Greta Thunberg als Chefredakteurin? Medien und das Klima
Kooperationen von Redaktionen mit Klimaaktivisten kurbelten jüngst die Debatte wieder an: Wie neutral kann Journalismus dabei bleiben? Die Frage stellt sich jetzt wieder: Es geht um Greta Thunberg.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Ganze wirbelte in Schweden schon vor Wochen kräftig Staub auf, als bekannt wurde: Klima-Aktivistin Greta Thunberg wird im Dezember bei einer Tageszeitung für einen Tag Chefredakteurin.
Die Kontroverse folgte prompt. Am Sonntag erschien die Ausgabe mit der Überschrift «Das sind Fakten, keine Meinung» und einem Foto eines Kraters in Sibirien, in dem der Permafrost schmilzt. Auch in Deutschland wird vermehrt darüber diskutiert, wie Medienberichterstattung über den Klimawandel aussehen soll und wo Trennlinien verlaufen.
Thunberg kam wegen der Corona-Pandemie nicht in die Redaktion von «Dagens Nyheter» (DN) - die Kommunikation lief nach Angaben der Zeitung in Stockholm schon länger über Chats und Telefon. Sie selbst schreibe keine Artikel, hatte der Projektleiter und Redakteur Martin Jönsson der Deutschen Presse-Agentur vorab gesagt. «Greta respektiert unsere journalistische Kompetenz.» Sie habe zugleich ein grosses Wissen und gute Vorschläge, über was man berichten könne. Für die Ausgabe schrieb Thunberg ein Editorial.
Andere Medien in Schweden waren im Vorfeld auf der Zinne. Ein Kolumnist schrieb im «Expressen» von einem «grossen Fehler». «Dass Schwedens grösste Tageszeitung den investigativen Journalismus für einen Tag in die Hände einer Aktivistin legt, ist eine unvorsichtige Art, mit seiner Macht umzugehen», konstatierte die Zeitung «Svenska Dagbladet». Retour von «DN»-Chefredakteur Peter Wolodarski: «Journalisten müssen aufhören, den Klimawandel und dessen ernsthafte Folgen wie eine von vielen Meinungen zu betrachten.»
Thunberg übernimmt als Chefredakteurin das Ruder - ist so etwas auch in Deutschland denkbar? Der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell mit «Tagesschau» und «Tagesthemen», Marcus Bornheim, sagt: «Nein, das wäre für uns undenkbar. Wir wollen auch zu den Klimaprotesten ebenso wie zu anderen Anliegen eine professionelle journalistische Distanz halten.»
«Tagesspiegel»-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron sagt: «Greta Thunberg am Desk im Newsroom des "Tagesspiegels"? Das könnte ein interessanter Tag werden.» Er schränkt aber ein: «Ob wir ihr die Regie überlassen würden? Das könnte mit unserem Anspruch kollidieren, bei dem unabhängiger Journalismus nun einmal im Mittelpunkt steht.»
Der Chefredakteur der «Welt»-Gruppe, Ulf Poschardt, sagt zur Frage Thunberg als Chefredakteurin: «Wir hätten damit kein Problem. Aber anders als in anderen Redaktionen, die sich sichtbar schwer damit tun, die Grenze zwischen Journalismus und Klimaaktivismus zu ziehen, wäre hier ein Team, das sehr viele kritische und grundsätzliche Fragen an Greta Thunberg hätte.» Er ergänzt: «Aber: Vielleicht wäre das ja gerade das Spannende an so einem Projekt. Greta bei uns.»
«taz»-Chefredakteurin Barbara Junge sieht es so: «Kai Diekmann war einen Tag Chefredakteur bei der taz, warum nicht auch Greta Thunberg?» Diekmann war damals «Bild»-Chefredakteur gewesen. Junge betont zugleich: «Wenn wir die Produktion in fremde Hände legen, dann können das nicht nur die einer einzelnen Chefredakteurin sein. Eine Chefredakteurin Greta Thunberg müsste also mit vielen Leuten aus der Bewegung zusammen die "taz" übernehmen.»
Bereits im Herbst waren an einer «taz»-Sonderausgabe Dutzende Klimaaktivisten beteiligt, die das Blatt «übernahmen». Es entbrannte eine Debatte um das Gebot von Neutralität und Aktivismus. Zeitgleich setzten beim Magazin «Stern» zwei Tage lang Klimaaktivisten Themen beim Heft und im Digitalen. Dazu ging man eine «einmalige Kooperation» mit der Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future (FFF) ein - parallel verlaufend zu einem globalen Klimastreik.
