Freude und Frust beim Fahrradfahren in Deutschland

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Radfahren ist in Deutschland beliebt. Doch der Mangel an sicherer Infrastruktur sorgt beim neuen «Fahrradklima»-Test für schlechte Noten. Was läuft da schief?

Viele Radfahrer in Deutschland wünschen sich vom Autoverkehr getrennte, glatt asphaltierte Radwege, die breit genug sind fürs Überholen. Foto: Boris Roessler
Viele Radfahrer in Deutschland wünschen sich vom Autoverkehr getrennte, glatt asphaltierte Radwege, die breit genug sind fürs Überholen. Foto: Boris Roessler - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Mehr Frust als Freude: Deutschlands Radfahrer werden nach einer grossen Umfrage immer unzufriedener mit ihrer Situation.

Fehlende Radweg-Systeme, ein lascher Umgang mit Falschparkern und ungünstige Ampelschaltungen nehmen vielen Menschen zunehmend die Lust am gesunden und umweltfreundlichen Radfahren. So heisst es im neuen «Fahrradklima»-Test, den der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) am Dienstag in Berlin vorstellte. Vor allem das schwindende Sicherheitsgefühl macht der Fahrradlobby Sorgen.

Dabei ist Radfahren sehr beliebt. 75 Millionen Räder gebe es in Deutschland, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Dienstag. Allein 2018 wurden 4,2 Millionen neue Drahtesel bundesweit gekauft - der zweithöchste Wert in diesem Jahrzehnt. Zudem machen Elektroräder das Radeln unabhängiger vom Alter.

Und doch vergeben Radfahrer als Gesamteindruck im Test die Schulnote 3,9, also praktisch nur «ausreichend». Vor allem in grösseren Städten sitzt der Unmut tiefer. Selbst Sieger im Test wie Bremen, Karlsruhe oder Göttingen erreichen auf der Schulnoten-Skala maximal eine 3. Die Nase vorn haben kleinere Kommunen im Münsterland wie Bocholt, Reken oder Wettringen, die schon lange - wie die nahen Niederlande - mit Enthusiasmus auf Radverkehr setzen.

Ein Wunsch eint dabei 80 Prozent aller Befragten: Sie möchten vom Autoverkehr getrennte, glatt asphaltierte Radwege, die breit genug sind fürs Überholen.

170.000 Radfahrer haben für den «Fahrradklima»-Test Fragebögen ausgefüllt und Schulnoten vergeben. Drei Viertel von ihnen hatten einen Führerschein. Beim Punkt Sicherheit im Radverkehr vergaben die Befragten nur die Schulnote 4,2. 2016 war es noch eine 3,9.

Auch wenn der ADFC-Test nicht repräsentativ ist, gilt er als Stimmungsbarometer. Verkehrsminister Scheuer nimmt das ernst. «Das Sicherheitsgefühl muss sich verbessern», sagte er am Dienstag. Helme und Abbiege-Assistenten für Lastwagen gehörten für ihn dazu. Es gehe aber vor allem darum, den Verkehrsraum so zu entflechten, dass alle Platz haben - Respekt vorausgesetzt.

«Wir sind bereit zum Umsteuern in der Radverkehrspolitik», ergänzte Scheuer. Bis Pfingsten will er Vorschläge für eine Novelle der Strassenverkehrsordnung vorlegen. Denkbar sei zum Beispiel, Einbahnstrassen in Gegenrichtung für den Radverkehr zu öffnen und das Zuparken von Radwegen zu thematisieren. Details seien aber Sache der dafür zuständigen Kommunen.

«Die Menschen in Deutschland haben das Gefühl, dass für das Rad zu wenig getan wird», fasst ADFC-Bundesvorstand Rebecca Peters die Stimmung zusammen. Die Meckerliste beim Test ist lang: Die Mehrheit der Eltern in Grossstädten lasse ihre Kinder zum Beispiel nur mit ungutem Gefühl allein aufs Rad - zu gefährlich. Viele chauffieren den Nachwuchs stattdessen per «Elterntaxi» zur Schule - und werden so Teil der Autolawine, die sie fürchten.

Es ist nicht nur ein gefühltes Risiko. 2018 starben 445 Radfahrer auf Deutschlands Strassen, es gab 14 Prozent mehr Unfälle als 2017. Es geht auch um Verteilungskämpfe. Autofahrer merkten, dass ihnen weniger Platz bleibe, konstatiert der Deutsche Verkehrssicherheitsrat. Die Hälfte der Bundesbürger finde das Klima auf den Strassen aggressiver als früher. «Idealerweise müssten die Verkehrsströme getrennt werden, etwa durch Ampelschaltungen», sagt Siegfried Brockmann, Leiter des Berliner Instituts Unfallforschung der Versicherer.

In Berlin hat die «Initiative Volksentscheid Fahrrad» 2018 das erste Mobilitätsgesetz in Deutschland mit durchgesetzt. Seitdem wurden werbewirksam einzelne grün gepinselte breite Radweg-Stückchen mit Pollern in Szene gesetzt. Der Aktionismus zeigt Wirkung: Berlin gilt im Städte-Ranking trotz seiner miesen Schulnote 4,27 inzwischen als Aufholer, weil in der Stadt viel übers Radfahren geredet wird. Den grossen Wurf in der Praxis vermissen viele Hauptstädter weiter.

Ganz anders im niedersächsischen Nordhorn: Die 50.000-Einwohner-Stadt gibt rekordverdächtige 22,60 Euro pro Kopf für Radinfrastruktur aus. Das nordrhein-westfälische Rees verordnete Tempo 20 im Stadtkern. Karlsruhe wandelte Autospuren in Radwege und Parkplätze in Abstellplätze für Räder um. Zwischen Heidelberg und Mannheim entsteht der erste Radschnellweg, den der Bund finanziert.

«Städte für den Radverkehr zu optimieren dauert keine 40 Jahre», sagt ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. «Wenn der politische Wille da ist, kann man in wenigen Monaten Platz für gute Radwege schaffen.» Im Vergleich zum Nachbarn Niederlande ist Deutschland für den ADFC mit seinen 11 Prozent Radverkehrsanteil Entwicklungsland. Die Niederlande schafften 30 Prozent. Sie begannen aber auch in den 1970er Jahren mit dem Umsteuern. «Wir brauchen hier mehr Mut, den Autoverkehr auch mal auszuschliessen», ergänzt Krone.

Auf Deutschlands Strassen rollen mehr als 60 Millionen Kraftfahrzeuge. Der Treibhausgasausstoss im Verkehr ist seit 1990 weiter angestiegen. Ein wachsender Anteil an Radlern ist deshalb umweltpolitisch gewollt. Nach Berechnung des ADFC sind aber noch zwei Drittel der Verkehrsflächen für Autos reserviert.

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