Kriegsverbrechen in Syrien: Angeklagter schweigt vor Gericht
Hunderte Menschen standen dicht gedrängt und warteten auf Hilfspakete, als eine Granate in Richtung der Menge abgefeuert wurde. Jahre später wird einem aus Syrien stammenden Mann in Berlin der Prozess gemacht.
Nach mutmasslichen Kriegsverbrechen in Syrien vor mehr als acht Jahren hat am Berliner Kammergericht der Prozess gegen einen 55-Jährigen begonnen.
Der Mann soll 2014 als damaliger Kämpfer einer Miliz in der syrischen Hauptstadt Damaskus aus Rache eine Granate absichtlich in eine Menschenmenge abgefeuert und Zivilisten getötet haben.
Der angeklagte Geflüchtete schwieg zu Prozessbeginn zu den Vorwürfen, äusserte sich aber zu seinem Lebenslauf und erklärte, er sei in Syrien zuletzt als ein Bote tätig gewesen.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem 55-Jährigen Kriegsverbrechen, Mord in sieben Fällen sowie gefährliche Körperverletzung vor. Bei der mutmasslichen Attacke im Stadtteil Al Yarmouk, einem aus einem palästinensischen Flüchtlingslager entstandenen Viertel von Damaskus, soll der Angeklagte ohne Vorwarnung und gezielt eine Granate in eine Menschenmenge geschossen haben.
Die Opfer waren Zivilisten
Bei den Opfern habe es sich um Zivilisten gehandelt, die auf die Ausgabe von Lebensmitteln durch ein Hilfswerk der Vereinten Nationen warten. Mindestens sieben Menschen seien getötet und drei Opfer – darunter ein sechsjähriges Kind - schwer verletzt worden. Zwei Männer, die den mutmasslichen Anschlag erheblich verletzt überlebten, sind Nebenkläger im Berliner Prozess.
Der Angeklagte soll laut Bundesanwaltschaft zur Tatzeit der Miliz «Free Palestine Movement» (FPM) angehört haben, die im syrischen Bürgerkrieg für das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad die Kontrolle über das heftig umkämpfte Stadtviertel Al Yarmouk ausgeübt hat. Das Viertel ist den Angaben nach von der syrischen Regierung zwischen 2013 und 2015 völlig abgeriegelt worden. Die humanitäre Situation ist damals katastrophal gewesen. Die Bewohnerinnen und Bewohner hätten unter Nahrungs- und Wassermangel gelitten.
Auslöser des mutmasslichen Anschlags soll die Tötung eines Neffen des Angeklagten bei einem Schusswechsel mit Kämpfern der gegnerischen «Freien Syrischen Armee» (FSA) gewesen sein. Der Angeklagte habe sich dafür an der unbewaffneten Zivilbevölkerung von Al Yarmouk rächen wollen, die von dem Regime der Kollaboration mit der FSA verdächtigt worden sei.
«Möglichst grosse Anzahl von Menschen töten»
Obwohl während der Verteilung der Hilfsgüter eigentlich eine Waffenruhe gelten sollte, habe sich der Angeklagte am Nachmittag des 23. März 2014 von seinen Männern eine Panzerfaust reichen lassen, so die Anklage. Seine Absicht sei es gewesen, «eine möglichst grosse Anzahl von Menschen zu töten oder zu verletzen».
Mehrere Zeugenaussagen sollen zum Verdacht gegen den 55-Jährigen geführt haben. Der staatenlose Mann - nach seinen Angaben ein syrischer Palästinenser - wurde Anfang August 2021 in Berlin festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Dem Mann sei in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft aus humanitären Gründen zuerkannt worden, hiess es am Rande.
In seinen Angaben zu seinem Lebenslauf erklärte der Angeklagte, er sei 2018 aus Syrien nach Deutschland gekommen. Zuvor habe 2015 sein jüngster Sohn Syrien Richtung Deutschland verlassen und dann eine Familienzusammenführung beantragt, so der vierfache Vater. Er selbst habe bis 2008 in Syrien im Baugewerbe gearbeitet, danach sei er als Bote bei einer palästinensischen Organisation tätig gewesen.
Für den Prozess hat das Gericht bereits Verhandlungstage bis Ende Dezember vorgesehen. «Es gibt eine Reihe von Zeuginnen und Zeugen», sagte einer der Nebenklage-Anwälte. Die Verhandlung wird am 26. August fortgesetzt.