Grossbritannien will in wenigen Tagen mit Impfungen beginnen
Der Impfstoff von Biontech und Pfizer hat in Grossbritannien alle Hürden genommen. Schon in wenigen Tagen sollen die ersten Briten geimpft werden. Europa wartet noch auf diese wichtige Entscheidung.
Das Wichtigste in Kürze
- Als erstes Land hat Grossbritannien den Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer zugelassen.
Bereits in wenigen Tagen sollen die ersten Menschen in dem Land geimpft werden.
Die britische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel erteilte am Mittwoch die Zulassung für den Impfstoff. Man erwarte den Einsatz «mehrerer Millionen Dosen» bis zum Ende des Jahres, sagte Premier Boris Johnson.
Bei einer Pressekonferenz im Regierungssitz Downing Street am Abend lobte Johnson den Einsatz der beteiligten Wissenschaftler. Diese seien dem Virus mit «biologischem Jiu Jitsu» zu Leibe gerückt, schwärmte der britische Regierungschef. Wie bei der sanften asiatischen Kampfkunst, bei der die Kraft des Gegners ausgenutzt wird, hätten sie das Virus mit dessen eigener Kraft bekämpft. Bereits kommende Woche sollen die ersten 800 000 Dosen des Impfstoff BNT162b2 im Land zur Verfügung stehen.
«Wir erwarten, den Impfstoff in den nächsten paar Tagen nach Grossbritannien ausliefern zu können», bestätigte Biontech-Mitgründerin Özlem Türeci auf einer Pressekonferenz in Mainz. Die Unternehmen haben mit Grossbritannien eine Lieferung von insgesamt 40 Millionen Impfstoffdosen für Dezember und im kommenden Jahr getroffen. «Die erste Notfallzulassung für einen Covid-19-Impfstoff ist ein bahnbrechender wissenschaftlicher Meilenstein», hiess es von den Unternehmen. Ihr Impfstoff wurde auf Basis von Daten aus einer grossen klinischen Studie mit Zehntausenden Probanden zugelassen.
Für die EU will die Europäische Arzneimittel-Agentur Ema noch im Dezember über eine Zulassungsempfehlung für den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer entscheiden. Bis 29. Dezember soll ein Ergebnis der Prüfung vorliegen, hiess es von der Agentur. «Aber diese Zeitpläne könnten sich im Laufe des Bewertungsverfahrens ändern», sagte Ema-Chefin Emer Cooke. Deutschland und die EU haben bereits einen Rahmenvertrag über den Kauf von bis zu 300 Millionen Dosen des Impfstoffs abgeschlossen.
«Da die derzeit geprüften Covid-Impfstoffe Millionen von Menschen in der EU verabreicht werden, sind wir uns der riesigen Verantwortung nur allzu bewusst, unsere Beurteilung und Empfehlungen korrekt zu erstellen, damit wir die europäische Bevölkerung schützen können», sagte Cooke. Die wissenschaftliche Bewertung werde unabhängig erfolgen und allein von Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit der Impfstoffe abhängen - «nichts sonst».
Die schnellere Zulassung in Grossbritannien sei durch den Brexit möglich gewesen, betonte Gesundheitsminister Hancock. «Wir waren in der Lage, eine Entscheidung zu treffen dank der britischen Aufsichtsbehörde, einer Weltklasse-Behörde, und mussten nicht das Tempo der Europäer gehen, die sich ein bisschen langsamer bewegen», sagte er dem Sender Times Radio. Die Sicherheitschecks seien alle durchgeführt und die gleichen Prozesse durchlaufen worden. «Aber wir waren wegen des Brexits in der Lage, den Ablauf zu beschleunigen.» Die britische Zulassungsbehörde wies jedoch darauf hin, die Zulassung sei nach EU-Bestimmungen getroffen worden, nach denen sich London bis zum Ende der Brexit-Übergangsphase weiter richten müsse.
Auch der deutsche Botschafter in London, Andreas Michaelis, erinnerte die Briten daran, dass der nun zugelassene Impfstoff keine Erfindung aus Grossbritannien war. «Warum ist es so schwer, diesen Schritt nach vorne als grossartige internationale Anstrengung und Erfolg anzuerkennen?», schrieb der Diplomat auf Twitter. Obwohl die deutsche Firma Biontech einen entscheidenden Beitrag geleistet habe, sei das keine nationale Geschichte, sondern «europäisch und transatlantisch». Johnson äusserste sich bei seiner abendlichen Pressekonferenz ähnlich. Es handle sich um eine «globale Anstrengung» und eine «wirklich internationale Sache». In den meisten Ländern der Welt steht noch kein Impfstoff für die breite Anwendung zur Verfügung. Unter anderem China und Russland impfen aber schon seit einiger Zeit bestimmte Bevölkerungsgruppen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte nach einer Konferenz mit seinen EU-Kollegen, es gehe bei den Impfstoffen nicht darum, «irgendwie Erster zu sein». Entscheidend sei, sichere und wirksame Impfstoffe zu bekommen, was für das Vertrauen wichtig sei. Er bekräftigte, dass die EU bewusst eine gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen für alle 27 Mitgliedstaaten vorbereite. Dies sei im Sinne europäischer Solidarität wichtig. Zudem setze man nicht nur «auf ein Pferd», sondern parallel auf mehrere Impfstoffkandidaten.
Der sogenannte mRNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech hat nach umfangreichen Testreihen eine Wirksamkeit von rund 95 Prozent, wie die Hersteller mitgeteilt hatten. Das Vakzin funktioniere über alle Altersgruppen und andere demografische Unterschiede hinweg ähnlich gut und zeige praktisch keine ernsten Nebenwirkungen. Die Tests hatten den Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung untersucht.
Grossbritannien ist stark von der Pandemie getroffen und viele Kliniken haben ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Für den Impfstart stehen 50 Krankenhäuser sowie Impfzentren bereit. Den Transport und die Lagerung des Vakzins ist eine Herausforderung, denn das Mittel muss bei minus 70 Grad gelagert werden. Dass es durch das drohende Brexit-Chaos zu Verzögerungen kommen könnte, wies Biontech zurück.
Mit den 40 Millionen bestellten Impfstoffdosen können 20 Millionen Menschen geschützt werden, da das Mittel zweimal verabreicht werden muss. Grossbritannien hat knapp 67 Millionen Einwohner. Auch für die aussichtsreichen Impfstoffkandidaten des US-Konzerns Moderna sowie der Universität Oxford und des Pharmakonzerns Astrazeneca werden derzeit die Zulassungen geprüft.
Johnson warnte seine Mitbürger davor, angesichts der positiven Neuigkeiten nun zu früh auf eine Impfung zu hoffen. Die Verantwortlichen des britischen Gesundheitsdienstes NHS nannten das anstehende Impfprogramm «einen Marathon, keinen Sprint». Zunächst sollen besonders gefährdete Personen, also Kranke und Alte, aber auch Mitarbeiter in Pflegeheimen und im Gesundheitssektor geimpft werden.