Chefredakteurin Anna-Beeke Gretemeier twitterte damals: «Bei der Klimakrise ist @sternde nicht länger neutral.» Der dpa sagte sie: «Für den "Stern" gibt es in Bezug auf die Klimakrise nur eine Position: Wir müssen jetzt handeln. Bevor es zu spät ist.» Im «Medium Magazin» präzisierte sie später weiter: «Wenn wir sagen, wir sind nicht mehr neutral, meint das, dass wir als Marke mit der gesamten Redaktion – und darüber haben wir wirklich viel intern diskutiert – die Klimakrise und ihre Bedrohung als menschengemachtes Problem anerkennen und der Mensch handeln muss.» Anderen stiess die Aktion auf. «Welt»-Chefredakteur Poschardt etwa sprach auf Twitter von «Kernfusion von Klimajournalismus und Klimaaktivismus».
Beim Presserat gingen Beschwerden zur «Stern»-Ausgabe ein. Sie waren aber unbegründet, wie das Gremium als Selbstkontrolle der Presse der dpa abschliessend mitteilt. Die Redaktion habe überzeugend dargelegt, dass sie stets die Hoheit über alle Inhalte hatte und keine Zweifel an der journalistischen Unabhängigkeit bestanden. «Die Art der Kooperation wurde den Lesern im Heft zudem vorbildlich transparent gemacht.»
Darauf verweist auch die Professorin für Wissenschaftskommunikation, Senja Post, von der Georg-August-Uni Göttingen. «Das ist transparenter, als wenn Journalisten in Nachrichtenbeiträgen selektiv berichten.» Mankos in den Medien sieht die Wissenschaftlerin hier: keine Kontinuität an Berichterstattung zum Klimawandel in den vergangenen Jahrzehnten. Und: In den vergangenen Jahren habe der Fokus vor allem auf Klima-Protesten und Aktivismus auf den Strassen gelegen, auch rund um Greta Thunberg. Posts Ansicht: «Politische Sachfragen kamen bislang zu kurz.»
Der Tübinger Medienprofessor Bernhard Pörksen führt zum Aspekt Aktivismus aus: Zur Wahrheit gehöre, dass es aktuell und im globalen Massstab betrachtet noch keine ausreichend effektive Klimapolitik gebe, die die Erderwärmung auf das gerade noch verträgliche Mass begrenzt. «Dies zu betonen ist kein Aktivismus, sondern schlicht eine Tatsache mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz.»
Er sieht bei der Klimaberichterstattung als Risiken zugleich unter anderem Aktivismus: «Man ignoriert, um der guten Sache willen, die Fakten, verdreht sie, überspitzt sie in unzulässiger Weise.» Dieses Risiko werde momentan jedoch überschätzt «und von denen zur Grossgefahr stilisiert, die am liebsten das Problem des Klimawandels selbst ignorieren wollen».
Marcus Bornheim von ARD-aktuell sieht hier eine rote Linie: «Aktivisten dürfen nicht die redaktionelle Verantwortung für Beiträge oder Publikationen von Medien, die so wie wir für unabhängige Berichterstattung stehen, übernehmen, da dann die Glaubwürdigkeit und damit das höchste Gut von Nachrichtenredaktionen in Gefahr wären.» Der stellvertretende Ressortleiter Wissenschaft beim «Spiegel», Kurt Stukenberg, erläutert: «Aktivisten können gute Quellen für die Berichterstattung sein, aber natürlich sind sie Partei und nicht unabhängig.» Eine rote Linie sei erreicht, wenn sie den Kurs eines Artikels bestimmen.
Bei deutschen Medien ist zu beobachten, dass Redaktionen Inhalte zum Klimawandel ausbauen. Der «Tagesspiegel» etwa führte eigene Fachdienste ein, wie Müller von Blumencron erläutert. Der «Spiegel» brachte ein Sonderheft im Oktober heraus: «Klimakrise – Aufbruch nach Utopia. So retten wir Umwelt und Wohlstand. Ein Lösungsheft». Und das Nachrichtenmagazin führte eine neue Rubrik auf seiner Homepage ein.
Stukenberg erläutert dazu: «Lange war es so, dass die Thematik ausschliesslich im Wissenschaftsressort angesiedelt war. Nun schon seit längerem gibt es Beiträge in allen Ressorts.» Sie seien an einem zentralen Ort zusammengefasst, auch um die Bedeutung des Themas Klimawandel beim «Spiegel» zu betonen.
Es gibt aber auch ganz andere Aktionen von Medienhäusern: Antenne Bayern gab vor mehr als einem Jahr bekannt, pro Hörer einen Baum zu pflanzen. «Grundsätzlich nehmen wir eine neutrale Position in unserer Berichterstattung ein. Dennoch ist es uns ein Anliegen, auch als Unterhaltungssender, Haltung zu zeigen. Dazu zählt unter anderem der Klimaschutz», heisst es.