Dem britischen Arbeitsmarkt droht ein schwarzes Jahresende
Mit dem Auslaufen der staatlichen Unterstützung könnten viele Menschen im Vereinigten Königreich ihren Job verlieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Das britische Kurzarbeits-Modell läuft im Oktober aus.
- Experten rechnen mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote.
- Verschiedene Unternehmen sind daher gezwungen ihre Arbeitsplätze zu kürzen.
Grossbritannien steht Experten zufolge ein erheblicher Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge der Corona-Krise bevor. In den am Dienstag veröffentlichten Zahlen des Statistikamts ONS (Office for National Statistics) schlug sich das zwar noch nicht nieder: In den drei Monaten bis Juni verharrte die Arbeitslosenquote demnach auf 3,9 Prozent. Die Aussichten sind aber düster.
Bislang hatte das Land die Folgen der Pandemie mit einem Programm, dem «Job Retention Scheme», abgefedert. Dieses ist der deutschen Kurzarbeit nachempfunden. Doch das läuft nun phasenweise bis Ende Oktober aus – mit womöglich drastischen Folgen für viele Arbeitnehmer.
Ab August zahlen Unternehmen
Der Staat zahlte noch bis Ende Juli 80 Prozent der Gehälter und den Arbeitgeberanteil der Sozialabgaben. Seit August müssen Unternehmen wieder selbst für die Sozialversicherungsbeiträge ihrer Angestellten aufkommen. Im September und Oktober kommen jeweils zehn Prozent des Gehalts hinzu. Im November zieht sich der Staat dann komplett zurück.
Das Programm sei eine «riesige Abkehr» gewesen von der Art und Weise, wie in Grossbritannien vorgegangen wird. So Tony Wilson vom Institute for Employment Studies. Und es war ihm zufolge ein riesiger Erfolg. Insgesamt 9,6 Millionen Menschen profitierten davon, «furloughed», also freigestellt zu sein, während der Staat zahlte.
Regierung setzt auf rasche Erholung
Nun setze die Regierung darauf, dass die wirtschaftliche Erholung stark genug sein wird, um ohne das Programm auszukommen. Nach Oktober soll wieder auf die Selbstheilungskräfte des Marktes gesetzt werden. Das fühle sich viel stärker wie das traditionelle britische oder angelsächsische Modell an, betont Wilson und fügt hinzu: «Die Regierung akzeptiert, dass es erhebliche Arbeitsplatzverluste geben könnte.»
Der Experte rechnet damit, dass die Arbeitslosenquote auf etwa 10 Prozent ansteigen könnte. Eine Grössenordnung, wie sie seit den frühen Tagen der Thatcher-Regierung in den 1980er-Jahren nicht mehr gesehen wurde. Damals galt Grossbritannien als «kranker Mann Europas».
Die Bank of England schätzt die Lage mit 7,5 Prozent zum Jahresende etwas positiver ein. Trotzdem wäre das ein grosser Sprung von den 3,9 Prozent, die noch für Mai vermeldet wurden. Doch was, wenn die Konjunktur nicht wie erwartet an Fahrt aufnimmt? Ganz zu schweigen von einem möglichen zweiten Lockdown.
Kurzarbeit sollte länger finanziert sein
Gary Young findet es «frustrierend», dass das Programm im Oktober auslaufen soll. Er ist der Vizedirektor des Londoner National Institute for Economic and Social Research (NIESR). Young plädiert dafür, dass der Staat die Gehälter freigestellter Arbeitnehmer bis in den kommenden Sommer hinein finanziert.
Seinen Berechnungen zufolge werden sonst bis zu 1,5 Millionen Menschen ihren Job im Herbst verlieren. Die Folgekosten für den Fiskus würden hoch ausfallen, schätzt Young. Es würde die Regierung weniger kosten, den Geldbeutel so lange aufzumachen, bis ein Impfstoff auf dem Markt ist.
Ähnlich sieht es Tej Parikh, Chefökonom des Unternehmerverbands Institute of Directors. Ihm zufolge droht mit dem Auslaufen des Job Retention Schemes Ende Oktober ein Abgrund, in den viele Arbeitnehmer fallen werden. Er hält das stufenweise Auslaufen des Programms zwar für richtig. Parikh plädiert aber dafür, es zumindest in bestimmten Branchen, Regionen oder in geringerem Ausmass über den Herbst hinaus fortzuführen.
Gröbere Variante der Kurzarbeit
Die britische Variante der Kurzarbeit ist ein weitaus gröberes Instrument als sein Vorbild in der Bundesrepublik. Es ist nicht auf einzelne Branchen zugeschnitten und liess zu Beginn nicht einmal den Kern des Kurzarbeitsmodells zu. Arbeitnehmer auf reduzierter Basis beschäftigen war nämlich nicht möglich, auch um Betrug zu verhindern. Das wurde inzwischen angepasst.
«Es ist falsch, Menschen in einer Situation festzuhalten und vorzugeben, als gäbe es einen Job, in den sie zurückkehren könnten.» Verteidigte Schatzkanzler Rishi Sunak gegenüber der BBC das Ende der staatlichen Intervention. Die Folgen dürften sich in den kommenden Monaten zeigen. Einer Recherche der BBC zufolge kündigten Arbeitgeber allein im Juni rund 140 000 Stellenstreichungen an.
Stellen müssen gekürzt werde
Besonders hart getroffen hat es die Luftfahrtbranche. British Airways hatte angekündigt, bis zu 12 000 Stellen zu streichen. Bei Easyjet sollen knapp 2000 Jobs in Grossbritannien wegfallen. Auch beim Ölmulti BP dürften Tausende Arbeitsplätze verloren gehen.
Die Restaurantkette Pizza Express will 70 Filialen schliessen, wovon rund 1100 Jobs betroffen wären. Beim Bahnhofsbuchhändler WH Smith sollen etwa 1500 Stellen gestrichen werden.
Möglicherweise ahnt die Regierung, dass sie noch einmal nachbessern muss. Gänzlich hat Schatzkanzler Sunak eine Verlängerung des britischen Kurzarbeit-Modells noch nicht ausgeschlossen.