Coronavirus: Tessiner Spitäler ergreifen Vorsichtsmassnahmen
Die Coronavirus-Verdachtsfälle in Italien steigen rasant an. Tessiner Spitäler ergreifen Massnahmen und stecken Menschen mit Grippesymptomen in Quarantäne.
Das Wichtigste in Kürze
- In Italien steigen die Coronavirus-Fallzahlen in zwei Regionen rasant an.
- Nahe der Schweizer Grenze soll sich etwa ein 17-Jähriger infiziert haben.
- Tessiner Spitäler stecken Menschen mit Grippesymptomen in Quarantäne.
- Das BAG will dennoch vorerst keine weiteren Massnahmen ergreifen.
Die Zahl der mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 infizierten Menschen in Italien steigt. Bisher sind 132 Personen positiv auf das Virus getestet worden, wie der Zivilschutzchef Angelo Borrelli am Sonntag mitteilte. Zudem seien inzwischen drei Menschen gestorben.
Die meisten der Infizierten (89) gibt es in der Lombardei. Es folgen die Regionen Venetien, Emilia-Romagna, Piemont und Latium. Auch unter den Infizierten soll sich ein 17-Jähriger aus Veltlin befinden, wie «La Repubblica» berichtet. Die Ortschaft liegt nur wenige Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt.
Mehrere Tessiner Politiker sind besorgt. Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri fordert in einem Blogpost am heutigen Sonntag gar die Schliessung der Grenzen. Täglich würden 70'000 Gastarbeiter das Tessin besuchen. Auch wenn nicht klar sei, ob diese aus den infizierten Regionen kämen.
Grenzgängern, die im Dienstleistungssektor arbeiten, solle der Zugang verweigert werden. Wer das ablehne, gefährde laut Quadri die öffentliche Sicherheit.
Tessiner Spitäler reagieren
Auch Tessiner Spitäler reagieren auf die Nachrichten aus dem Nachbarland. Kantonsarzt Giorgio Merlani erklärte am Sonntag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, dass man die Lage und Entwicklung analysiere. «Die ganze Angelegenheit ist grösser als es anfänglich schien», sagte er.
Im Laufe des Tages soll eine Medienmitteilung zum Coronavirus aus Tessiner Sicht veröffentlicht werden. Am morgigen Montag ist ein Infopoint vorgesehen.
Derweil haben die Notaufnahmen der Tessiner Spitäler bereits reagiert. Personen mit Grippesymptomen werden isoliert und in Quarantäne gebracht, wie die Sonntagszeitung «Il caffè della domenica» in ihrer heutigen Ausgabe berichtet. Dies gilt für alle Patienten mit solchen Symptomen. Bisher war dies nur für Patienten vorgesehen, die sich in jüngster Zeit in China aufgehalten hatten.
BAG und SBB ergreifen vorerst keine weiteren Massnahmen
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ergreift trotz der zunehmenden Anzahl an Coronavirus-Erkrankten in Italien bislang keine weiteren Massnahmen wegen des Virus. Die Schweizer Behörden beobachten die Situation in Italien «genau». Das teilte das BAG am Sonntag der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit.
Die Situation könne sich jedoch schnell ändern. In Bezug auf die Situation in Italien sagte das BAG, dass es sich um einen lokalen Ausbruch handle, der mit allen Mitteln unter Kontrolle gebracht werden müsse.
Auch die SBB hat bezüglich des grenzüberschreitenden Schienenverkehrs aktuell keine Massnahme getroffen. «Wir stehen in engem Kontakt mit dem BAG, welches Empfehlungen abgibt und Massnahmen anordnet», sagte Daniele Pallecchi, Mediensprecher der SBB.
Für den grenzüberschreitenden Schienenverkehr müssten einheitliche Massnahmen gelten, da sich das Streckennetz zahlreicher anderer Transportunternehmen wie jenes der Rhätischen Bahn, der Deutschen Bahn und des Flixbus über die Grenzen erstrecke.
Der weitaus schlimmste bekannte Ausbruch in Europa
Italien ist das europäische Land mit den weitaus meisten erfassten Sars-CoV-2-Infizierten. In Deutschland wurden bisher 16 Fälle gemeldet, in Frankreich zwölf, darunter ein Todesfall. Aus der Schweiz ist kein Fall bekannt.
Die italienischen Behörden reagieren nun auf die Epidemie: Die Regierung in Rom teilte am Samstagabend mit, dass die am stärksten betroffenen Städte abgeriegelt werden sollen.
Damit soll die Ausbreitung des Coronavirus im Norden des Landes gestoppt werden. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte kündigte diese Notfallmassnahme nach Krisengesprächen mit der Zivilschutzbehörde des Landes an.
Betroffen sind ein Dutzend Städte. In den als Epidemiezentren geltenden Gebieten werde den Bewohnern weder die Einreise noch die Ausreise gestattet. Die Menschen können sich nur mit «besonderen Ausnahmeregelungen» bewegen.
