Bei den grossen russischen Raketenangriffen in diesem Jahr sterben in der Ukraine etliche Menschen. Präsident Selenskyj nimmt das zum Anlass, vom Westen noch mehr Waffen zu fordern. News kompakt.
Rettungskräfte räumen Trümmer weg.
Rettungskräfte räumen Trümmer weg. - Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach den neuen russischen Raketenattacken auf die Ukraine mit Toten und Verletzten in der Stadt Dnipro hat die Führung des angegriffenen Landes mehr Waffen vom Westen gefordert.
Ad

Der Terror lasse sich stoppen mit westlichen Waffen, auf die die ukrainische Armee warte, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag in seiner allabendlichen Videobotschaft. Zuvor hatte er Grossbritannien gedankt, das als erstes Land westliche Kampfpanzer an die Ukraine liefern will. Das sei ein Signal für andere Partner der Ukraine, ebenso zu handeln.

Grossbritannien will der Ukraine in den kommenden Wochen 14 Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 zur Abwehr der russischen Angreifer zur Verfügung stellen. Das teilte die britische Regierung mit, nachdem Premierminister Rishi Sunak am Samstag mit Selenskyj telefoniert hatte. Die britischen Verteidigungs- und Sicherheitsbehörden sähen eine Gelegenheit zum Handeln, da Russland «wegen Versorgungsengpässen und schwindender Moral (seiner Truppen) in die Defensive geraten ist». Verbündete sollten ihre für 2023 geplante Unterstützung für die Ukraine «sobald wie möglich auf den Weg zu bringen, um maximale Wirkung zu erzielen», hiess es aus London.

Die Ukraine hat bislang keine Kampfpanzer westlicher Bauart geliefert bekommen, sondern nur sowjetische Modelle aus dem Bestand osteuropäischer Nato-Länder. Kiew fordert seit langem die Lieferung des deutschen Panzers Leopard 2, der den russischen Panzern technisch überlegen ist. Polen und Finnland haben sich bereiterklärt, im europäischen Verbund Leopard-Panzer zu liefern. Die Bundesregierung hat sich noch nicht dazu positioniert.

Am Freitag kommender Woche werden die Verteidigungsminister der westlichen Verbündeten der Ukraine auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz über weitere militärische Unterstützung für das Land beraten. Vor den Verhandlungen forderte der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev die Bundesregierung eindringlich auf, schnell Leopard-2-Panzer an sein Land zu liefern. «Deutsche Waffen, deutsche Panzer sind überlebenswichtig», sagte er im dpa-Interview. «Zum Diskutieren haben wir sehr wenig Zeit. Und wir erwarten, dass unsere Verbündeten das auch verstehen und richtig handeln.»

In Dnipro, wo bei einem russischen Raketenangriff auf ein bewohntes Hochhaus laut vorläufigen Behördenangaben ein Dutzend Menschen getötet worden waren, dauerte in der Nacht zum Sonntag die Suche nach Verschütteten an. Mehr als 60 Menschen seien verletzt worden, darunter mindestens 12 Kinder. Unter den Toten sei ein 15 Jahre altes Mädchen, hiess es. Es gebe noch Überlebende in den Trümmern, die SMS absetzten oder um Hilfe riefen, sagte ein Sprecher der Einsatzkräfte.

Helfer zogen die Menschen aus dem Schutt des teils eingestürzten Hauses. Laut Einsatzkräften wurden 72 Wohnungen zerstört. Insgesamt seien in dem Haus zwischen 100 und 200 Menschen gemeldet gewesen.

Die Präsidialverwaltung in Kiew veröffentliche Aufnahmen von dem in Trümmern liegenden Gebäude. Der Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak, zeigte sich entsetzt: «Russen sind Terroristen, die bestraft werden für alles. Alle – ohne Ausnahme.» Er sagte, dass die Flugabwehr und Luftstreitkräfte ihre Arbeit erledigten. «Wir werden zurückschlagen.» Der Feind ändere seine Taktik nicht und setze seine Schläge gegen die zivile Infrastruktur fort.

Selenskyj beklagt Schäden an Energie-Infrastruktur

Staatschef Selenskyj verurteilte Russland dafür, dass es nicht nur «Tod sät», sondern auch die Energie-Infrastruktur des Landes erneut durch den Raketenbeschuss getroffen habe – demnach besonders hart in der Region Charkiw im Osten der Ukraine und in der Hauptstadt Kiew. Dort liefen die Arbeiten für eine Wiederherstellung der Versorgung auf Hochtouren, wie die Regierung mitteilte. Insgesamt waren sechs Gebiete des Landes von Stromausfällen betroffen, hiess es. In der benachbarten Republik Moldau beklagte die Regierung erneut, dass Raketenteile auf ihr Staatsgebiet gefallen seien.

Erster russischer Grossangriff seit dem Jahreswechsel

Der Raketeneinschlag in Dnipro war der folgenreichste von mehreren Angriffen am Samstag. Russland hatte am Morgen und am Nachmittag Ziele in der Ukraine beschossen. Im ganzen Land galt zeitweise Luftalarm. Es war der erste russische Grossangriff dieser Art seit dem Jahreswechsel. Das ukrainische Militär teilte mit, von 38 russischen Raketen am Samstag 25 seien abgeschossen worden. Die und andere Angaben zum Kampfgeschehen liessen sich nicht unabhängig überprüfen.

Zuvor hatten die ukrainischen Luftstreitkräfte vor möglichen neuen Angriffen gewarnt. Demnach waren zahlreiche russische Langstreckenbomber vom Typ Tupolew Tu-95 tagsüber in der Luft. Im Schwarzen Meer hatten zudem russische Kriegsschiffe Stellung bezogen, von denen ebenfalls immer wieder Raketen abgefeuert werden.

In Kiew waren am Morgen Explosionsgeräusche zu hören, die meist entstehen, wenn die ukrainische Flugabwehr russische Raketen oder Drohnen abschiesst. Der Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte, Juryj Ignat, sagte einem Bericht der Internetzeitung «Ukrajinska Prawda» zufolge, dass es sich bei den Angriffen um ballistische Raketen gehandelt haben könnte, die aus nördlicher Richtung gekommen seien. Demnach könnten die Raketen von Belarus aus abgeschossen worden sein. Russland hatte dorthin Truppen und Technik verlegt.

Die Ukraine habe keine effektiven Mittel der Ortung und Vernichtung ballistischer Raketen, sagte Ignat. So erklärte er auch, dass der Luftalarm am Samstagmorgen erst verspätet eingesetzt hatte. Viele Bürger hatten sich darüber gewundert. Im Gebiet von Kiew wurden Behörden zufolge 28 Gebäude beschädigt.

Russland greift seit Oktober besonders Objekte der Energie-Infrastruktur an, um die Menschen zu demoralisieren und von der ukrainischen Führung mögliche Zugeständnisse in dem Krieg zu erzwingen. Selenskyj will erst bei einem vollständigen russischen Truppenabzug mit Moskau über einen Frieden verhandeln.

Was heute wichtig wird

Vor allem im Osten des Landes im Gebiet Donezk gehen die Gefechte zwischen russischen und ukrainischen Truppen weiter. Russland will nach der Eroberung der Stadt Soledar bald die gesamte Region einnehmen.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

BotschafterRegierungTupolewEnergieTerrorSchweizer ArmeeNATOTodKrieg