien sorgt sich über Akzeptanz von Impfstoff
Die britische Regierung feiert die rasche Zulassung eines Corona-Impfstoffs. Doch es gibt Befürchtungen, das eilige Verfahren könnte Zweifel an der Sicherheit der Impfungen wecken. Auch die Verteilung ist nicht einfach.
Das Wichtigste in Kürze
- In Grossbritannien wächst nach der raschen Zulassung des Corona-Impfstoffs von Biontech und Pfizer die Sorge, ob sich tatsächlich ein Grossteil der Bevölkerung impfen lässt.
Der stellvertretende medizinische Chefberater der Regierung für England, Professor Jonathan Van-Tam, versuchte am Mittwoch, Zweifel an der Sicherheit des neuen Präparats zu zerstreuen. Er selbst habe seiner 78 Jahre alten Mutter dringend empfohlen, sich impfen zu lassen. Er sei «sehr überzeugt» von der Bewertung durch die britische Arzneimittelbehörde MHRA, sagte Van-Tam der BBC.
Grossbritannien gehört zu den Ländern, die besonders hart von der Pandemie betroffen sind. Nach offiziellen Angaben der Regierung sind inzwischen mehr als 60 000 Menschen nach einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Experten gehen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher liegen.
Die britische Arzneimittelbehörde hatte am Mittwoch dem Mainzer Pharma-Unternehmen Biontech und seinem US-Partner Pfizer eine Notfallzulassung für deren Corona-Impfstoff erteilt. Grossbritannien ist damit das erste Land überhaupt, das dem Impfstoff eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hat - auch vor allen Mitgliedsländern der Europäischen Union.
Britische Experten versichern, dass die Prüfung äusserst gründlich erfolgt sei. Doch aus der EU und den USA gibt es Kritik. «Sie haben die Zulassung wirklich überstürzt», sagte der US-Virologe Anthony Fauci in einem Podcast am Donnerstag. Ein ähnliches Vorgehen sei in den USA nicht denkbar, weil dort ohnehin schon viele Menschen skeptisch gegenüber Impfungen seien.
Die britische Regierung hofft durch die Impfungen auf eine drastische Reduzierung der Todesfälle. Die erste Phase des Immunisierungsprogramms soll bereits kommende Woche beginnen. Sie zielt vor allem auf ältere und geschwächte Menschen sowie Bewohner von Pflegeheimen. Es handle sich um die grösste Massenimpfung in der Geschichte Grossbritanniens.
«Wir könnten theoretisch 99 Prozent der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 eliminieren», sagte Van-Tam. Voraussetzung sei, dass die Impfung auf hohe Akzeptanz in der Bevölkerung stosse. Premierminister Boris Johnson wollte am Donnerstag in einer Facebook-Fragestunde auf Fragen und Sorgen eingehen. Eine Umfrage kurz vor der Zulassung des Impfstoffs hatte ergeben, dass knapp 70 Prozent der Briten zu einer Impfung bereit wären.
Van-Tam warnte auch vor Euphorie und Nachlässigkeit im Umgang mit der Pandemie. «Wir müssen sicherstellen, dass die Leute verstehen, dass dies kein unmittelbarer Ausweg von irgendetwas ist», so der Wissenschaftler. Man habe noch einige harte Wintermonate vor sich. Die Menschen müssten die Abstandsregeln befolgen - egal, ob sie eine Impfung erhalten hätten oder nicht.
Noch am Donnerstag sollten die ersten Dosen des Impfstoffs in Grossbritannien eintreffen. Bereits zuvor hatte die Regierung eingestanden, dass die Verabreichung in Pflegeheimen aufgeschoben werden muss. Die Impfungen sollen zunächst in 50 Kliniken im Land verabreicht werden. Später sollen Arztpraxen hinzukommen. Anfangs sind wegen der komplizierten Lagerung bei minus 70 Grad nur Einheiten mit 975 Dosen verfügbar.
Die Regierung, die bisher für ihren Umgang mit der Pandemie viel Kritik einstecken musste, feierte die Zulassung als Erfolg. Bildungsminister Gavin Williamson sagte im Radio, Grossbritannien sei in der Lage gewesen, den Impfstoff als erstes Land zuzulassen, weil es «offensichtlich die beste Arzneimittelbehörde hat». Diese sei «viel besser» als die Frankreichs, Belgiens oder der USA. «Das überrascht mich auch überhaupt nicht, weil wir ein viel besseres Land sind als jedes einzelne von denen, nicht wahr?»
Ein Sprecher der EU-Kommission entgegnete, dass es sich beim Kampf gegen die Pandemie «nicht um einen Fussball-Wettbewerb» handle. «Wir reden hier über das Leben und die Gesundheit von Menschen.» Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte betont, Deutschland habe sich bewusst gegen einen Notfallzulassung entschieden, um gründlicher prüfen zu können.