«Das Ziel ist es, die Gesundheit der italienischen Bevölkerung zu schützen», sagt Conte. In Italien verteilten sich die Infizierten auf die Lombardei, Venetien und die Region Piemont.
Zwei Todesfälle in Italien
Nachgewiesen wurde der Erreger demnach unter anderem bei der Frau und einer Tochter des Mannes, der mutmasslich Italiens erstes gemeldetes Covid-19-Todesopfer ist.
Der italienische Zivilschutz sprach von einem zweiten Opfer, dessen Tod wohl auf die von Sars-CoV-2 verursachte Lungenerkrankung Covid-19 zurückzuführen sei.
Beim ersten gemeldeten Toten handelt es sich um einen 78-Jährigen in Venetien, beim zweiten um eine Frau in der Lombardei.
Der Ausbruch in der Lombardei geht auf einen 38-Jährigen zurück, der seit Mittwoch schwer erkrankt in der Klinik der Kleinstadt Codogno behandelt und tags darauf positiv auf den Erreger getestet wurde.
Wo sich der schwer erkrankte 38-Jährige in Codogno ansteckte, auf den alle Fälle in der Lombardei zurückgehen, war zunächst unklar. In Codogno waren viele Strassen am Wochenende menschenleer, die Stadt wirkte wie eine italienische Miniaturausgabe der abgeriegelten chinesischen Millionenstadt Wuhan.
Der Verdacht, er könnte sich bei einem kürzlich aus China zurückgekehrten Freund infiziert haben, bestätigte sich nicht. Tests hätten ergeben, dass dieser Mann nie mit dem Virus infiziert war, hiess es am Abend.
Vermutungen, wonach ein als «Patient Null» geltender italienischer Forscher der Überträger war, bestätigten sich ebenfalls nicht.
Für den Ausbruch in Venetien wurde eine Einschleppung durch dort arbeitende chinesische Geschäftsleute vermutet.
Ein weiterer Fall im Piemont geht auf Kontakte zu Infizierten in der Lombardei zurück. Vor den zwei aktuellen Ausbrüchen waren in Italien erst drei Infektionen erfasst.
Schliessung von Schulen, Absagen von Fussballspielen
Conte kündigte auch die Schliessung von Unternehmen und Schulen sowie die Absage von öffentlichen Veranstaltungen, wie Karnevalsfeiern und Sportwettbewerben, an. Davon betroffen ist auch der berühmte Karneval in Venedig. Das teilte der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, am Sonntag mit.
Die Behörden sagten zudem drei für Sonntag geplante Spiele der ersten Fussballliga ab; sie sollen nachgeholt werden. Betroffen ist auch ein Spiel des Spitzenclubs Inter Mailand, der noch um die Meisterschaft kämpft.
Zudem sollen alle Züge und öffenlichen Verkehrsmittel, inklusive der Wasserbusse in Venedig, desinfiziert werden. Auch Museen und Schulen sollen geschlossen bleiben.
Das von der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus besonders betroffene Gebiet liegt um die lombardische Stadt Codogno, 60 km von Mailand entfernt.
Von dort wurden 54 Fälle gemeldet, aus der Nachbarregion Venetien 17. Zwei weitere Fälle gab es in der Emilia-Romagna und einen in der Region Piemont.
Frankreich bereitet sich vor
Am Samstagmorgen war in Rom ein Armeeflugzeug mit 19 Italienern angekommen, die an Bord des Kreuzfahrtschiffs «Diamond Princess» in Japan für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt worden waren.
Sie werden nun in einem Militärkomplex in Rom unter Quarantäne gestellt. Unter den Passagieren der «Diamond Princess» hatte es hunderte Infizierte gegeben, zwei Japaner verstarben.
Angesichts der Lage in Italien bereitet sich Frankreich unterdessen auf eine Ausbreitung des Coronavirus vor. Die Lage im Nachbarland werde «aufmerksam verfolgt», sagte Gesundheitsminister Olivier Véran im Gespräch mit dem «Le Parisien» (Sonntag). «Eine Epidemie? Wir bereiten uns darauf vor», wurde der Minister zitiert.
Auch auf der koreanischen Halbinsel spitzt sich die Lage zu: Wie die Gesundheitsbehörden am Samstag mitteilten, wurden in Südkorea binnen eines Tages 229 weitere Ansteckungen mit Sars-CoV-2 nachgewiesen.
Damit stieg die Zahl erfasster Fälle auf 433. In keinem anderen Land ausserhalb Chinas, wo Covid-19 im Dezember ausgebrochen war, wurden bisher mehr Infektionen gemeldet.
In China starben schon mehr als 2300 Menschen
In China lag die Zahl in der offiziellen Statistik erfasster Infektionen am Samstag bei gut 76'000, mehr als 2300 Menschen starben an der Lungenkrankheit. Experten gehen von einer weitaus höheren Dunkelziffer in der Volksrepublik aus.
Die mit Abstand meisten Todesfälle und Infektionen werden weiter aus der besonders schwer betroffenen Provinz Hubei gemeldet, wo Covid-19 im Dezember in der Millionenstadt Wuhan ausgebrochen war.