Ein Bäcker in Bayern pfeift auf die Öffnungszeiten. Das ruft Wettbewerbsschützer auf den Plan. Das Grundsatz-Urteil dürfte den Kauf der Sonntagsbrötchen um einiges entspannter machen - bundesweit.
Die Frage, wie lange Bäcker sonntags Brötchen verkaufen dürfen, beschäftigt den Bundesgerichtshof (BGH). Foto: Peter Kneffel/dpa
Die Frage, wie lange Bäcker sonntags Brötchen verkaufen dürfen, beschäftigt den Bundesgerichtshof (BGH). Foto: Peter Kneffel/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Kunden können sich mit dem Kauf ihrer Sonntagsbrötchen in Zukunft Zeit lassen.
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Bäckereien dürfen sie nach höchstrichterlichem Urteil auch ausserhalb der vorgeschriebenen Öffnungszeiten bedienen - allerdings nur in Filialen, in denen der Thekenverkauf mit einem Café kombiniert ist.

Solche Bäckereicafés zählten als Gaststätten, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag. Als «zubereitete Speisen» dürften Brot und Brötchen dort von früh bis spät abgegeben werden. (Az. I ZR 44/19)

Die Wettbewerbszentrale hatte bei verschiedenen Bäckereien Verstösse beobachtet. Um die Frage ein für alle Mal klären zu lassen, verklagte sie den bayerischen Backwaren-Hersteller Ratschiller bis vor den BGH.

«Es ist absoluter Schmarrn, dass wir jemandem die Sonntagssemmel verbieten wollen», stellt Andreas Ottofülling aus dem Münchner Büro der Wettbewerbsschützer auf gut Bayrisch klar. Aber der Sonntag sei im Bäckereiwesen inzwischen einer der stärksten Verkaufstage. «Umso mehr müssen hier gleiche Marktbedingungen herrschen.»

Wie lange Bäckereien sonntags ihre Brötchen verkaufen dürfen, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Am grosszügigsten sind die Vorschriften in Berlin, dort dürfen Bäckereien von 7 bis 16 Uhr öffnen, bis zu neun Stunden. In Bayern sind nur drei Stunden erlaubt.

Dass man sich bei Ratschiller daran nicht hält, war nach Testkäufen in zwei Münchner Filialen klar. An einem Sonntag im Februar 2016 wechselten um 11.12 Uhr ein Stangenbrot und zwei Römersemmeln den Besitzer und um 15.46 Uhr noch einmal ein Stangenbrot und zwei Vollkornsemmeln. Ganz ähnlich im März 2018: Damals konnte man vor- wie nachmittags sogar ganze Kastenbrote kaufen - ein klarer Verstoss.

Trotzdem hatte die Wettbewerbszentrale vor den Münchner Gerichten den Kürzeren gezogen. Denn beide Bäckerei-Filialen sind gleichzeitig ein Café, mit Tischen und Stühlen für die Kundschaft. Für das Oberlandesgericht (OLG) München kommt damit das Gaststättenrecht ins Spiel. Es erlaubt dem «Schank- oder Speisewirt», auch ausserhalb der Sperrzeit «zubereitete Speisen» abzugeben, sofern diese «zum alsbaldigen Verkehr oder Verbrauch» bestimmt sind.

Laut OLG sind Brot und Brötchen «verzehrfertige Nahrungsmittel, deren Rohstoffe durch den Backvorgang zum Genuss verändert worden sind». Dass das Brot nicht nur scheibenweise als Beilage, sondern auch im Laib angeboten werde, ändere daran nichts. Es handele sich «nicht um unterschiedliche Speisen, sondern nur um eine grössere Menge».

Für die Wettbewerbszentrale Grund genug, die Sache nach Karlsruhe zu bringen. «Die nackte Semmel ist keine zubereitete Speise», findet Ottofülling. «Keiner schiebt sich auf dem Nachhauseweg noch fünf trockene Brötchen in den Hals und knabbert an einem Laib Brot.»

Der BGH hat damit allerdings keine Probleme. Brot und Brötchen würden aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz gemacht und dann noch gebacken, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Koch bei der Urteilsverkündung. Damit handele es sich um «essfertig gemachte Lebensmittel».

Dabei kommt es für den Senat nicht darauf an, ob die Waren direkt im Café oder woanders gebacken werden. Brot darf auch im ganzen Laib abgegeben werden. Wichtig ist den Richtern nur, dass der Kunde «zum sofortigen Verbrauch» einkaufe. Davon hätten die Bäckerei-Verkäufer bei den Testkäufen wegen der kleinen Mengen aber ausgehen können.

Gaststättenrecht ist zwar Ländersache. Bei der entscheidenden Passage gibt es aber keine Unterschiede. Das Urteil gilt daher bundesweit.

Bei Ratschiller ist man erleichtert. «Als reiner Bäcker könnten wir heutzutage nicht mehr überleben», sagt Geschäftsführer Bernhard Auracher. «Man muss halt einfach mit der Zeit gehen.» Der Sonntag sei der einzige Tag, an dem Familien noch Ruhe fürs gemeinsame Frühstück hätten. «Ich will die nicht begrenzen, dass sie in der Früh um sieben oder um acht Uhr oder um zehn Uhr ihre Semmeln holen.» Sonst würden die Kunden schnell zur Tankstelle ausweichen und sich dort versorgen.

Die Wettbewerbszentrale sieht mit dem Urteil Rechtsklarheit hergestellt. Jetzt müssten sich die Landesgesetzgeber fragen, ob sie etwas ändern wollen, sagt Ottofülling. Noch liege die schriftliche Begründung nicht vor. Aber es sehe so aus, als ob kleinere Bäcker nun nur ein paar Tische und Stühle aufstellen und ein Café anmelden müssten, um länger Sonntagsbrötchen verkaufen zu dürfen.

Der Zentralverband des Deutschen Bäckereihandwerks sieht die Position der Handwerksbäckereien gestärkt. Bisher hätten sie tatenlos zusehen müssen, wie «Tankstellen, Bahnhofssupermärkte und Co. 365 Tage im Jahr Industriebackwaren verkaufen», erklärt Hauptgeschäftsführer Daniel Schneider. Er stellt aber auch klar: «Kein Betrieb ist durch dieses Urteil gezwungen, am Sonn- oder Feiertag zu öffnen.» Letztendlich müsse jeder Bäcker für sich entscheiden, ob er das will.

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