Eurovision Song Contest: Israel-Hass besorgt Experten
Am eigentlich unpolitischen Eurovision Song Contest kam es in diesem Jahr zu unschönen Szenen. Israel und Sängerin Eden Golan sahen sich mit Hass konfrontiert.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Nahost-Konflikt war eines der grossen Themen am ESC in Schweden.
- Zuweilen war die Stimmung sehr aufgeheizt, es kam zu antisemitischen Vorfällen.
- Experten zeigen sich besorgt.
Die Schweiz ist nach dem Eurovision Song Contest (ESC) in Feierlaune. Nemo holte sich im schwedischen Malmö den Sieg – und damit den Gesangswettbewerb in die Eidgenossenschaft.
Doch Nemos Glanzresultat am ESC wird von anderweitigen Vorfällen überschattet. Der Nahost-Konflikt nahm an der diesjährigen Austragung nämlich die Hauptrolle ein.
Im Fokus standen dabei Israel und dessen Künstlerin Eden Golan. Die 20-jährige Israelin wurde während ihres Auftritts ausgebuht und ausgepfiffen. Dazu sah sie sich immer wieder mit Kritik der anderen Teilnehmenden konfrontiert. Schon im Vorfeld forderten kritische Stimmen, dass sie vom Eurovision Song Contest ausgeschlossen wird.
Unter anderem Klimaaktivistin Greta Thunberg demonstrierte mit Tausenden für ein freies Palästina. Dabei fielen auch klar Israel-feindliche Äusserungen – unter anderem die antisemitische Parole: «From the River to the Sea» (Deutsch: «Vom Fluss zum Meer»). Der Slogan spricht Israel das Existenzrecht ab.
Forscher kritisiert Antisemitismus am Eurovision Song Contest
Für Erik Petry von der Universität Basel ist klar: Was am Eurovision Song Contest in Schweden passiert ist, ist Antisemitismus.
Schon nur das Ausbuhen sei problematisch, sagt der Experte vom Zentrum für Jüdische Studien gegenüber Nau.ch: «Die Leute buhen nicht, weil Eden Golan schlecht singen würde, sondern weil sie den jüdischen Staat Israel repräsentiert.»
Heisst: Die Kritik des Publikums vor Ort habe sich an Golan als Jüdin und Vertreterin Israels gerichtet. Nicht an sie als Künstlerin oder Einzelperson.
Das zeigt sich auch daran, dass beispielsweise an der Demo mit Thunberg der totale Ausschluss Israels gefordert wurde. Es handle sich um eine «offensichtliche Ablehnung in einem eigentlich nicht-politischen Setting», so Petry.
Israel-Gegner verstricken sich in «massive Widersprüche»
Auch Jonathan Kreutner hat die Vorfälle in Malmö mit Sorge beobachtet. Der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) sagt gegenüber Nau.ch, das Ausbuhen an sich sei zwar noch nicht antisemitisch. Allerdings sei es sicher «unschön» und «unfair».
Zudem würden die Werte des ESC damit mit Füssen getreten. Man müsse sich schon die Frage stellen, weshalb ausgerechnet Israel davon betroffen war. Das Publikum und die Demonstranten würden laut eigenen Angaben für Diversität und Gewaltlosigkeit einstehen. «Diese hört dann aber bei Israel auf – das ist entlarvend», findet Kreutner.
Wenn Israel als Staat delegitimiert wird, muss man laut Kreutner von Antisemitismus sprechen. Was im Rahmen der Proteste am Eurovision Song Contest wie erwähnt tatsächlich teilweise auch passiert ist. Auch ein Aufruf, Israel oder eine israelische Sängerin zu boykottieren, sei beispielsweise «höchst problematisch».
Laut dem SIG-Generalsekretär verstricken sich die Israel-Gegner am ESC ohnehin in «massive Widersprüche». Es gebe Stimmen, die sich als Pazifisten ausgeben und dann zur Vernichtung Israels aufrufen. Kreutners Fazit: «Das geht nicht auf und ist eigentlich total absurd.»
Israel erhält viele Punkte – «klares Zeichen»
Der Song «Hurricane» von Eden Golan landete schliesslich auf Platz fünf. Dies, obwohl er von den wohl auch aus politischen Gründen zurückhaltenden Jurys wenige Punkte erhielt. Beim Publikumsvoting schaffte es Israel auf Rang zwei. Nur Kroatien erhielt mehr Punkte von den TV-Zuschauerinnen und TV-Zuschauer.
Die Zustimmung aus dem Fernsehpublikum ist für Kreutner ein «klares Zeichen». Er sagt: «Die Leute, die gegen Israel hetzen, sind offenbar eine lautstarke Minderheit und repräsentieren nicht die stille Mehrheit.» Die Zuschauer seien letztlich deutlich hinter Israel gestanden. Das sei ein klares Statement gegen den undifferenzierten Israelhass.
Auch Petry sieht das Ergebnis aus dem Public Vote positiv. «Das Resultat zeigt, dass das TV-Publikum den künstlerischen Vortrag würdigen kann.»
Doch weshalb war der Nahost-Konflikt am Eurovision Song Contest überhaupt dermassen präsent, obwohl der Wettbewerb unpolitisch sein sollte? Für Petry ist klar: «Es ist ein extrem grosser Anlass, der europaweit beachtet wird. Entsprechend bietet er politischen Akteuren eine Plattform.»
Eden Golan musste vor ESC Text abändern
Der israelische Song sorgte schon lange vor dem Eurovision Song Contest für Aufsehen. Ursprünglich hiess der Titel «October Rain», was wegen der möglichen Anspielung auf die Hamas-Terroranschläge am 7. Oktober als zu politisch eingestuft wurde. So musste Eden Golan ihren Text abändern – er hiess schliesslich «Hurricane».
Laut Golan geht es im Lied um die Probleme und Gefühle eines Mädchens, mit dem 7. Oktober habe der Text – auch in der ersten Fassung – nichts zu tun. Wie man den Text interpretiert, ist letztlich individuell. Jeder könne sich auf seiner Ebene mit dem Lied identifizieren, sagt die Sängerin.