Corona-Verschwörungstheorien weltweit oft nur Randphänomen
Es gibt sie in vielen Ländern: Verschwörungstheoretiker, die in Corona-Zeiten ihren grossen Auftritt wittern. Insgesamt bleibt der Zuspruch zu skurrilen oder schrägen Thesen aber überschaubar.
Das Wichtigste in Kürze
- Corona-Fehlinformationen sind ein weltweites Problem - doch in den meisten Ländern scheinen sie nicht vorherrschend zu sein.
Zusammenkünfte wie die sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Deutschland sind anderswo meist weniger ausgeprägt, wie eine dpa-Umfrage ergibt.
Das gilt für das Baltikum ebenso wie für Länder wie Ungarn oder Bulgarien. Auch den Skandinaviern sind Ideen wie die Bill-Gates-Verschwörung fremd.
GROSSBRITANNIEN: Vor allem der Astrophysiker Piers Corbyn fällt im Land der Briten derzeit als Corona-Verschwörungstheoretiker auf. Der Bruder des früheren Chefs der oppositionellen Labour-Partei beschwört einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch des Coronavirus und dem superschnellen 5G-Mobilfunknetz. Der 73-Jährige, der auch den vom Menschen verursachten Klimawandel für Unsinn hält, hat schon diverse Protestzüge angeführt. Er meint, die Menschen würden mit Lügen «einer Gehirnwäsche unterzogen». Piers Corbyn soll Medienberichten zufolge auch Angriffe auf die «gefährlichen» 5G-Anlagen befürworten.
SCHWEIZ: Viele Demonstranten hier sind Anhänger der europaweiten Bewegung «Corona-Rebellen». Unter ihnen ist auch der Kardiologe Thomas Binder, dessen vorübergehende Festnahme Ostern nach einem Aufruf zum bewaffneten Kampf Schlagzeilen machte. Auch er behauptet, die Verbreitung des Coronavirus hänge mit den 5G-Mobilfunkantennen zusammen, und warnte vor «Weltputschterroristen», die Regierungen kontrollieren und Menschen eine Corona-Impfung aufzwingen wollten.
FRANKREICH: Verschwörungstheorien sind in Frankreich ein Thema, vor allem im Internet. Die drei Organisationen SOS-Racisme, die Vereinigung jüdischer Studenten in Frankreich (UEJF) und SOS Homophobie erstatteten Anzeige, da Hasskommentare bei Twitter während der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen um 43 Prozent gestiegen seien. Frankreich gehört in Europa zu den Ländern, die besonders von der Pandemie betroffen sind.
ISRAEL: Da sich einige der Verschwörungstheorien insbesondere gegen Juden richten, werden diese genau beobachtet. Das Ministerium für strategische Angelegenheiten stellte in der Krise eine Zunahme antisemitischer Rhetorik fest, die von Gewaltandrohungen begleitet werde. Befürchtet wird, dass es in der Folge zu Angriffen von Extremisten auf Juden und jüdische Einrichtungen kommen könnte, insbesondere nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen.
IRAN: Im März wurde im Iran Corona noch als «biologischer Angriff» der USA und Israels bezeichnet, der sowohl den Iran als auch China schwächen solle. Diese Verschwörungstheorie konnte vom erzkonservativen Klerus in den Freitagsgebeten nicht weiter thematisiert werden, da diese wegen Ansteckungsgefahr abgesagt wurden - und bis heute in den Grossstädten nicht stattfinden. Angesichts der anfangs sehr hohen Anzahl der Corona-Toten und -infizierten sind die Iraner aber sowieso mehr an medizinischen Lösungen interessiert.
USA: Präsident Donald Trump misstraut Experten und wissenschaftlichen Erkenntnissen und wenn Vertreter seiner Regierung sich äussern, verschwimmen zuweilen die Grenzen zu abseitigen Theorien: Wird die Zahl der Corona-Toten übertrieben? Wird sich das Virus bei wärmerem Wetter einfach in Luft auflösen? Hat China das Virus absichtlich als Waffe in die Welt gesetzt? Solche Fragen werden in den USA auch von Trump oder seinen Beratern gestellt. Konkrete Belege bleiben sie meist schuldig.
ARABISCHER RAUM: Waren Verschwörungstheorien zu Beginn der Seuche im März noch ein Thema, sind sie jetzt eher eine Internet-Randerscheinung. Im Irak machte der einflussreiche schiitische Prediger Muktada al-Sadr etwa US-Präsident Donald Trump direkt verantwortlich. In Ägypten griffen regierungsnahe Medien dagegen die Theorie auf, dass Sars-CoV-2 eine Biowaffe aus dem Labor sei, um die chinesische Wirtschaft zu zerstören. Andere machten die in Ägypten verbotene Muslimbruderschaft verantwortlich oder sahen Fledermaus-Suppe als Ursprung des Virus. Im Libanon und im Irak kam es während der Ausgangsbeschränkungen zwar auch zu Protesten, das waren aber meist Fortsetzungen vorheriger politischer Proteste.
SPANIEN: Obwohl der Unmut in Spanien über die Corona-Politik der Regierung gross ist, gibt es keine Verschwörungstheorien wie in Deutschland. Sogenannte Hygienedemos sind in Spanien unbekannt. Die Proteste beschränken sich auf relativ kleine Kundgebungen. Im privaten Gespräch sind der Fantasie bei Vermutungen über den Ursprung des Virus sowie Profiteure der Pandemie aber kaum Grenzen gesetzt.
AFRIKA: Verschwörungstheorien wie in Deutschland sind auch hier eher selten. Obwohl die meisten Regierungen schnell und entschlossen teils überaus strenge Restriktionen angeordnet haben, sind Massenproteste rar. Vorübergehend für Aufregung sorgten missverständliche Äusserungen französischer Mediziner, Covid-19-Mittel in Afrika zu testen. Viele Afrikaner hoffen auf pflanzliche Heilmittel: Auf der Gewürzinsel Madagaskar wird ein «Covid Organics» genannter Gesundheitstrunk propagiert, trotz erster Expertenwarnungen. Tansanias Präsident John Magufuli empfiehlt Zitronen und Ingwer sowie Beistand von oben: Er propagiert die Kraft des Gebetes.
BRASILIEN: Immer wieder gehen Anhänger des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro im Streit über den richtigen Umgang mit dem Coronavirus auf die Strasse und fordern ein Eingreifen der Streitkräfte. Die Proteste richten sich gegen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die Bürgermeister und Gouverneure erlassen haben, um das Virus einzudämmen. Der brasilianische Aussenminister Ernesto Araújo glaubt, dass sich hinter dem Coronavirus ein grosser Plan verbirgt, den Kommunismus in der Welt zu verbreiten. «Das Comunavirus (Wortspiel Coronavirus und «comunista») ist gekommen», heisst ein Text auf seinem Blog, in dem er schreibt: «Das Coronavirus weckt erneut den kommunistischen Albtraum.» Nationale Kompetenzen der WHO zu übertragen sei nur der erste Schritt zum Aufbau einer kommunistischen Solidarität auf der Welt.