Migration

Experten halten Grenzschliessung durch Notlage für möglich

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Deutschland,

Kann Deutschland eine «Notlage» erklären, um gegebenenfalls EU-Recht auszuhebeln und Menschen an den Grenzen zurückzuweisen, wie CDU-Chef Merz vorschlägt?

Zurückweisungen an den Grenzen sind nach CDU-Auffassung umsetzbar, falls EU-rechtlich problematisch, dann durch Erklärung einer «nationalen Notlage». (Archivbild)
Zurückweisungen an den Grenzen sind nach CDU-Auffassung umsetzbar, falls EU-rechtlich problematisch, dann durch Erklärung einer «nationalen Notlage». (Archivbild) - Patrick Pleul/dpa

Nach der Terrorattacke von Solingen diskutieren Politik und Experten über die rechtlichen Möglichkeiten der von Unionsfraktionschef Friedrich Merz vorgeschlagenen Verschärfungen in der Migrationspolitik. Nach seinem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte der CDU-Vorsitzende unter anderem vorgeschlagen, Deutschland könnte eine nationale Notlage erklären. Dies, um Menschen an seinen Grenzen zurückweisen zu können, da die sogenannte Dublin-Regelung nicht mehr eingehalten wird.

Rechtsexperten und Migrationsforscher schliessen nicht aus, dass das geht. Die Dublin-Regelung sieht vor, dass der Asylantrag in Europa in dem Land gestellt werden muss, das zuerst betreten wird. Streng ausgelegt würde das bedeuten, dass nur wenige Menschen, zum Beispiel diejenigen, die per Flugzeug anreisen, nach Deutschland kommen. Das System sei aber «zusammengebrochen und faktisch gescheitert», heisst es in einem am Dienstag veröffentlichten Papier der CDU zu ihren migrationspolitischen Forderungen.

Merz: Nationales Recht bei Notlage wichtiger als EU-Recht

In seiner Pressekonferenz hatte Merz zuvor auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verwiesen. Sollten Zurückweisungen an der deutschen Grenze aus europarechtlichen Gründen nicht möglich sein und dies auf europäischer Ebene nicht geklärt werden können, habe Deutschland das Recht, eine nationale Notlage zu erklären. «Dann ist das nationale Recht der Bundesrepublik Deutschland wichtiger als das europäische Recht. Das geht nach dem EU-Vertrag» und müsse in Anspruch genommen werden.

Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht und Staatsrechtler Paul Kirchhof sagte «Bild», Merz berufe sich wohl auf Artikel 78 des EU-Arbeitsvertrages. Dort wird die Möglichkeit von «vorläufigen Massnahmen» für Mitgliedstaaten beschrieben, die sich «aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen» in einer Notlage befinden.

Deutschland macht sein eigenes Ding?

«Das bedeutet, Deutschland würde sich selbst nicht mehr an das geltende EU-Recht halten, sondern sein eigenes Ding machen.» Dies erklärte der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Nessler der Zeitung und sprach von einer drastischen, aber zumindest kurzfristig sinnvollen Massnahme. Deutschland könne so die Flüchtlingszahlen begrenzen und gleichzeitig Druck innerhalb der EU ausüben, ein funktionierendes Verteilungssystem zu schaffen.

Der Europarechtler Daniel Thym von der Uni Konstanz verweist in einem Beitrag bei X auch auf Artikel 72 des EU-Arbeitsvertrages. Der sichert den EU-Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit «für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit» zu. Eine Abweichung von EU-Regeln sei erlaubt, schreibt Thym, verweist aber auch auf den Europäischen Gerichtshof. Der Haken sei, dass bisher alle Versuche gescheitert seien: Das Prozessrisiko sei hoch.

Merz wischt Gegenargumente beiseite

Im Papier der CDU heisst es, das europäische Recht biete die Möglichkeit für Zurückweisungen an Grenzen. Da dies zum Teil in Zweifel gezogen werde, fordere man seit Langem eine Klarstellung im europäischen Recht. Die Christdemokraten argumentieren auch, dass sich die Sicherheitslage in Deutschland und Europa verschärft habe: «Und das EU-Asylrecht steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit.»

Neben der Erklärung einer Notlage fordert die CDU unter anderem auch Abschiebungen ausreisepflichtiger Syrer und Afghanen in ihre Heimatländer. Ebenso einen Aufnahmestopp für Asylbewerber aus Syrien und Afghanistan. Dabei geht es ihr nach eigenen Angaben nicht um eine Änderung des Asylrechts im Grundgesetz.

«Mit einer Praxis der konsequenten Zurückweisung an der Grenze von Personen ohne Einreiseerlaubnis würde es zu einem faktischen Aufnahmestopp von Asylbewerbern aus Syrien und Afghanistan kommen», heisst es. Argumente, dass den CDU-Vorschlägen rechtliche Bestimmungen entgegenstehen könnten, wischte Merz bei seiner Pressekonferenz beiseite. Was alles nicht gehe, wolle die Bevölkerung nicht mehr hören.

Experte: «Niemand, der irregulär nach Deutschland kommt, ist schutzbedürftig»

Thym vermutet hinter der CDU-Strategie das Kalkül, dass eine deutsche Grenzschliessung eine Kettenreaktion auslösen könnte. Mit einem Signal der Abschottung und der Folge, dass irreguläre Migration kurzfristig zurückgeht. Selbst wenn die grüne Grenze «nicht hermetisch dicht» gemacht werden könnte oder Gerichte nicht mitmachten.

Der Leiter der Abteilung Migration am Wissenschaftszentrum Berlin, Ruud Koopmanns, schrieb bei X: «Niemand, der irregulär nach Deutschland kommt, ist schutzbedürftig. Alle waren in mehreren Ländern, in denen sie bereits sicher waren. Zugleich gibt es viele wohl Schutzbedürftige, die es niemals hierher schaffen. Diese Wahrheit sollte Grundlage für eine grundlegende Asylreform sein.»

Eine nationale Notlage mit Blick auf das Migrationsthema zu erklären, sei ein «versuchbarer Weg». Dies sagte er der dpa und verwies auf ähnliche Pläne im Nachbarland Niederlande, wo die neue Rechtsregierung an einem entsprechendem Vorstoss auf EU-Ebene arbeite. Dort würde etwa mit der Knappheit auf dem Wohnungsmarkt argumentiert.

Kommentare

User #1301 (nicht angemeldet)

Deutschland hat längst verloren und kapituliert. Die Folgen dafür will ich mir nicht ausmalen, was da alles noch kommt.

Contamination

Über das Dublin-Thema redet man seit 9 Jahren. 5 Millionen Flüchtlinge später und 3 Tage bevor die AFD zwei Landtage gewinnt, nun die Lösung. Kann man sich besser nicht ausdenken. Was für eine lächerliche Farce.

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